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Unterrichtspraxis

»Präsentieren« - Das ultimative didaktische Konzept 05.05.2015, 17:40

Junge präsentiert Ware auf einem Basar
Bild: flickr-User Saad Faruque: IMG_8266

Prezi, PowerPoint, Einleitung, Schluss, große Schrift, kleine Schrift, Körpersprache, viele Bilder, Karteikarten oder nicht … Alles völlig nebensächlich. Worum es bei Vorträgen wirklich geht, ist die Wirkung, die wir erzielen. Didaktische Überlegungen und Tipps für den Unterricht.

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Was lernen Schüler/innen in der Schule, wenn sie "eine Präsentation halten"?

Es gibt nur einen einzigen Grund, warum wir mit Menschen reden (ob wir dabei ein Zitat vorlesen, Bilder zeigen oder Fragen stellen, ist nebensächliches Beiwerk): Wir wollen eine Wirkung erzielen. Der/die Zuhörer/innen soll/en sich eine Meinung bilden, eine Kaufabsicht entwickeln, etwas Neues erfahren o.ä.

Nun hat die "Präsentation" in (hoch-)schulischen Kontexten jedoch ein sinnloses Eigenleben entwickelt: Präsentationen [sic] werden gehalten, weil jemand das will und benotet - z.B. eine Lehrer/in, eine Professor/in … Die vorrangige Wirkungsabsicht besteht darin, es der Lehrer/in recht zu machen. Das ist offensichtlich völlig absurd. Dieses Konzept nennt sich "Präsentation". Wir halten keine Vorträge mehr, wir erklären oder erläutern nichts - wir halten eine Präsentation. "Präsentation" ist das Unwort des Jahrtausends (Warum Lehrer/innen den Begriff »Präsentation« nicht mehr verwenden sollten).

Die Schüler/innen sollen also lernen, wie man eine "Präsentation" hält. Was sie lernen, ist eine völlig sinnbefreite Befriedigung der Erwartungen der Lehrperson. Der eine Lehrer will eine Inhaltsübersicht vorneweg - also macht man eine. Der nächste will keine ganzen Sätze auf der Folie - also macht man nur Stichpunkte. Ein anderer will viele Bilder, ein weiterer viele Diagramme, der fünfte möchte die Folien nummeriert, während der sechste PowerPoint-Standard-Designs als überflüssigen Schnickschnack ablehnt.

Natürlich erfahren die Schüler/innen immer, warum das so sein soll: "Veranschaulichen Sie Ihre Aussagen durch Bildmaterial!" - "Wenn Sie ablesen, können Sie nicht frei reden!" Der entscheidende Punkt ist: Die Schüler/innen lernen nicht das, worauf es eigentlich ankommt - nämlich einen Vortrag zu halten, der Wirkung erzielt. Sie lernen vielmehr, hohle Vorgaben stumpfsinnig umzusetzen, damit die Lehrerin zufrieden ist und ihnen eine gute Note gibt. So erziehen wir Schüler/innen zu hölzernen Marionetten - die auch noch glauben, sie lernen etwas Sinnvolles. Dies pervertiert jegliche didaktische Vision zur Gänze - nichts ist einer Erziehung zur Selbstständigkeit und zur reflektierten, freien Entscheidung ferner als das "Präsentieren".

Ziel der Präsentationserziehung sollte es sein, die Schüler/innen zu befähigen, erfolgreich mit Gruppen zu kommunizieren.

1) Zwingende Voraussetzung für gelingende Kommunikation

Kommunikation funktioniert vereinfacht gesagt so: Eine Sender/in sendet eine Nachricht an eine (oder mehrere) Empfänger/in. Die Empfänger/in macht irgendetwas damit (die Nachricht interpretieren, verstehen, nicht verstehen, usw.). Dann gibt die Empfänger/in Rückmeldung oder auch nicht, was von der Sender/in wiederum als Nachricht interpretiert, (nicht) verstanden … werden kann usw. Letztlich oszillieren Sender/in und Empfänger/in beständig zwischen beiden Rollen.

Einfaches Sender-Empfänger-Kommunikationsmodell

Das ist ein kompliziertes System, und die Frage nach den Bedingungen für gelingende Kommunikation ist Gegenstand zahlreicher Disziplinen. Doch die erste, wichtigste Frage ist diese:

Unter welchen Umständen kommt die Nachricht in ihrer rein physischen Form möglichst vollständig bei der Empfänger/in an?

Wenn Sie auf dem Klo sitzen und "Sollen wir nachher einkaufen gehen?" flüstern, wird diese Nachricht bei Ihrem Schwager, der sich gerade im Schwimmbad aufhält, nicht ankommen - einfach weil die Schallwellen nicht bis zu ihm vordringen. Auf Vorträge gemünzt: Die Zuhörer/innen müssen wahrnehmen können, was die Vortragende ihnen "schickt". Das bedeutet:

  • akustisch verstehen, was gesagt wird (= laut genug und deutlich reden)
  • erkennen können, was gezeigt wird (= Schrift und Bilder groß genug, ausreichend Kontraste etc.)

