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Udo Pastörs (NPD) macht Wahlkampf

Brauner Tag im Leben eines Sozialkundelehrers 22.01.2013, 21:56

Udo Pastörs wahlkämpft unaufgefordert vor einer Schulklasse (Ausschnitt YouTube)
Bild: Videostandbild

Super-GAU im Leben eines Lehrers: Der rechtsextreme NPD-Politiker Udo Pastörs mischt sich in einen Klassenausflug und macht 17 Minuten Wahlkampf vor Neuntklässlern. Der Lehrer steht düpiert daneben und lässt ihn gewähren. Er dürfte aktuell schlecht schlafen - denn die NPD hat das Video sofort als Wahlkampf-Medium ins Internet gestellt. (Update 22.01.2013)

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  • (geändert: )

Der Vorgang hatte noch ein juristisches Nachspiel (siehe unten; angefügt am 22.01.2013, Originalbeitrag 03.09.2011).

Der Täter: Udo Pastörs

Udo Pastörs sitzt als Abgeordneter für die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Seine politische Gesinnung ist bekannt, ein kurzes Zitat aus Wikipedia:

1998 fiel Pastörs als Unterzeichner einer 22-seitigen Schrift auf, die sich unter dem Titel Völkermord am deutschen Volk gegen Ausländer und sogenannte Ausländerfreunde in der Politik richtete und in der die Abschaffung des Asylrechts und die Abschiebung aller Asylbewerber und Gastarbeiter verlangt wurde.

Wikipedia: Udo Pastörs

Kurz vor den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern zieht Udo Pastörs mit einem Kameramann durch die Lande und betreibt unkonventionellen Wahlkampf. Unter anderem besuchte er am 31.08. eine Wahlkampfveranstaltung der LINKEN und ging dort allen Anwesenden auf die Nerven, bis die Polizei ihn fortschaffte. Auf dem YouTube-NPD-Kanal "weiterdenkenTV" erscheint das Video, die Aktion wird  in flammenden Worten geschildert: "Durch Anwohner herbeigerufen stellten wir die Genossen Gysi und 'Moskau-Holter' in einer Gaststätte in Ueckermünde."

Udo Pastörs drängt sich einer Schulklasse auf

Am gleichen Tag befindet sich ein Sozialkundelehrer der Regionalschule "Hanno Günther" mit einer 9. Klasse auf Straßenexkursion um Wahlplakate zu analysieren. Auch hier erscheint Udo Pastörs wie aus dem Nichts. Nach einer kurzen Abklärung mit dem Lehrer beginnt Pastörs den Schüler/innen zu erklären, wie die Welt funktioniert. Er hält sich - im Gegensatz zu anderen Situationen - weit gehend zurück und beschränkt sich in seinen Ausführungen auf die "kriminellen" Ausländer. Natürlich kommen auch die "Bonzen", die "EU-Diktatur" und "wir machen's nicht wie Amerika [...da] schießen die ausm Hubschrauber auf Ausländer". Umgehend stellt die NPD das Video ins Netz (YouTube-Link) mit der gefälligen (wenn auch grammatisch etwas undeutschen) Anmerkung:

In Ferdinandshof traf Udo Pastörs auf eine Schulklasse, die gerade Anschauungsunterricht an Wahlplakaten - in diesem Falle an einem NPD-Plakat - machten [sic]. Sie scheuten sich nicht, den NPD-Spitzenkandidaten zum Plakat zu befragen.

Die Schüler/innen reagieren eher gelangweilt (was die NPD nicht davon abhielt, das Video unter dem Titel "Udo Pastörs wird von einer Schulklasse befragt" einzustellen). Die sueddeutsche.de sieht eher Ablehnung seitens der Schüler/innen, weil sie mit verschränkten Armen dastehen und sich einige unterhalten: "Den Schülern ist der Mann unangenehm." (sueddeutsche.de 02.09.2011: Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern - NPD missbraucht Schüler für Propaganda-Video).

Fraglich ist außerdem, ob Udo Pastörs durch die eigenmächtige Veröffentlichung des Videos nicht die Persönlichkeitsrechte der Schüler/innen verletzt. Diese sind minderjährig, die Veröffentlichung bedarf wohl der Zustimmung der Eltern:

Der NPD droht hingegen ein juristisches Nachspiel, denn möglicherweise wird ein Großteil der Eltern der im Film gezeigten Schüler Klage einreichen. Dem "Nordkurier" zufolge benutzte die NPD das Material ohne Erlaubnis der Erziehungsberechtigten. Ein Anwalt prüft nun, ob die rechte Partei den Mitschnitt weiter zur Wahlwerbung einsetzen darf.

