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Diskriminierung

»Der ist doch schwul!« - Zum Umgang mit einem verbreiteten Schimpfwort 02.11.2010, 22:22

Schriftzug 'schwul'

Die Verwendung des Begriffs "schwul" als Schimpfwort ist unter Jugendlichen weit verbreitet: "Sei nicht so schwul!", "Dieses Arbeitsblatt ist voll schwul!" etc. Wie reagiert man als Lehrer/in, wenn man so etwas hört? Soll man schimpfen, diskutieren oder einfach mit dem Stoff fortfahren? Zu diesen Fragen im Interview der Sexualpädagoge Dr. Stefan Timmermanns.

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Stefan Timmermanns, Jahrgang 1968, Sexualpädagoge, Doktor der Pädagogik. Unterrichtstätigkeit an Gymnasium, Universität und Fachhochschule, Buchautor, aktuelles Buch (2008) Sexualpädagogik der Vielfalt. Fachreferent bei der Deutschen AIDS-Hilfe und Vorsitzender der Gesellschaft für Sexualpädagogik. timmermanns.eu.

Im Unterricht hörte ich während einer Stillarbeitsphase, wie ein Schüler die ätzende Arbeit mit einem gemurmelten “Das ist doch voll schwul” bedachte. Hätte ich da reagieren sollen/müssen?

Dr. Timmermanns: Eine pauschale Einschätzung der Situation von außen verbietet sich, da immer mehrere Kriterien gegeben sein müssen, um in der jeweiligen Lerngruppe zu entscheiden, welche Intervention angemessen und sinnvoll ist. Wenn eine Lehrperson jedoch der Auffassung ist, dass Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben, vor Diskriminierung und Verachtung geschützt werden sollten, besteht eine wichtige Grundvoraussetzung zu handeln. Für lesbische oder schwule Jugendliche (statistisch gesehen sind das 1-2 in jeder Klasse) kann das Signal, dass abwertende Bemerkungen über ihre Lebensweise nicht geduldet werden, wichtig für die Entwicklung eines positiven Selbstbildes sein. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass homosexuelle Jugendliche immer noch häufiger Suizidversuche unternehmen als andere (vgl. tagesanzeiger.ch 20.10.2010: Suizid-Welle erschüttert die USA).

Wissen Sie etwas darüber, wie verbreitet die Verwendung des Wortes “schwul” als Schimpfwort gegenüber Personen oder Sachen ist?

Dr. Timmermanns: Meines Wissens gibt es keine empirischen Belege darüber, wie häufig der Begriff abwertend auf Schulhöfen gebraucht wird. Berichte von Kolleginnen und Kollegen zeigen mir aber, dass der Gebrauch in den letzten Jahren zugenommen hat. In einer Umfrage der englischen Lehrergewerkschaft ATL gaben 70% der Unterrichtenden an, dass von den Schülern regelmäßig schwulenfeindliche Begriffe verwendet werden (ATL 30.01.2008: Homophobic bullying guide is much needed).

Wahrscheinlich sind es vor allem männliche Jugendliche, die “schwul” als Schimpfwort verwenden?

Dr. Timmermanns: Auch hier gibt es keine belastbaren Zahlen, aber die Vermutung liegt nahe, weil bei männlichen Jugendlichen das Bedürfnis sich von “weiblichem” und “unmännlichem” Verhalten abzugrenzen viel stärker ausgeprägt ist als bei Mädchen.

Noch einmal zurück zur ersten Frage: Lehrer/innen hören im Unterricht sehr häufig entsprechende Äußerungen wie z.B.: Das Arbeitsblatt ist “schwul”, der Protagonist eines Romans verhält sich “schwul”, die Äußerung eines Mitschülers ist “schwul” - und so weiter. Wahrscheinlich fällt in einer durchschnittlichen Schule der Sekundarstufe jeden Morgen das Wort “schwul” mehrmals pro Klasse. Wie können Lehrer/innen auf diese Thematik reagieren?

