Rechtschreibreform
Rechtschreibreformreform - Wir dürfen schreiben, wie wir wollen! 04.03.2006, 20:54
Die Kultusministerkonferenz hat die Änderungsvorschläge des Rats für deutsche Rechtschreibung gebilligt. Effekt: Alle pfeifen auf das Regelwerk. Sogar DeutschlehrerInnen.
Wie geht es jetzt weiter?
Ab 01.08.2006 stellt die reformierte neue Rechtschreibung (amtliche Sprachregelung: “deutsche Rechtschreibung in der Fassung von 2006”) verbindliche Grundlage des Unterrichts an Schulen dar, auch Bayern wird diesmal mitziehen. Bis zum 31.07.2007 werden Schreibweisen, die durch die amtliche Regelung (Stand 2006) überholt sind, nicht als Fehler markiert und bewertet. Also wieder mal eine Übergangsphase - diesmal in Dauer eines Jahres.
Reaktionen
Schulbuchverlage
Am meisten kotzt es natürlich die Schulbuchverlage an. Zwar betont die Kultusministerkonferenz explizit:
Schulbücher können weiter benutzt werden; sie werden im üblichen Erneuerungsturnus ausgetauscht.
Aber das ist natürlich nur leeres Blabla. Die Schulbuchverlage beginnen stehenden Fußes mit der Umstellung, da die Verwendung der 1998er-Rechtschreibung in kürzester Zeit zu Wettbewerbsnachteilen führen wird. Schon zu Beginn des nächsten Schuljahres werden neue Bücher erscheinen - und das kostet natürlich Geld.
Der Verlag [Westermann/Schroedel/Diesterweg] gibt knapp 10.000 unterschiedliche Schulbücher heraus. Auch der Ernst Klett Verlag in Stuttgart will Zug um Zug die Änderungen umsetzen, die die Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen hat.
n-tv.de 03.03.2006: Teure Rechtschreibreform-Reform: Ratzfatz neue Schulbücher
Presse
Die Springerpresse (Bild, Die Welt usw.) will prüfen, ob man die NDR Fassung 2006 irgendwie gut finden kann; die FAZ bleibt natürlich bei der alten Rechtschreibung und hält damit den akademischen Schein aufrecht, ohne den sie unweigerlich zum Gespött aller würde.
Berichterstattung “Reformierte Rechtschreibreform”
Wo immer berichtet wird, sieht man jetzt sehr häufig den dreifachen Vergleich: alt - neu - neureformiert. Das erfreut sowohl BefürworterInnen als auch GegnerInnen der Reform (“Wir haben es immer gewusst, dass das die bessere Lösung ist!”).
Beispiel von n-tv.de
Zivilisten
Die Gegner der Rechtschreibreform werden auch nach der Reform der Reform das Widerwort nicht aufgeben, zu verbissen lieben sie die alte Rechtschreibung.
Diese Personengruppe hat eine starke Lobby, die lautstark und effizient agitiert. Das wird dazu beitragen, dass die Akzeptanz der NDR 2006 in der Bevölkerung nach wie vor keine breite Basis finden wird.
Der Rest des Volks wird in Zweifelsfällen schreiben, wie es eben gefällt. Die Frustrationsgrenze und damit auch die Lernbereitschaft sind überstrapaziert. Wozu auch in das neue Regelwerk einarbeiten? Wozu die Selbstquälerei? Eine weitere Reform der Reform der Reform kommt bestimmt (und daran sind oben genannte Agitatoren in keiner Weise unschuldig).
Alle pfeifen auf das Regelwerk. Schamlos.
Damit stehen wir vor einer Situation, die so in keiner Weise zu erwarten war: Es gibt ein amtliches Regelwerk - und es gibt wirklich keinen, der nicht darauf pfeift. Sogar die DeutschlehrerInnen werden einfach mal ein Äugchen zumachen, wenn sie selber nicht ganz firm sind. Und fragt ein Schüler: “Frau Z, wie schreibt man jetzt eigentlich ‘näher-kommen’?”, so wird Frau Z, seit Jahrzehnten Deutschlehrerin, ihm schamlos ins Gesicht sagen, dass sie glaubt, man schreibt es zusammen, aber sie wüsste es nicht genau. Und sie wird dabei keinen Ehrverlust erleiden - im Gegenteil.
Der Journalist wird nicht x-mal im Duden (Fassung 2006) nachschlagen - er wird seinen Text schamlos dem Lektor - soweit vorhanden - vorlegen, wie er ihn für richtig hält. Und dieser wiederum wird auch hier und da nach Gefühl korrigieren. Und der Chefredakteur wird nichts bemerken. Und keiner verspürt Scham dabei.
Dabei wird sich die orthografische Landschaft nicht maßgeblich verändern. Die Speisekarte beim Chinesen wird nicht mehr oder weniger Rechtschreibfehler aufweisen, als sie es bisher tat, denn an der Schreibung von “Hühnchen mit weißen Bohnen” hat sich nichts geändert (zum Glück).
Und deshalb können wir alle damit leben. Das Volk ist des Streitens überdrüssig.
taz: “Hoffentlich ist jetzt wirklich alles vorbei.”
Ein sehnender Wunsch geht durch Deutschland. Kein Mensch hat mehr Lust auf die sinnlose, banale Streiterei. Um es mit der taz zu sagen:
Hoffentlich ist jetzt wirklich alles vorbei. Hoffentlich werden nie wieder 16 Ministerpräsidenten über die Rechtschreibung streiten, werden Schriftsteller je noch den Untergang des Abendlandes herbeischreiben, wird sich keine Zeitung mehr mit der angeblichen oder tatsächlichen Rückkehr zur alten Rechtschreibung wichtig machen.