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Konsumkompetenz mangelhaft: Nicht fürs Leben, sondern für die Schule lernen wir 20.11.2010, 04:22

Ausschnitt: Diagramm zur Frage an Schüler: Wie viele Eier legt ein Huhn pro Tag
Bild: Ausschnitt Unterrichtsmaterial 'Konsumkompetenz' (vzbv)

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat im Jahr 2010 die "Konsumkompetenz" von Schüler/innen und Jugendlichen unter die Lupe genommen. Trotz teilweise größerer Wissensdefizite ("Kühe geben H-Milch") haben die Schüler/innen in vielen Bereichen das explizite Bedürfnis nach mehr Information. Die Mehrzahl der Schüler/innen wünscht sich, dass dieses Informationsbedürfnis in der Schule befriedigt wird. Diesem Anspruch kommt die Schule jedoch nicht nach.

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  • (geändert: )

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat eine Metastudie zur “Konsumkompetenz von Jugendlichen” erstellt. Metastudie bedeutet: Es wurden 37 aktuelle Jugendstudien von 2005 bis 2010 ausgewertet (u.a. Shell Jugendstudie 2010, JIMplus 2009, LRS-Kinderbarometer 2009) hinsichtlich der “Verbraucherkompetenz”. Die Ergebnisse können im 42-seitigen PDF-Dokument “Konsumkompetenz von Jugendlichen” eingesehen werden.

Es wurden folgende Bereiche ausgewertet (Seitenzahlen beziehen sich auf das verlinkte PDF):

1. Allgemeine Kenntnisse über Wirtschaft/ökonomische Allgemeinbildung

Zwar geben 70% der 14- bis 24-Jährigen an, das Verständnis allgemeiner wirtschaftlicher Zusammenhänge “wichtig” oder “sehr wichtig” zu finden (S. 8), “die basalen Wissensbestände sind [jedoch] gering” (S. 12). Ausführlich beschäftigt sich die Studie mit der Altersvorsorge:

Auch wenn das konkrete Wissen über die betriebliche Altersvorsorge und die Riester-Rente bei Jugendlichen sehr gering ist, hat sich die Grundproblematik der Altersvorsorge „bis zu ihnen“ rumgesprochen.

vzbv-Metastudie “Konsumkompetenz von Jugendlichen” (November 2010), S. 12

Dass nur 6 Prozent der 13- bis 20-Jährigen eine Altersvorsorge abgeschlossen haben (S. 7), ist dennoch eher beruhigend als Besorgnis erregend. Dem Entwicklungsstand eines normalen 15-Jährigen entspricht wohl eher der Fokus auf Popstars als der auf die eigene Rente im Jahr 2060. Seien wir also froh, dass die Schule hier (noch) nicht interveniert und aus fröhlichen Kindern runzlige Renten-Riesterer macht.

2. Ernährung und Gesundheit

Hier wird die Luft schon dünner. Viele Kinder und Jugendliche ernähren sich überaus schlecht:

  • “Die Hälfte aller Schüler fühlt sich nach dem Mittagessen träge, lustlos, schwer und müde.” (S. 14)
  • “Ungefähr die Hälfte der Jungen und Mädchen isst täglich mindestens einmal frisches Obst.” [Die andere Hälfte seltener] (S. 14)
  • “Insgesamt sind 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren übergewichtig. Verglichen mit den Jahren 1985 bis 1999 gibt es heute 50 Prozent mehr Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und Fettleibigkeit” (S. 15)
  • “Die befragten Schüler aus den Klassen 5 bis 13 geben an, dass es ihnen am wichtigsten ist, wie das Schulessen schmeckt, wie es aussieht und riecht. Wie gesund das Essen ist, ist am unwichtigsten” (S. 16)