Dr. Timmermanns: Selbstverständlich gibt es in solchen Situationen keinen pauschalen Vorschlag, der in jeder Situation angemessen ist. Wichtig ist aber, dass Kinder und Jugendliche im Laufe ihrer Schullaufbahn die Erfahrung machen, dass es grundsätzlich nicht ok ist, Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung abzuwerten oder zu benachteiligen. Dazu muss nicht jedes Mal, wenn der Begriff “schwul” abwertend benutzt wird, eine Diskussion über Menschenrechte vom Zaun gebrochen werden, aber wenn das in einer Lerngruppe häufiger vorkommt, dann kann das zum Anlass genommen werden in der Situation selbst oder auch später zu erklären, wie schwer es für einen Menschen sein kann, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen, wenn Identitätsbezeichnungen wie schwul, türkisch oder behindert ausschließlich negativ verwendet werden.
Was eine geeignete Reaktion sein kann, hängt natürlich auch von der Persönlichkeit der Lehrenden ab. Die Person, die eine abwertende Bemerkung macht, kann zur Rede gestellt werden, warum sie ausgerechnet diesen Begriff verwendet. Sie könnte aufgefordert werden, sich in die Lage desjenigen hineinzuversetzen, dessen Identität mit dem Begriff bezeichnet wird. Ein konfrontativer Kurs birgt jedoch die Gefahr, dass sich die Fronten verhärten und das Gegenüber in eine defensive Position gedrängt wird. Um dies zu vermeiden, wäre auch eine humorvolle oder ironische Bemerkung durchaus hilfreich, um deutlich zu machen, dass Verächtlichmachung von Personen oder Gruppen von der Lehrperson nicht gut geheißen werden, ohne gleich die Moralkeule zu schwingen und das Gegenüber bloß zu stellen. Auch wenn in vielen Situationen auch einmal ein “planful ignoring” die beste Lösung sein kann, wird man in einer demokratischen Erziehung nicht darum herum kommen, das Thema Diskriminierung von/ Umgang mit Minderheiten wenigstens einmal grundsätzlich und ausführlicher zu behandeln. Dabei sollte bei allen Unterschieden zwischen Xenophobie und Homophonie auch auf die Gemeinsamkeiten der verschiedensten Differenzkriterien hingewiesen werden. Alle Minderheiten haben das Recht genauso respektvoll behandelt zu werden, wie die vermeintliche Mehrheit der Gesellschaft. Respekt und Toleranz sind keine Einbahnstraße sondern funktionieren nur, wenn sie für alle gelten. Der Begriff der Fairness kann in diesem Zusammenhang ebenfalls nützlich sein.

Viele Lehrer/innen sind der Ansicht, dass es nicht ihre Aufgabe sein kann, sich diesem Thema zu widmen. Einige Kommentare zum Interview “Schwul-lesbische Aufklärungsarbeit an Schulen” bringen das zum Ausdruck: “‘Schwul!’ als beleidigender Ausruf gegen alles und jeden ist einfach Teil der schulischen Umgangssprache und sollte nicht als Hetze gegen Schwule gesehen werden.”, oder “Dass ich aber das Thema Schwule/Lesben über diese Toleranz-Thematik hinaus eingehender besprechen soll, sehe ich nicht ein. Es gehört in den Bereich Biologie bzw. Klassenlehreraufgaben.  ... Darüber hinaus sollte man der Thematik nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Schliesslich erwarte ich auch nicht, dass ständig darüber pädagogisiert wird, wie ich mich wohl als heterosexueller Mann mit Kindern fühle und welche besonderen Bedürfnisse ich noch stellen könnte.” Was würden Sie diesen Lehrer/innen sagen?

Dr. Timmermanns: Zum ersten Kommentar: Gerade weil es Teil der schulischen Umgangssprache geworden ist, plädiere ich dafür, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie verletzend und beleidigend dies bei “betroffenen” Menschen ankommen kann. In einer Gesellschaft, in der Lesben und Schwule keinerlei gesellschaftliche Diskriminierung erfahren, würde ich dem Kommentar zustimmen. So weit ist es aber noch nicht. Heranwachsende schwule und lesbische Jugendliche bekommen in unserer Gesellschaft so wenig Signale, dass sie willkommen, respektiert und geachtet sind, dass selbst ein aus heterosexueller Sicht “harmloses” Schimpfwort auf die Dauer gesehen fatale Folgen haben kann. Aus Erfahrung aber auch aus Untersuchungen wissen wir, dass es bei Lesben und Schwulen wegen der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz und des geringeren Selbstwertgefühls wesentlich häufiger psychologische Probleme, Depressionen, oder Selbstmorde gibt.

