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Lehrer-Raum-System

Gisela, die Lehrer-Raum-Pflanze 02.02.2022, 08:24

Pflanze (Illustration)
Bild: pixabay / satheeshsankaran [CC0 (Public Domain)]

Eine Ode an das Lehrer-Raum-System.

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Immer wenn ich mein Zimmer betrete, ist Gisela da. Gisela. Die Pflanze, die in meinem Zimmer wohnt.

Mein Zimmer - das ist ein Unterrichtsraum, genauer gesagt: mein Unterrichtsraum. In diesem Klassenzimmer unterrichte nur ich, immer. Die Schüler/innen kommen zu mir, in mein Zimmer. Ich bin natürlich immer schon da, wenn sie reinkommen. Hallo Herr Gärtner, Hallo Leute, kommt rein, macht es euch bequem.

Irgendwie sind sie auch meine Gäste. Sie kommen zu mir, wir begrüßen uns, dann machen wir zusammen was. Aber bei allem Respekt vor meinen Gästen: Wenn jemand mit dem Edding auf einem Tisch rumschmiert, werde ich richtig sauer. Es geht nicht, dass jemand meine Tische in meinem Klassenzimmer beschmiert. Wer macht am Ende des Tages die Schmiererei weg? Ich. Denn mir ist es nicht egal, ob die Tische in meinem Zimmer versifft und beschmiert sind. Deshalb haben hier schon Schüler/innen stundenlang Tische gewienert, während ich Gruppenarbeitszettel für den nächsten Tag kleingeschnitten habe. Merke: Tisch bemalen = Todsünde Nummer 1.

Übrigens ist es mir auch nicht egal, ob es in meinem Klassenzimmer stinkt. Wenn sie bei einer Klassenarbeit angstschwitzen und die Luft im Raum dicker und dicker wird, dann lüfte ich. Manchmal merke ich nicht, wie das Zimmer im Verlauf von ein, zwei Doppelstunden anfängt zu stinken, ich bin ja selbst drin. Dann kommt die nächste Klasse: Herr Gärtner, in Ihrem Zimmer stinkt es. Oh, sage ich peinlich berührt, sorry, und öffne die Fenster.

Fenster: Vor einiger Zeit hat eine der elektrischen Jalousien den Betrieb eingestellt. Die Sonne knallt rein und niemand sieht mehr was vom Beamer. Ich so zum Hausmeister, Digger, die Jalousie ist kaputt. Er so, ja, ich schau's mir an. Drei Tage später ist nichts passiert und die Sonne knallt immer noch rein wie blöd. Ich in der Pause wieder so zu ihm, Was geht mit der Jalousie. Am nächsten Tag nochmal und dann nochmal und zwei Wochen später ist die Jalousie repariert. In den Klassenzimmern, in denen Klassen fest residieren (Klassenraum-Prinzip), dauert so etwas mindestens ein halbes Jahr. Mindestens.

Tür: Meistens ist die Tür in meinem Zimmer weit geöffnet. Oft bekomme ich Besuch. Irgendeine Kollegin, die was will. Schüler/innen, die mir was abgeben oder mich was fragen wollen. Der Hausmeister. Völlig egal, ob gerade Unterricht ist oder nicht. Sie stehen in der Tür und warten, bis ich sage, Leute, schreibt weiter, bin gleich wieder da. Dann gehe ich zur Tür, nehme die Person vor meinem Zimmer zwei Schritte beiseite und wir reden. Alle wissen, wo sie mich finden und dass sie immer zu mir in mein Zimmer kommen können, Pause oder nicht. Wer keine Lust hat, auf dem Gang zu reden, der kommt halt in der Pause. Oder am Mittag, wenn ich da sitze und Unterricht vorbereite.

Auch in meinen Freistunden hänge ich in meinem Zimmer rum und korrigiere oder bereite Unterricht vor oder organisiere den nächsten Elternsprechabend. Ich bekomme richtig was geschafft. Laptop, WLAN und privat angeschaffter Drucker. Laserdrucker, 200 Euro. Dafür habe ich zuhause keinen. Im Lehrerzimmer bekommt man übrigens nicht ein Viertel so viel geschafft. Dauernd schwätzt einen einer an und fragt, wo die Duden sind und warum der Kopierer kaputt ist. Oder einfach »Na, wie läuft's so?«

Ich habe meine Materialien immer alle bei mir. Ich muss nicht irgendwelche Wägelchen mit Duden durch die Gänge ziehen, die liegen alle bei mir in meinem Zimmer. Ebenso die korrigierten und unkorrigierten Klassenarbeiten, die kopierten Arbeitsblätter, die angefangenen Schülerarbeitsblätter und Hugo Schmidts vergessenes Geodreieck.

Das gebe ich Hugo Schmidt in der nächsten Stunde. Er bedankt sich.

Gisela ist immer dabei. Ich gieße sie aus einem sauberen Kaffeebecher, entferne Stäubchen und Flusen von ihren strammen Blättern, und sie dankt es mir durch athletisches Wachstum. In einem Jahr ist sie fast so groß geworden wie ich. In den Weihnachtsferien habe ich sie aus Versehen nicht gegossen. Zweieinhalb Wochen. Aber sie hat es geschafft.