Diagramm: Häufigkeit des Themas gesunde Ernährung im SchulunterrichtDies hängt zusammen mit generellem Unwissen u.a. über die Herstellung von Lebensmitteln. Tatsächlich weiß nur jede/r fünfte 11- bis 15-jährige Schüler/in, dass Kühe keine H-Milch geben. 25% der Schüler/innen glauben, dass ein Huhn pro Tag sechs oder mehr Eier legt. In vzbv-Studie wird allerdings auch konstatiert, dass man diese Ergebnisse nicht überinterpretieren sollte:

Ähnliches Unwissen oder auch falsches Wissen kann mit vielen Fragen zur Herkunft von Lebensmitteln dokumentiert werden. Allerdings sind Antworten auf Fragen, wie viele Eier beispielsweise ein Huhn am Tag legt, weiche Indikatoren dafür, wie weit entfernt die heutige Landwirtschaft vom Lebensalltag der jungen Konsumenten ist. Es darf bezweifelt werden, ob damit schon ein schlüssiger Hinweis auf die geringe Konsumkompetenz gegeben ist.

vzbv-Metastudie “Konsumkompetenz von Jugendlichen” (November 2010), S. 18

Die vzbv-Studie fasst zusammen:

Das Ernährungsverhalten der Jugendlichen ist hochgradig bedenklich.
Rund ein Drittel der Jugendlichen ernähren sich gesund, nur 7% leben gesund. Zudem zeigen bereits 20% Anzeichen von Essstörungen. Die Anzahl der Jugendlichen mit Übergewicht hat sich massiv erhöht.
[...]
Wurde in der Schule über das Thema Ernährung ausführlich gesprochen, achtet zumindest ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler danach auf ihre Ernährung.

vzbv-Metastudie “Konsumkompetenz von Jugendlichen” (November 2010), S. 21 (Hervorhebung Lehrerfreund)

3. Medien

Jugendliche aus privilegierten Elternhäusern sind verstärkt mit Lesen, kreativen Tätigkeiten und sozialen Kontakten beschäftigt. Jugendliche, die aus benachteiligten Elternhäusern kommen, verbringen den größten Teil der Freizeit vor dem Fernseher oder am Computer.

vzbv-Metastudie “Konsumkompetenz von Jugendlichen” (November 2010), S. 23

Ausschnitt: Diagramm zur Frage an Schüler: Undenkbar wäre ein Leben ohne Internet/Handy/Fernseher

4. Nachhaltigkeit und Umwelt

90 Prozent der 15-jährigen befragten Jugendlichen geben an, “großes Interesse an Umweltproblemen zu haben” (S. 31); rund 40% der 12- bis 25-Jährigen versuchen, im Alltag Energie zu sparen (S. 34). Diese Aussagen konfligieren mit dem erhobenen Wissensstand: 60 Prozent der 11-bis 17-Jährigen weiß nicht, was CO2 bedeutet, 25% der 11- bis 15-Jährigen glauben, dass Mobiltelefone komplett ohne Verwendung natürlicher Ressourcen hergestellt werden.

Schule und Unterricht sind gefordert

Viele Ergebnisse der Metastudie sind unangenehm: Jugendlichen fehlen basale Wissensbestände - auch wenn die Themen sie grundsätzlich interessieren. So wünschen sich die Jugendlichen auch in fast allen Bereichen mehr Unterstützung durch die Schule: Drei Viertel der Schüler/innen wünschen sich ein eigenes Schulfach “Wirtschaft” (S. 11),  zwei Drittel wünschen sich in der Schule mehr Bildung für nachhaltige Entwicklung. Auch im Bereich “Medien” sind die Schüler/innen durch den Schulunterricht stark unterversorgt (S. 27f). Im Bereich “Ernährung” hält sich das Interesse der Jugendlichen zwar in Grenzen. Macht man den Schüler/innen jedoch pädagogische Angebote zur Ernährungslehre, werden diese dankbar und interessiert aufgenommen - und führen bei knapp zwei Dritteln der Schüler/innen zu einer Veränderung des Essverhaltens (S. 20).