Gute und schlechte Folie, ausgerichtet auf Möglichkeit der Wahrnehmung

Wenn sichergestellt ist, dass die Nachricht in ihrer rein physischen Natur von den Zuhörer/innen aufgenommen werden kann, sind die notwendigen Voraussetzungen für eine möglicherweise gelingende Fortsetzung des Kommunikationsprozesses erfüllt. Soll heißen: Erst dann besteht für die Zuhörer/in überhaupt die Möglichkeit, die Nachricht so zu verarbeiten, wie die Vortragende es beabsichtigt hat.

Wo liegt die Grenze? Wenn die Zuhörer/innen den Text einer Folie nur mit großer Anstrengung und zusammengekniffenen Augen entziffern können, verschwenden sie kognitive Kapazitäten für einen sehr technischen Vorgang. Diese Kapazitäten fehlen dann für die Verarbeitung der Nachricht(en). Das gilt übrigens auch für die Frage, ob von der Folie "abgelesen werden darf" oder nicht. Unzweifelhaft hemmt die parallele Präsentation von geschriebenem und gesprochenem Text die Aufnahmefähigkeit (mehr dazu: Powerpoint-Präsentationen: Da rein, da raus).

2) Voraussetzungen für einen erfolgreichen (= wirkungsvollen) Vortrag

Sind die oben aufgeführten zwingend notwendigen Voraussetzungen erfüllt, kommen didaktische Fähigkeiten, ästhetischer Geschmack, situativer Kontext usw. ins Spiel. Es ist fast unmöglich, konkrete Hinweise zur Gestaltung/Durchführung eines Vortrags zu geben, ohne diese Vielzahl der Einflussfaktoren zu berücksichtigen.

Letztlich zählt jedoch nur der Erfolgsfaktor: Wurde mit dem Vortrag die angestrebte Wirkung erzielt?

Wir betrachten zur Illustration ein häufig diskutiertes

Beispiel: Anzahl der Wörter pro Folie

Wenn wir den Schüler/innen beibringen, dass eine gewisse Maximalzahl von Wörtern pro Folie nicht überschritten werden darf, dann weil wir nicht wollen, dass sie Wikipediatexte auf die Folien kopieren und uns das vorlesen, ohne den geringsten inhaltlichen Schimmer davon zu haben.

Trotzdem ist die Einschränkung "Höchstens sieben Wörter pro Folie" oder "Keine ganzen Sätze" nicht grundsätzlich sinnvoll. Es gibt Situationen, in denen Folien voller Text das einzig Richtige sind.

Situation 1: Gesetzesentwurf vorstellen/diskutieren

Sie stellen in einem Bundestagsausschuss Ihre Überarbeitung eines Gesetzesentwurfs vor und möchten einige Formulierungsdetails besprechen.

Welche Wirkungsabsicht verfolgen Sie mit Ihrem Vortrag? Die Zuhörer/innen sollen mit dem genauen Wortlaut des Textes vertraut gemacht werden und schwierige Formulierungen diskutieren/verbessern.

Alle brauchen deshalb die entsprechenden Textstellen vor sich. Also: Der Volltext muss (lesbar natürlich) an die Wand. Man könnte ihn auch auf Papier austeilen, aber dann geht das Geblätter los, wenn man eine bestimmte Stelle sucht.

Natürlich wird das ein zähe Sitzung. Aber in einer Mammutdiskussion über den Wortlaut eines Gesetzesentwurfs sind Motivation und Unterhaltungsfaktor nunmal nicht wichtig. Und das Ziel sind nicht glückliche Teilnehmer/innen, sondern geschliffene Formulierungen.

Situation 2: Das Leben der Cowboys

Sie zeigen einer 6. Klasse, wie die Cowboys gelebt haben (Einstieg Unterrichtseinheit "Cowboys").

Welche Wirkungsabsicht verfolgen Sie mit Ihrem Vortrag? Die Schüler/innen sollen Interesse und Spaß am Thema entwickeln und schon etwas über das Leben der Cowboys erfahren.

Ganz klar ist Anschaulichkeit hier der didaktische Hebel. Da Sie keinen Cowboy zum Anfassen haben, könnten Sie mit Fotos/Bildern arbeiten (alternativ natürlich mit Film, Geschichte vorlesen etc.). Also: Hier würde man vor allem mit wandfüllenden Fotos arbeiten.

Folien voller Text führen schnell zu Langeweile, die Schüler/innen werden unaufmerksam; inhaltlich wird nichts hängen bleiben, auch Motivation wird keine entstehen.

Beispiel: gute Folie und schlechte Folie

Unschwer zu erkennen: Das gleiche Gestaltungsprinzip kann in verschiedenen Situationen eine ganz unterschiedliche Wertigkeit erhalten.

Am Schluss zählt nur: Hat der Vortrag die angestrebte Wirkung erzielt? Haben die Zuhörer/innen sich mit den Formulierungen des Gesetzesentwurfs auseinandergesetzt? Haben die Sechstklässler/innen Spaß am Thema "Cowboys" bekommen und schon einige Fakten aufgeschnappt?