Zum zweiten Kommentar: Sicherlich sind Lehrerinnen und Lehrer nicht die einzigen, denen diese Aufgabe zufällt. Hier sind Politiker und die Allgemeinbevölkerung ebenfalls gefragt. Erwachsenen ist es oft unangenehm mit Kindern ein Thema, das mit Sexualität verbunden ist, anzusprechen. In der Sexualerziehung sind vom Gesetzgeber jedoch ausdrücklich alle Lehrer und nicht nur die Biologen aufgefordert, diese Aufgabe mit zu übernehmen. Für das Thema Homosexualität ist das aber auch nicht unbedingt nötig, denn es geht weniger darum, wie Menschen ihr Sexualleben gestalten, sondern in erster Linie um den Respekt vor dem Recht eines jeden Menschen, seine/n Lebens- bzw. Liebespartner selber zu wählen, ohne deswegen von anderen angegriffen oder abgewertet zu werden. Wie würden Lehrer reagieren, wenn Jugendliche plötzlich anfangen würden, einseitig und immer dann, wenn sie fluchen oder eine negative Bewertung einer Sache zum Ausdruck bringen wollten, von einer “heterosexuellen Textaufgabe”, einem “türkischen Lehrer” oder einem “jüdischen Lineal” zu reden?
Wie bereits in Antwort drei gesagt, muss man das Wort “schwul” nicht immer und überall kommentieren. Mein Eindruck ist aber, dass es kaum jemanden in der Schule gibt, der es überhaupt tut. Die Gesetzesänderungen zu Gunsten von Homosexuellen in den letzten 20 Jahren werden mittlerweile in vielen Ländern von einer Mehrheit getragen. Aber oft spalten sie die Bevölkerung in Befürworter und Gegner. Die Jugendlichen, die auf der Suche nach ihrer eigenen sexuellen Identität sind, spüren diese Ambivalenz und haben gleichzeitig Angst homosexuell zu sein und von den Gleichaltrigen ausgegrenzt zu werden. Wir Erwachsenen machen unsere Haltungen, die Werte für die wir eintreten, selten im Alltag deutlich, so dass Jugendliche sich daran orientieren können. Lesben und Schwule werden von Lehrern nur selten öffentlich verteidigt oder vor Beleidigungen und Abwertungen in Schutz genommen. Sind sie weniger schützenswert als andere Gruppen, z. B. Frauen oder Behinderte?

Es ist verständlich, wenn Lehrer sich bei den Anforderungen, die tagtäglich an sie herangetragen werden, überfordert fühlen. In der Tat werden sie weder adäquat für den Umgang mit Wertekonflikten ausgebildet noch darauf vorbereitet, auf das Thema sexuelle Orientierung zu reagieren. Hier muss durch die Verantwortlichen Abhilfe geschaffen werden. Die Werte der Demokratie werden tagtäglich in den Tausenden Klassenzimmern unserer Republik verteidigt. Menschenrechte und -würde gehören dazu und müssen für alle Menschen unabhängig ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung gelten. Obwohl Männer und Frauen dem Gesetzt nach gleichberechtigt sind, verdienen Frauen heute immer noch deutlich weniger. Es bleibt noch viel zu tun auf dem Weg zu einer fairen und gerechten Gesellschaft. Alle, die diesen Weg mitgehen wollen, möchte ich herzlich einladen, daran mitzuwirken. Wenn wir es mittlerweile gelernt haben, offensiv gegen die Diskriminierung von Frauen, Behinderten oder Migranten einzutreten, warum sollte das nicht auch für Lesben und Schwule gehen? Auf die erhöhten Selbstmorde unter jungen Lesben und Schwulen in den USA wurde nun mit der Einrichtung einer Homepage im Internet begegnet. Nach langen Jahren des Schweigens und der Gleichgültigkeit ein hoffnungsvoller Anfang! (tagesschau.de 23.10.2010: ‘Haltet durch, denn es wird besser’)

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Kommentare

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  • #1

    Sie sollten überdenken, ob alle Ihre Beispiele nicht völlig an der Sache vorbeigehen. Es ist ein grundlegender Unterschied, ob ich selbst mich souverän mit ‘Anfeindungen’ auseinandersetze oder ob herabsetzende Äußerungen gegenüber ganzen Gesellschaftsgruppen toleriert werden. MIch juckt kein bisschen, was Schüler zu mir oder über mich sagen, aber ich hinterfrage Vorurteile reproduzierende Beleidigungen (schwul, behindert, du Mädchen, du Nutte, Jude, Jugo…) grundsätzlich, je nach Situation auf unterschiedliche Weise und alles andere finde ich unverantwortlich.

