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»Hinrichtungsszene« in Michael Kohlhaas - Arbeitsfragen mit Lösungen 03.01.2007, 14:45
Analyse der Hinrichtungsszene mit ausgeschriebenem Lösungsvorschlag (erzählerische Mittel, Interpretation der Recht-Unrecht-Thematik, Rolle des Kurfürsten von Sachsen).
Textanalyse Kleist: “Michael Kohlhaas”
Die Hinrichtungsszene (Seite 112, Zeile 13 “Dazu kam ...”)
Erkläre die Erzählart bzw. die Erzählarten.
Kleist ist in diesem letzten Teil der Erzählung sehr sachlich, er gibt die historischen Gegebenheiten wieder. An einer Stelle verzichtet er sogar auf eine unsichere Darstellung, um nicht unsachlich zu werden. Er schreibt, er wolle die Reise des Kurfürsten nicht genau beschreiben, da sich die Chroniken an dieser Stelle widersprechen.
Die Vorstellung des Erstaunens von Kohlhaas über das Erhalten der Nachricht der Zigeunerin kurz vor seiner Hinrichtung überläßt er zum größten Teil dem Leser, er weist nur auf dieses Erstaunen hin. “Aber wer beschreibt dieses Staunen, ...” weist auch darauf hin, daß dies nirgends erwähnt wurde, und sich Kleist nur vorstellt, daß Kohlhaas staunt, und dies dem Leser durch die auktoriale Erzählweise mitteilt. Wie Kohlhaas staunt, beschreibt er nicht, so daß er hier nur leicht die auktoriale Erzählweise benutzt, und somit doch eher sachlich bleibt.
Er mischt sich also kaum ein, der Leser soll sich selbst ein Bild über den Tod von Kohlhaas machen, er soll möglichst unbeeinflußt bleiben.
Es gibt noch so eine Art Nachwort; er trennt dies durch den Satz “Hier endigt die Geschichte vom Kohlhaas.” Doch selbst dieses Nachwort ist nur eine Übermittlung von nachfolgenden historischen Ereignissen an den Leser.
Erkläre den unterschiedlichen Erzählrhythmus.
Die Textstelle beginnt mit einem Sprung im Rhythmus, durch das “Dazu kam”, eine Art Ergänzung. Darauf folgt ein eher holpernder und schneller Rhythmus, es werden relativ viele Informationen in einem kurzen Textstück weitergegeben. Dieser Rhythmus wird nochmals von einer Ergänzung Kleists unterbrochen. Dann kommt ein gleichmäßiger Rhythmus, es werden die Gegebenheiten um Dessau erläutert. Kurz darauf erfolgt wieder eine Unterbrechung, durch “- Inzwischen”. Es folgt ein schneller, mitreißender Rhythmus. Der Leser erfährt wieder eine Menge über Kohlhaas, seine letzten Tage. “Demnach glich nichts mehr der Ruhe und Gelassenheit der letzten Tage” bezieht sich so auch auf den Rhythmus. Er wird schnell und aufregend. Dieser wird wieder durch die Einmischung Kleists unterbrochen (“Aber wer beschreibt ...”). Nach dem Inhalt der Nachricht folgt ein kurzes Stück hektischer und stockender Rhythmus, Kohlhaas ist bestürzt, wird hektisch, der Kastellan stockt in seiner Rede. “Auf dem Richtplatz” folgt ein gleichmäßiger, langsamer Rhythmus, eine Vorstellung der Anwesenden; außerdem eine chronologische Aufzählung von Ereignissen. Die Aufzählung endet mit ”—“. Jetzt kommt ein schneller, aber gleichmäßiger Rhythmus: die Hinrichtung. Da es auf das Ende zugeht, wird er mitreißenden und wird beschleunigt. Dieser Rhythmus wird wieder durch den Einschub Kleists jäh unterbrochen, sogar endgültig gestoppt: “Hier endigt die Geschichte vom Kohlhaas.” Ein gleichmäßiger Rhythmus beendet die Erzählung von Kleist; er ist sogleich sogar sehr schnell, da eine relativ große Zeitspanne in kurzer Zeit erzählt wird.
Erkläre den Satz: Nun, Kohlhaas, heut ist der Tag, an dem dir dein Recht geschieht.”
Die Aussage “Nun Kohlhaas ...” ist zweideutig zu verstehen. Einerseits bekommt er sein lang ersehntes Recht endlich zugesprochen, andererseits wird Recht an ihm vollstreckt. Diese Aussage deckt die beiden Seiten seines Todes ab.
Kohlhaas kann und muß froh sein, nach langem hin und her bekommt er endlich sein erkämpftes Recht zugesprochen, seine Pferde sind dickgefüttert, der Junker verurteilt. “Sein höchster Wunsch auf Erden” ist somit erfüllt. Dies ist die für Kohlhaas positive Seite des Satzes.
Er hat allerdings auch eine für ihn negative Seite, er muß durch das gleiche Recht, das ihm hilft, nun sterben. Es wird nun nicht für, sondern an ihm Recht ausgeführt. Er wird für die Mittel, mit denen er sein Recht erkämpft hat, hingerichtet.
Dies ist für ihn sehr tragisch, er muß dafür sterben, daß er sein Recht erhält. Hätte er nicht gekämpft, müßte er nun nicht sterben, bekäme aber auch kein Recht zugesprochen. Wenn er sein Recht also haben will, muß er sterben, was aber wiederum unrecht ist.
So versteckt sich vielleicht die Aussage des gesamten Textes in diesem auf den ersten Blick unscheinbaren Satz. Kleist will mitteilen, daß es unrecht ist, daß jemand dafür stirbt, damit er sein Recht zugesprochen bekommt.
So ist dies vielleicht sogar eine Einmischung des Autors, also auktoriale Erzählung; Kleist legt den Satz in den Mund des Kurfürsten.
Erkläre die Rolle des Kurfürsten von Sachsen.
Kleist zeigt, daß es dem Verursacher des Todes von Kohlhaas vielleicht schlechter geht, als Kohlhaas selbst. Der Kurfürst von Sachsen ist schwer krank, und zwar wegen Kohlhaas und der Kapsel. Dies kann Kohlhaas vielleicht Genugtuung verschaffen, denn wenn er stirbt, kommt der Kurfürst wegen seiner Neugier vielleicht nie mehr zu Ruhe, bleibt für immer krank.
Beim Auftreten des Kurfürsten bei der Hinrichtung muß Kohlhaas Genugtuung erfahren. Er liest den Zettel und verschlingt ihn sogleich darauf. Der Kurfürst wird den Inhalt nie erfahren, er bricht ohnmächtig zusammen. Dies ist eine Art Rache für Kohlhaas, er hat dem Kurfürst einen schweren Schlag versetzt.
So schwächt das Auftreten des Kurfürsten das harte Schicksal von Kohlhaas ab, es wird relativiert. Allein das Schicksal von Kohlhaas betrachtet, ist es sehr schwer und ungerecht, Mit dem Schicksal des Kurfürsten zusammen ist es vielleicht für Kohlhaas sein eigenes leichter zu ertragen und zu akzeptieren. Wenn man sich vorstellt, daß vielleicht der Name Kohlhaas in der Kapsel steht, was vielleicht gar nicht so unwahrscheinlich ist, hat Kohlhaas durch das Lesen nochmals eine letzte Befriedigung erfahren; die Vorhersage hat sich somit bewahrheitet, die Person, die in der Kapsel namentlich erwähnt ist, hat den Kurfürsten ins Verderben gestürzt.