Die zentrale Frage nach der Wirkung

Wenn die notwendigen Bedingungen (Inhalte kommen physisch wahrnehmbar an, s.o.) erfüllt sind, ordnet sich der Rest der Wirkungsabsicht unter.

Hat Ihr Vortrag zum Ziel, die Lust auf den Kauf einer Heizdecke zu wecken, dann war der Vortrag dann erfolgreich, wenn 80 Prozent der Zuhörer/innen anschließend eine Heizdecke kaufen. Ob Sie eine Folie verwendet haben oder 100, ob auf den Folien Bilder waren oder nicht, ob Sie am Schluss "Danke" gesagt haben oder nicht - alles völlig egal. Es zählt die Anzahl der verkauften Heizdecken.

Häufig verfolgen Sie mit einem Vortrag mehrere Wirkungsabsichten. Während Sie als Heizdeckenverkäufer wirklich nichts, aber auch gar nichts anderes interessiert als die Anzahl der verkauften Heizdecken, haben Sie als Redner einer Organisation oder als Abteilungsleiter neben der Hauptwirkungsabsicht vielleicht noch weitere Ziele: Sie möchten als Person seriös oder kompetent wirken, oder: Sie möchten die Zuhörer/innen motivieren und begeistern, oder: Sie möchten ein gutes Klima schaffen.

Was Schüler/innen fürs ordentliche "Präsentieren" lernen müssen: Wirkung erzielen

Lernziel 1: Zwingend notwendige Voraussetzungen für gelingende Vortragskommunikation

Die oben skizzierten notwendigen Bedingungen sind nicht verhandelbar und sind als grundlegendes "Muss" in jedem Vortrag umzusetzen. Das zu lernen ist nicht schwierig. Meist sind es akustische Punkte, wo man zu arbeiten hat (v.a. Genuschel oder Lautstärke bei eher schüchternen Personen).

Lernziel 2: Wirkung erzielen

Neben diesen notwendigen Bedingungen gibt gewisse lern- und kognitionspsychologische Grundsätzlichkeiten, die Schüler/innen nicht unbedingt beherrschen. Monotone Frontalbeschwallung mit textlastigen Folien beispielsweise wird in der Regel dazu führen, dass die Zuhörer/innen abschalten und nichts mitbekommen. Wer ohne Blickkontakt vorne rumzappelt, wird nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die er/sie braucht. Aber genau DAS ist es, was die Schüler/innen lernen sollen: ein Gefühl dafür zu entwickeln, was wirkt. Und dass sie, die Vortragenden, es sind, die Wirkung erzeugen - nicht eine tumbe Software wie Powerpoint oder Prezi.

Was die Schüler/innen dagegen nicht lernen müssen, ist eine Vorgabe, wie viele Folien man pro Minute braucht oder ob am Anfang eines Vortrags eine Folie mit Inhaltsverzeichnis stehen soll oder nicht. Im Unterricht müssen sie doch auch jeden Furz selbst entdecken, erarbeiten, erkennen, entwickeln - warum dann nicht auch, wie viele Folien man braucht? Ob man zur Wand sprechen sollte? Ob die Bilder groß oder klein sind?

Unterrichtstipp: Individuell Kriterien für einen erfolgreichen Vortrag formulieren

Am Anfang einer jeden Vortragsvorbereitung steht also die Frage nach der Wirkungsabsicht: Was will ich mit meinem Vortrag bezwecken?

  • Will ich etwas verkaufen?
  • Will ich eine Meinung erzeugen?
  • Will ich die Zuhörer/innen zum Nachdenken anregen?
  • Will ich ihnen etwas beibringen?

Es ist überaus sinnvoll, wenn die Schüler/innen Haupt- und Nebenziele formulieren. Das erleichtert die Vorbereitung und erlaubt nach dem Vortrag eine Überprüfung auch durch die zuhörenden Schüler/innen.

Eine solche Unterteilung könnte so aussehen:

Mein Vortrag "Cowboys"

Hauptziel

Die anderen sollen erfahren, wie die Cowboys gelebt haben.

Weitere Ziele

Ich möchte seriös wirken.
Mein Vortrag soll den anderen Spaß machen.

Nach Abschluss des Vortrags steht die Frage im Raum, ob diese Ziele erreicht wurden und wenn nein, warum nicht. Damit kommt man zum Kern der Sache, und endlich hält eine ordentliche Begrüßung zu Anfang des Vortrags ihren Sinn. - »Na, ihr Chabos, hihihi, ich drück euch heute was über Cowboys rein *rülps« konfligiert mit dem Ziel »Ich möchte seriös wirken.«

Fazit: schleimen oder vortragen?

Der wichtigste Punkt bei der Planung eines Vortrags ist immer Wirkungsabsicht und Kontext (s.o.: Heizdecken vs. Cowboys).

So lange Schüler/innen die Wirkung ihrer Vorträge nur auf Lehrer/innen, Schulnoten und Lernerfolg ausrichten, lernen sie nicht gut vorzutragen. Sie lernen nur, gut zu schleimen.

Und, man erlaube die Anmerkung: Das geht auch ohne PowerPoint.

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