    schrieb Katharina am

  • #2

    Ganz Recht so so sollte man Paucken mit den Schülern wie die Lehrer das hier schreiben,Souveranität ist was feines,Souverän eher
    eine Maske die sehr leicht fällt.Obwohl ich als Schwuler das Wort das ist doch voll Hetro auch oft in meiner Jugend Gebrauchte es war auch um sich nicht mit der normalität der Erwachsenen auseinander zu setzen und sich klar hervor zu heben und sich zu Kristaliesieren
    klar wen das am Tag Tausendmal gesagt wird ist das Ätzend jedoch bei der Entwicklung von Jugendlichen ein Fackt der zur Frühen Sexualität wohl gehört.Ich selber habe gelernt das schwul auch die bedeutung bei Jugendlichen haben kann das es normal ist oder Cool
    Anderster und das wen man diese zur Rede stellen und sagt das es gemein ist viele auch einen schwulen kennen der OK ist.In meiner Jugend ist in meiner Klasse auch darüber gehänselt worden das habe ich Recht gut verkraftet mit 17 hatte ich mein Coming Out.Manche Schwule sind auch überempfindlich,und blären bei jeder kleinigkeit.

    Mit freundlichen Grüßen D.L.


    schrieb D.L. am

  • #3

    Drei Tage nach Beginn des ersten Praktikums meiner Ausbildung zum Sonderschullehrer lief die Handarbeitslehrerin schreiend durch die Gänge: “Entweder er oder ich!” Ein 7.Klässler musste weg, weil er sie mit ein paar Wörtern aus der Sexual- und Fäkalsprache hatte hochgehen lassen.
    In der Ich-kann-Schule nenne ich so etwas den Souveränitätstest. Die Schüler zeigen uns mit ihren “Reizworten”, dass wir Lehrer in unserer Persönlichkeitsentwicklung bei den papierenen Reizwortgeschichten steckengeblieben sind. Auf diesem Niveau ist man nicht überlebensfähig, und damit wir nicht ein Leben lang auf diesem kläglichen, morbiden Niveau dahindümpeln müssen, lässt sich das Leben was einfallen, um uns mit Hilfe der Talente der Lausbuben auf Trab zu bringen. Leider haben wir durch das Papierstudium das reale Lebensverständnis oft weitgehend eingebüßt, und so missverstehen wir unsere Chancen.
    Ich kauerte mich mal neben einen Viertklässler, um ihm beim Schreiben zuzusehen. Er sagte: “Gell, Du hast Schuppen” und ich: “Gut beobachtet!”, darauf er: “Macht nichts, ich hab auch welche.” Ebenfalls ein Souveränitätstest.
    Im Tanzsaal saß ich mal mit einem Mädchen, dfa knallte sich einer zu uns an den Tisch: “So a Gfrieß (Fresse) wie Du möcht i net ham!” Ich sagte ihm, da säßen ja noch viele im Saal, vielleicht dächten 30 dasselbe wie er. Er sei der einzige gewesen, der sich getraut habe, herzukommen und es mir zu sagen. Ich hätte mich das nicht getraut. Darauf er: “Mit Dir kann man ja net reden.” und ging. Er versuchte dasselbe Spiel mit dem Wirt an der Theke, worauf er von drei Mann aus dem Saal geschoben wurde. Ebenfalls ein Souveränitätstest.
    Ganz offensichtlich lernen wir weder in Schule noch Hochschule SOUVERÄNITÄT. In der neuen Ich-kann-Schule lernt man dagegen nur SOUVERÄN. Ich finde, das sollte man einmal überdenken.
    Mit freundlichen Grüßen
    Franz Josef Neffe

    schrieb Franz Josef Neffe am

  • #4

    Es ist unerlässlich, an jeder Stelle die Jugendlichen auf die Tragweite ihres oft unbedachten und dennoch schlimm verletzenden Sprachgebrauchs aufmerksam zu machen. Ihnen deutlich zu machen, wie gewalttätig sie sich mit Sprache verhalten, auch wenn sie selbst es als “Spaß” bezeichnen. Gerade bei jüngeren Jugendlichen wirkt es oft sehr eindringlich, wenn sie auf den Begriff angesprochen gebeten werden, ihn zu genau zu definieren, damit sie erkennen, wie ungeeignet er ist als Schimpfwort benutzt zu werden. Aber diese Erziehungshaltung kostet Kraft, die wir LehrerInnen nicht jeden Tag gleich zur Verfügung haben. Weghören ist da manchmal eben bequemer.