Spiegel Online 02.09.2011: Schulstunde mit Herrn Neonazi

Udo Pastörs treibt ungebeten Wahlkampf vor einer Schulklasse - YouTube-Video

Der Lehrer

Verlierer des Tages ist der begleitende Lehrer. Er steht mit verschränkten Armen da und beäugt Pastörs kritisch - lässt ihn jedoch ungehindert schwadronieren. Sogar der Bildungsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Henry Tesch (CDU), muss umgehend eine Stellungnahme abgeben:

Bildungsminister Tesch kam extra aus Schwerin angefahren, sprach mit den Schülern, mit der Schulleitung, mit dem Lehrer, der Pastörs nicht stoppte. Tesch nennt Pastörs [Verhalten] "perfide und skrupellos", das den Lehrers [/den Lehrer] kritisiert er für sein klares Fehlverhalten. Allerdings nimmt Tesch ihn auch in Schutz.

sueddeutsche.de 02.09.2011: Anleihen bei Joseph Goebbels

Hat der Lehrer tatsächlich einen Fehler gemacht?

Politik-, Sozialkunde-, Gemeinschaftskunde- usw.-Lehrer/innen bringen ihren Schüler/innen bei, was Demokratie bedeutet: argumentieren statt schlagen, Offenheit statt Vorurteil, Toleranz statt Repression. Das sind die zentralen Erkenntnisziele des Politikunterrichts - nicht etwa die Kenntnis der Verfassung der USA oder das Geburtsdatum des ersten Bundespräsidenten.

Entsprechend hat sich der Lehrer verhalten. Udo Pastörs tauchte auf und bot sich zum Gespräch an - was könnte besser zur Politikerziehung passen? Jetzt konnten die Schüler/innen zeigen, was sie im Unterricht gelernt hatten. Dass Pastörs die Chance ausschlachten und  sich vor der Kamera produzieren würde, damit hatte der gute Mann nicht gerechnet. Und ordentliche Alternativen gab es kaum welche:

  • Pastörs unter Androhung von Schlägen zum Verschwinden auffordern - pervertiert die Idee der Demokratie (die NPD ist schließlich keine verbotene Partei), außerdem hätte jemand wie Pastörs für etwas Presse und etwas Schmerzensgeld liebend gerne eine blutige Nase riskiert (die hätte er sich zweifelsohne geholt, der Lehrer ist immerhin Sportler).
  • Udo Pastörs argumentativ entlarven. Keine Chance. Ein glitschiger, erfahrener Politiker, der seit Jahren immer die gleichen Phrasen möglichst verfassungskonform drischt - der Lehrer hätte nur verlieren können. Und damit hätte er erreicht, dass die Schüler/innen hinterher vielleicht doch denken: Der NPD-Mann weiß es besser als unser Lehrer.

Die einzige konstruktive Möglichkeit: Pastörs auffordern, die Kamera unverzüglich abzuschalten und ihm anbieten, dass er gerne einmal in einer Unterrichtsstunde vorbeikommen könne. Dann hätten sich die Schüler/innen nämlich zuvor mit dem braunen Programm der NPD und den braunen Hintergründen Pastörs beschäftigen können - das wäre ein richtig interessantes Gespräch geworden.

Aber wer kommt spontan auf diese Idee, wenn er gerade noch seinen Schüler/innen gepredigt hat, dass man sich in einer Demokratie austauschen muss, um zu einem Konsens zu kommen? Eine alte Falle der Braunen: Überrumpelung. Und der arme Sozialkundelehrer ist prompt hineingetappt. Mögen wir es ihm nachsehen. Er dürfte an der Geschichte noch eine Weile zu kauen haben.

Vier Monate später: Juristisches Nachspiel

Nachtrag, 22.01.2013

Die Eltern der Schüler/innen, die auf dem Video auftauchen, haben gegen den Vorgang geklagt und Recht bekommen:

Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende, Frank Schwerdt, muss jetzt wegen des illegalen Wahlkampfvideos an jedes der zwölf Kinder 1.000 Euro Entschädigung zahlen. Ein entsprechendes Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom Herbst 2012 ist nach Ablauf der Berufungsfristen nun rechtskräftig [...].

Störungsmelder 22.01.2013: Kinder siegen vor Gericht gegen die NPD (blog.zeit.de/stoerungsmelder)

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Kommentare

9

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  • #1

    Find ich geiiiiiiil dass die kiddies 1000 Euro abgefasst haben- der totale Sieg! ^^

    schrieb heiiiidi am

  • #2

    @Jossi
    klasse re"action”! solche lehrer braucht das land!

    schrieb schultid am

  • #3

    Ich halte es nicht für richtig, den Mann ungehindert reden zu lassen, und ich wäre auch gar nicht dazu in der Lage gewesen. Mir würden solche NPD-Parolen so über die Hutschnur gehen, dass ich gar nicht anders gekonnt hätte, als ihm zu widersprechen.
    Letztes Jahr tauchten morgens vor unserer Schule zwei Pro-NRW-Leute auf und verteilten Broschüren an die eintreffenden Schüler - knapp außerhalb des Schulgeländes, so dass man es ihnen nicht verbieten konnte. Also habe ich mich neben sie gestellt und zu den Schülern gesagt: “Passt auf, das ist Hetzpropaganda.” Hat den Herren nicht gefallen. Aber wenn die das Recht auf freie Meinungsäußerung haben, habe ich es auch.

