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Interview mit J. Patzak, Staatsanwalt

Ritalindealen auf dem Schulhof - Rechtliche Aspekte 10.11.2011, 06:12

Schüler auf dem Schulhof
Bild: Walton LaVonda / pixnio [CC0 (Public Domain)]

Der Ritalin-Schwarzmarkt auf den Schulhöfen boomt. Im Lehrerfreund-Interview spricht der Staatsanwalt und Experte für Betäubungsmittelrecht Jörn Patzak über mögliche Strafen für den illegalen Handel mit Ritalin und die juristischen Unterschiede zwischen Methylphenidat und Cannabis.

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Jörn PatzakJörn Patzak, 40 Jahre alt, Staatsanwalt, Spezialist für Betäubungsmittelrecht, seit mehr als 11 Jahren bei der Staatsanwaltschaft Trier beschäftigt, juristischer Berater des bundesweiten Drogenpräventionsprojektes FreD (Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten). Mitautor des Buches „Betäubungsmittelrecht“, das sich besonders an Nichtjuristen richtet, z.B. Polizeibeamte, Suchtberater, Lehrer, Eltern…
Spielte von 1994-1998 beim TVG Trier in der 1. Basketballbundesliga.

Ritalin zählt (wie andere Methylphenidat-haltige Substanzen) in Deutschland als Betäubungsmittel und ist entsprechend verschreibungspflichtig. Die einzige legale Möglichkeit an Ritalin zu kommen besteht also darin, in der Apotheke ein Rezept vorzulegen. Ist das richtig?

Jörn Patzak: Ritalin ist ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel, d.h. es kann von Ärzten verschrieben werden, wenn dies medizinisch begründet ist. Im Regelfall dürfen monatlich nur 2.000 mg pro Patient verordnet werden. Anders als beim herkömmlichen Rezept kann Ritalin jedoch nur auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Dies ist ein dreiteiliges amtliches Formblatt, das vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Anforderung an den Arzt ausgegeben wird. Seit dem 1.12.2010 dürfen Methylphenidat-haltige Arzneimittel zur Anwendung bei Kindern ab 6 Jahren und Jugendlichen nur noch von spezialisierten Ärzten (z.B. Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin) verordnet und unter deren Aufsicht angewendet werden.

Sie sind Staatsanwalt. Welche Strafe fordern Sie für einen Schüler, der auf dem Pausenhof seinen Mitschüler/innen Ritalin verkauft?

Jörn Patzak: Das kann man nicht pauschal beantworten. Es kommt in jedem Fall auf die jeweiligen Besonderheiten an, z.B. die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Motivation, eventuelle Vorstrafen und vor allem das Alter des Beschuldigten. Für einen Erwachsenen (ab 21 Jahre alt) sieht das Gesetz beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren vor. Handelt der Täter gewerbsmäßig, kann er sogar mit Freiheitsstrafe zwischen 1 Jahr und 15 Jahren bestraft werden.
Bei Jugendlichen (14 – 17 Jahre alt) und unter Umständen auch bei Heranwachsenden (18-20) kommt das Jugendgerichtsgesetz (JGG) zur Anwendung, das ein anderes, vor allem am Erziehungsgedanken orientiertes Strafensystem vorsieht. Das geht von einer Verwarnung über Auflagen und Weisung bis hin zu Jugendarrest und schließlich Jugendstrafe.

Betrachten wir die andere Seite: Wie illegal ist der private Kauf und der Konsum von Ritalin?

Jörn Patzak: Grundsätzlich sieht das Betäubungsmittelgesetz für den Erwerb und das Handeltreiben den gleichen Strafrahmen vor, also Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren. Bei der Bemessung der jeweiligen Strafhöhe innerhalb dieses Strafrahmens wirkt sich das Handeltreiben aber erheblich zu Lasten des Beschuldigten aus. Der Erwerb zum Eigenkonsum wird also in der Regel milder als das Handeltreiben bestraft.

Vergleich von Methylphenidat und Cannabis  - beides sind nicht auf dem freien Markt erhältliche Drogen. Gibt es aus juristischer Sicht einen graduellen Unterschied, dass man sagen könnte, das eine ist "schlimmer" als das andere?

Jörn Patzak: M.E. sind Methylphenidat und Cannabis vom Gesetzgeber aus guten Gründen als Betäubungsmittel eingestuft. Beide besitzen bei einer missbräuchlichen Einnahme ein erhebliches Gefahren- und Abhängigkeitspotential. Bei Cannabis sind die Wirkstoffgehalte in den letzten Jahren durch sog. Hochleistungszüchtungen erheblich gestiegen. Damit einher geht die Zunahme von psychischen Erkrankungen gerade von jugendlichen Cannabiskonsumenten. Ich kann nur davor warnen, die Gefahr von Cannabis zu unterschätzen. Dem medizinischen Potential von Ritalin hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass es sich um ein verschreibungsfähiges Betäubungsmittel handelt. Gleiches gilt neuerdings auch für Cannabis. Seit dem 11.5.2011 können auch Cannabisfertigarzneimittel (z.B. Sativex) ärztlich verordnet werden.

Kommt die Pausenhofdealerei mit Ritalin überhaupt je zur Anzeige?

Jörn Patzak: Das kann ich nicht beantworten. Mir persönlich ist ein solcher Fall nicht bekannt. Das kann aber auch daran liegen, dass die missbräuchliche Verwendung von Ritalin, z.B. zum „Hirndoping“, in Deutschland erst seit Kurzem auf dem Vormarsch zu sein scheint.

Lehrerfreund: Sie haben an anderer Stelle geschrieben, dass das ritalinberauschte Fahren im Straßenverkehr zwar keine Ordnungswidrigkeit darstelle; treten aber "durch den Konsum von Ritalin sog. Ausfallerscheinungen auf, d.h. der Täter begeht untypische Fahrfehler (Klassiker: Schlangenlinien fahren), lallt, oder torkelt, kommt die Straftat des § 316 StGB (Trunkenheit im Straßenverkehr) in Betracht." - und damit eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Gibt es solche Fälle tatsächlich?

Jörn Patzak: Methylphenidat wirkt ähnlich wie Amphetamin und Kokain. Je nach eingenommener Dosis kann es zu entsprechenden Nebenwirkungen kommen, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Die Rote Liste enthält z.B. für Ritalin® 10 mg Tabletten folgenden Warnhinweis: „Dieses Arzneimittel kann auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch das Reaktionsvermögen so weit verändern, dass z. B. die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt wird. Dies gilt in verstärktem Maße im Zusammenwirken mit Alkohol.“ Verursacht ein Fahrzeugführer wegen der Verminderung des Reaktionsvermögens einen Verkehrsunfall oder fällt Polizeibeamten bei einer Verkehrskontrolle entsprechend auf, kann dies einen Straftatbestand erfüllen (§§ 315c, 316 StGB).

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