    schrieb Babsitalia am

  • #5

    Ich bin selbst Junglehrer und homosexuell, und ich kann mich Euren Meinungen nur anschließen, denn jeden Tag fechte ich diesen “Kampf” gegen den “schwulen Bleistift” oder das “schwule Buch” erneut aus. Hinzu kommt, dass ich selbst als Betroffener nicht weniger “Opfer” von ablehnenden bis beleidigenden Aktionen homophober Schüler wurde, wie Schüler, die sich mir anvertraut haben und dagegen vorgehen wollen. Ich tue mir also selbst Gutes, wenn ich in meinem Unterricht eine Erziehung leiste, die (verbale) Gewalt nicht duldet, indem ich andere (nämlich die Schüler) respektiere. Dann - so habe ich die positive Erfahrung gemacht - werde auch ich (egal wie ich bin) respektiert. Es ist also unbedingt notwendig (und das habt Ihr eigentlich alle gesagt), dass wir die Schüler Respekt vor anderen Menschen und sich selbst lehren!

    schrieb Lehrer33 am

  • #6

    @Lehrer38:

    Die Realität in deutschen Schulen sieht aber leider so aus (siehe meinen Kommentar oben).

    Und wer sich mit offenen Augen und Ohren im öffentlichen Raum bewegt, sollte festgestellt haben, dass man sich inzwischen kaum ein paar Minuten in der Nähe einer Gruppe von Jugendlichen aufhalten kann, ohne dass “schwul” als Schimpfwort oder “Schwuchtel” gegrölt wird. Ähnlich beliebt ist das Attribut “behindert”.

    Ich halte das für unfassbar und frage mich, welchem Auftrag unser Bildungswesen überhaupt gerecht wird, wenn es nicht eine derart verletztende und krankmachende verbale Gewalt von Anfang an aktiv unterbindet und Aufklärung in diesem zentralen Bereich der Persönlichkeitsentwicklung betreibt!

    Daher muss es endlich wie in Großbritannien eine verpflichtende und instutionalisierte Ächtung und Bearbeitung homophober Sprache, von der Grundschule an, geben. Sonst folgen den Worten nämlich weiterhin auch Einstellungen - siehe die insgesamt zunehmende Homophobie unter Jugendlichen, bestätigt z. B. durch die Erhebungen von Gay Iconkids & Youth - und weitere (Gewalt-) Taten.

    In seiner Resolution gegen Homophobie von 2006 hat das Europäische Parlament die Mitgliedsstaaten aufgefordert, den Kampf gegen Homophobie insbesondere im Bildungswesen und mit lesgislativen sowie administrativen Mitteln zu verstärken. Wir dürfen gespannt sein, ob Deutschland - und hier im Bildungsbereich insbesondere die Bundesländer - dieser Vorgabe endlich folgen.

    Bislang gibt es nur ein einziges Bundesland (Berlin) mit einem umfassenden Aktionsplan gegen Homophobie, und auch dieser Plan bleibt deutlich hinter den zitierten Standards in anderen EU-Ländern zurück.

    schrieb Sascha am

  • #7

    “Dass ich aber das Thema Schwule/Lesben über diese Toleranz-Thematik hinaus eingehender besprechen soll, sehe ich nicht ein. Es gehört in den Bereich Biologie bzw. Klassenlehreraufgaben.”
    Dises Zitat macht mich fassungslos. Sind wir denn reine Stoff-Vermittler und die Kinder Maschinen, die halt funtionieren müssen? Oder haben wir einen Bildungs- und Erziehungsauftrag und sind BEZIEHUNGSARBEITER, die auch Werte vermitteln müssen? Lehrer(innen), die ihnen unangenehme Aufgabe auf den Klassenlehrer abwälzen wollen,  sollten sich einen anderen Job suchen. Es gibt viele engagierte, da brauchen wir die nicht-einsatzwilligen/-fähigen nicht! ;-)

    schrieb Lehrer 38 am

  • #8

    Wenn die Begriffe “schwul” oder “behindert” als Schimpfwort im Unterricht benutzt wird, schreite ich sofort ein. Ich dulde das in meiner Gegenwart nicht, zum einen aus persönlichen Gründen - ich habe einen behinderten Bruder und einen schwulen Onkel - zum anderen will ich den Jugendlichen verdeutlichen, wie Sprache und Bewusstsein zusammenhängen. Hinzu kommt, dass die Schüler in ihrem Alter oft noch gar nicht wissen können, ob sie oder ein ihnen nahe stehender Mensch bald zu “diesen Menschen” zählt - und jeder kann jeden Tag einen Unfall erleiden, und ist dann auch behindert.
    Übrigens schreite ich auch bei sonstigen Kraftausdrücken ein - Klassenzimmer-Hygiene sozusagen - man kann auch auf Hochdeutsch seine Abneigung äußern.