    schrieb Jossi am

  • #4

    Ein Sozialkundelehrer, der argumentativ sich einem Udo Pastörs unterlegen fühlt und kneift sollte sich um berufliche Alternativen Gedanken machen.

    schrieb Horst Lehnert am

  • #5

    Ich lasse meine Schüler in meinem Unterricht von niemandem filmen!

    schrieb Edgar am

  • #6

    Der Kollege hätte außerdem unter Verweis auf sein Persönlichkeitsrecht die Veröffentlichung des YouTube-Videos sofort (ggf. durch Erwirkung einer Einstweiligen Verfügung) relativ schnell unterbinden können. Die Eltern der Schüler hätten selbiges zur Wahrung der Rechte ihrer Kinder ebenfalls unternehmen sollen. Ein Rechtsanwalt hilft da gerne weiter. ;-)

    Der Einschätzung von “Rein”, Pastörs sei ein “versierter Redner” stimme ich nicht zu. Ich habe selten einen Menschen in der Öffentlichkeit einen schlimmeren Unsinn stammeln und radebrechen hören. Insofern ist dieses Video ein einzige Blamage: Aber nur für den Neonazi Pastörs.

    schrieb Peter Rachow am

  • #7

    Eine argumentative Entlarvung halte ich auch für falsch. Die Vorstellung, ich als Politiklehrer hielte vor den Augen meiner Klasse ein Wortgefecht mit einem NPD Abgeordneten ab, würde die Lage wohl nicht verbessern. Mal davon abgesehen, dass wir es hier zumeist mit einem versierten Redner zu tun haben, der am Ende möglicherweise noch einen positiven Eindruck bei den Schülern hinterlässt.

    Ich würde das Gespräch wohl verweigern und dem Kameramann jegliches Filmen untersagen. Anschließend müsste man diesen Vorfall mit all seinen Handlungsmölglichkeiten im Unterricht besprechen. Auch eine Einladung in die Schule halte ich nicht für richtig, da NPD Abgeordnete auch in der Schule nichts zu suchen haben! Die Auseinandersetzung mit der NPD/DVU etc. findet in meinem Unterricht nur auf der Basis von Texten, Wahlprogrammen und Videoausschnitten statt.

    schrieb Rein am

  • #8

    Ich habe großen Respekt vor dem Lehrer. Natürlich hätte er die Filmerei untersagen müssen, hätte vielleicht hier und dort anders auf das Geschwafel reagieren sollen… aber ich bin froh, dass hier mal ein Artikel zu lesen ist, der diese Versäumnisse mit Milde betrachtet. Und schließlich: Der Lehrer zitiert ganz am Anfang (und ich halte das unbedingt für glaubwürdig) einen Schüler mit den Worten „Da kommen gerade die Herren, fragen wir die doch mal.“ Hätte er etwa dem Schüler sagen sollen “Nein, mit sowas reden wir nicht”?
    Eine gute Idee wäre vielleicht, die Schüler Pastörs Ausführungen im Deutschunterricht analysieren zu lassen. Sätze wie diese:

    „Abstrakt gesehen, würde das ja bedeuten, daß die faulen Deutschen ihre Arbeit gemacht bekommen sollen von Ausländern, die arbeiten wollen, ne, so umformuliert. Das geht aus, äh, staatsrechtlichen Gründen nicht, weil, äh, in Deutschland gilt ein Ausländergesetz, wir haben ein Ausländerges-, Ausländerrecht nennt sich das, ja, und dieses Ausländerrecht ist klar definiert. Da steht drin, wer in Deutschland, ähm, äh, hineinkommen darf und hier ‘ne Arbeitserlaubnis bekommt und wer nicht. So. “

    oder jene:

    „Ich hab Geld und hatte Geld, sonst darf man ja gar keine Politik machen, muß ich inne CDU gehen, da kann ich das machen, aber NPD ohne Geld – keine Chance. Wirste geächtet, wirste fertiggemacht.“

    sind doch ein gutes Anschauungsmaterial für die Notwendigkeit von Grammatik und Logik.

    schrieb Claudia Sperlich am

  • #9

    Vielen Dank für ihre Vorschläge für ein Alternativ-Verhalten des Lehrers. Vielleicht hätte er den Rhetoriker Pastörs tatsächlich nicht argumentativ „entlarven“ können. Ok.
    Aber allein schon bei so Dingern wie “Kraft durch Freude” hätte man Ihn durch kleine satirische Störungen aus der Fassung bringen können. Wie zum Beispiel (mit ironischen Unterton): „ Kraft durch Freude?? Super Slogan! Ist der ihnen grad eingefallen? Wo ham’se den denn her?“ Checken die Schüler dann vielleicht nicht, aber zumindest wär sein Wahlkampf-Monolog kurz unterbrochen gewesen.
    Ich hätte also versucht den Pastörs so gut wies geht lächerlich dastehen zu lassen. Am besten von einem Schüler mitgefilmt, falls die Sache eskaliert. Im Endeffekt ist der Lehrer aber natürlich ne arme Sau. Kopf hoch!

    schrieb kevko am

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