Entsprechend deutlich fällt die Zusammenfassung der vzbv-Metastudie aus:

Auch wenn weitere Anstrengungen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes oder zur Verbesserung der Informationsgrundlagen im Konsum erfolgen, wird ihr Nutzen begrenzt sein, wenn insbesondere auch die jungen Verbraucher ihre Rechte nicht kennen und keine Fähigkeiten haben, sie einzufordern. Auch eine verbesserte Information muss am Ende gesucht, verstanden und genutzt werden. Die Fähigkeit, sich im Überangebot von Informationen zurechtzufinden, wird dabei selbst zu einer neuen, besonders wichtigen Kompetenz des Verbrauchers.

Ohne Wissen, ohne bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten werden junge Verbraucher nicht die Vorteile der Konsumfreiheit für sich nutzen können. Wer über weniger Konsumkompetenz verfügt, hat Wohlstandsnachteile. Dies gilt um so mehr, wenn die Gesundheits- und Altersvorsorge zunehmend zu einer privaten Planungsaufgabe wird.

Schule als Ort für den Erwerb von Konsumkompetenzen
Eine Reihe von Institutionen können Beiträge zur Verbesserung der Konsumkompetenz von Jugendlichen leisten. Von den Jugendlichen selbst wird die Schule als Ort für eine „ökonomische Allgemeinbildung“, für den Wissenserwerb über „gesunde Ernährung“ und zum Umgang mit „dem Internet“ favorisiert.

vzbv-Metastudie “Konsumkompetenz von Jugendlichen” (November 2010), S. 39

Und so bleibt nur noch zu klären: Warum lernen die Schüler/innen in der Schule viele überflüssige Dinge, warum aber werden Themen ausgeklammert, die sie interessieren und die ihnen im Leben nützlich wären? Aus den Lernzielen sind Bildungsstandards geworden - und offensichtlich hat sich im Bereich der Konsumkompetenz dadurch nichts geändert. Offensichtlich haben auch die verantwortlichen Politiker/innen den korrekten Umgang mit Wikipedia nicht systematisch erlernt. Denn da könnten sie lesen über das Seneca-Zitat “Non vitae, sed scholae discimus”:

Kinderspiele sind es, die wir da spielen. An überflüssigen Problemen stumpft sich die Schärfe und Feinheit des Denkens ab; derlei Erörterungen helfen uns ja nicht, richtig zu leben, sondern allenfalls, gelehrt zu reden. [...] Es wäre besser, wir könnten unserer gelehrten Schulbildung einen gesunden Menschenverstand abgewinnen. Aber wir verschwenden ja, wie alle unsere übrigen Güter an überflüssigen Luxus, so unser höchstes Gut, die Philosophie, an überflüssige Fragen. Wie an der unmäßigen Sucht nach allem anderen, so leiden wir an einer unmäßigen Sucht auch nach Gelehrsamkeit: Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.

Wikipedia: Non vitae, sed scholae discimus

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Kommentare

1

Zum Artikel "Konsumkompetenz mangelhaft: Nicht fürs Leben, sondern für die Schule lernen wir".

  • #1

    Jo, stimmt alles.

    Mehr Wissen in Jura wäre auch nicht schlecht. Und ich wäre auch für einen Ausbau des Geschichtsunterrichts. Der kommt mir genau wie die politische Ausbildung unserer wahlmündigen Bürger zu kurz. Mehr Musik und Kunst wäre im Sinne der psychischen Entwicklung auch gut, wie auch das Fach ‘Glück’, oder überhaupt spirituelle Techniken. Aporopos Psychologie: Wie steht es eigentlich um die psychologische und medizinische Grundbildung?
    Fällt jemandem noch etwas ein?

    Aber, äh,  welche Inhalte sollen wir dafür streichen?

    Zumindest im Gymnasium: Wenn schon, wäre ich für Entzerrung. Das heißt: Wenn Streichen, dann um Platz für Wiederholungen und Langsamkeit zu bekommen. Nicht um noch weiteres draufzutun, und sei es auch noch so sinnvoll.

    schrieb Dirk am

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