    schrieb Lehrerin am

  • #9

    Immer wieder sehe ich (wie auch Herr Timmermanns anmerkt: “… Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung abzuwerten oder zu benachteiligen”), dass, wenn die Menschen die “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte” leben würden, es viel weniger Leid auf Erden geben würde.
    Am 10.Dezember jährt sich die Bekanntgabe zum 62. Mal.
    Frau Roosevelt hat damit der Welt ein Goldstück überlassen, um den Frieden zu sichern – im Kleinen und im Großen.
    (Menschenrechte sind mein Lieblingsthema.)

    schrieb zum_bleistift am

  • #10

    Ich finde es bemerkenswert und vor allem erschreckend, dass die massive psychische Gewalt, die homosexuelle Jugendliche immer noch einem viermal höheren Suizidrisiko aussetzt (bestätigt auch durch die deutsche Bundesregierung in Bundestagsdrucksache 16/4818) weiterhin bagatellisiert und ignoriert, zumindest aber deren Ahndung in unserem Bildungswesen der persönlichen Willkür von Lehrerinnen und Lehrern überlassen wird.

    Fakt ist: Diese allgegenwärtige, schwulenfeindliche Gewalt, die sich inbesondere in der Sprache manifestiert, macht die betroffenen Kinder und Jugendlichen krank und tötet sie im Extremfall!

    Daher muss es auch hierzulande endlich eine Dokumentationspflicht für homophobe (ebenso wie allgemein rassistische, sexistische oder behindertenfeindliche) Sprache geben, wie die letzte britische Regierung sie unlängst eingeführt hat (siehe u.a. http://www.pinknews.co.uk/2009/12/10/schools-to-record-all-homophobic-sexist-and-racist-bullying/ )

    Dort sind die Lehrerinnen und Lehrer dazu verpflichtet, jeden Vorfall von homophober Sprache oder homophoben Mobbings in ein Hass-Register aufzunehmen und dessen Bearbeitung zu dokumentieren. Die Schulleiter wiederum melden die relevanten Daten regelmäßig an die Schulbehörden, was auch deshalb so wichtig ist, weil nur so die Entwicklung dieses Problemfeldes beobachtet werden kann.

    Und selbstverständlich bedarf es dazu klarer Anleitungen für die LehrerInnen vom zuständigen Kultusministerium, damit sie wissen, wie sie solchen Angriffen auf die Menschenwürde von Homosexuellen zu begegnen haben (wenn sie die schwerwiegenden Folgen einer solchen Kommunikation schon nicht mit ihrer vorhandenen pädagogischen Qualifikation zu erfassen vermögen).

    Eine Studie im Auftrag des niedersächsischen Sozialministeriums bestätigte im Jahr 2004, dass in weniger als 20% der Fälle LehrerInnen Schwule verteidigen, wenn diese Zielscheiben von Witzen oder Verächtlichmachung sind (siehe Biechele (2004): Identitätsentwicklung schwuler Jugendlicher.)

    Käme jemand auf die Idee, die Identitätsmerkmale “jüdisch” oder “schwarz” als Schimpfwörter zu verwenden, wäre wohl (ich will es doch schwer hoffen) auch hierzulande jedem Lehrer klar, dass er einzugreifen hat. Nur mit Homosexuellen, die (nicht in Großbritannien, sondern in Deutschland!) von den Nazis gezielt verfolgt und ermordert wurden, darf man sich das hierzulande weiterhin unbehelligt erlauben.

    An dieser perversen Situation für homosexuelle Jugendliche wird sich nur dann etwas ändern, wenn der deutsche Staat endlich seiner Kernaufgabe des Schutzes der Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen im Bildungswesen gerecht wird.

    Wie das Beispiel Großbritanniens zeigt, sind andere EU-Länder hier in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung schon wesentlich weiter und halten es weder für “ganz normal” noch für hinnehmbar, dass junge Homosexuelle krankgemacht oder sogar in den Suizid getrieben werden.

    schrieb Sascha am

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