Jeden Tag wohnt sie meinem Premium-Unterricht bei. Die klügste Pflanze der Welt. Vielleicht sollte ich mal ans Guinness-Buch der Rekorde schreiben. Ich zupfe ein braunes Blättchen ab.

Mathea Daskalov betritt das Zimmer. Mathea ist die, die ein Namensschild für Gisela geschrieben hat. Hallo Gisela, sagt sie und haut sich auf ihren Platz. Äh, was ist mit mir, frage ich. Ah ja, hallo Herr Gärtner.

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Kommentare

4

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  • #1

    Hallo Kollege Gärtner,
    bin bereits 2Jahre a.D., doch Ihr Bericht klingt, als wären Sie Lehrer an meiner “alten” Realschule. So haben wir es “damals” auch gemacht. Jede/r Kollege/in hat seinen Raum gestaltet, oft mit mehr als EINER Zimmerpfanze! In jedem Fall mit Materialien für seine Fächer. Die Schüler*innen hatten die nötige Bewegung und Frischluft bei Raum-Gebäudewechsel und Kolleg*innen hatten 1-2 ruhige Minuten zur Vorbereitung der kommenden Stunde. Hätte mir keine Raumsuche als Pausenbeschäftigung mehr vorstellen können. Weiter so und Mut zur Zweitpflanze.
    Ina

    schrieb Ina am

  • #2

    Ich habe meine letzten 6 Lehrerjahre (bis zum Ausstieg aus der Schullehrertätigkeit) in einer Hauptschule mit Lehrer-Raum-Prinzip verbracht.
    Und mit 90-Minuten-Unterrichtseinheiten.
    Toll! Ich würde nie mehr tauschen wollen.
    Auch wenn ich nicht ganz so aufopferungsfreudig war und wäre wie Herr Gärtner.
    Es hat ganz klare Vorteile. Und die Reparatur der Jalousie ist nur einer. Ein anderer: eine Präsenzbibliothek.
    Uff: wie lästig, wenn Schüler ein Wort nicht wussten: Schwupps, lagen vor 5 oder 7 zufällig ausgewählten Schülern ebenso viele verschiedene Lexika, wo sie nachsehen sollten. Und dann erst das vergleichen der verschiedenen Auskünfte. Anstrengend. Methodentraining.
    Oder ein schneller Schüler wollte etwas genauer wissen: dicken Wälzer geholt oder Tablet und 5, 10 oder auch einmal 15’ abgetaucht, um hinterher der Klasse zu berichten, was er oder sie entdeckt hat.
    Diversity funktioniert auch so.
    Und ich meine hier auch alle, wenngleich ich traditionelles Genus verwende.
    Diversity ist eine Haltung und beginnt im Kopf. Es gibt diverse Varianten, sie zu leben.
    Und genau so divers waren unsere Lehrerräume. Manche viiiiiel schöner und gepflegter als meiner. Manche so, dass ich dort weder selber noch meine Kinder Unterricht erleben lassen wollte.
    Was mir fehlte: Ein gemeinsamer Austausch im Kollegium über die Raumgestaltung. Aber das ist ein anderes Thema ...
    Noch etwas: Regeln musste ich mit den Klassen nur selten verhandeln. Und das war sehr angenehm, nach deren Äusserungen auch für die Schüler. Es brachte Ruhe in den Alltag.

    schrieb Nils W. Bräm am

  • #3

    Schöne Idee, in Schulen mit Ganztagsbetreuung nicht in dieser Form umzusetzen. Die Ganztagsschüler und ihre Betreuer müssen ja ,,mitbenutzen,,.
    Das ist manch ein Ärger schon vorprogrammiert ( auf dem Schreibtisch ist kein Platz, da liegen schon vorbereitete ABS für den nächsten Tag etc) . Schade

    schrieb Corina am

  • #4

    Lieber Lehrerfreund,

    das klingt so logisch und naheliegend, dass es verwundert, dass dass die Lehrer die Klassenzimmer als Ihr persönliches Klassenzimmer nutzen und die Schüler zu Ihnen kommen. Neben der im Beitrag beschriebenen Vorteile könnte es eine Neuorientierung der Prioritäten bei den Unterrichtenden mit sich bringen: nicht möglichst schnell den Ort seiner Untätigkeiten und Untaten zu verlassen, sondern sich Schule zu einem Ort des pädagogischen Engagements und der guten Taten umzugestalten. Und zwar aus Eigeninteresse und nicht, weil es angeordnet wurde.
    Wahrscheinlich reichen die vorhandenen Klassenzimmer nicht aus, um alle Unterrichtenden mit einem eigenen Zimmer zu versorgen. Aber Halb- und Teildeputatler könnten sich einen Raum teilen. Bei gutem Willen wird sich in jeder Schule eine Lösung finden lassen.
    Bin gespannt, was Unterrichtende dazu meinen.

    Herzliche Grüße

    Hanspeter

    schrieb Hanspeter am

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