Der Erfinder: Günthers Kerzenlampe 15.02.2016, 06:39

Bild: Kerzenlampe

Was im Kopf eines Erfinders vorgeht, kann man nicht wissen. Was bei ihm aber vorging, als das edle Werk fertig war, erfährt man im Buch Walter Günthers »Die mechanische Bratwurst«. Rein physikalisch lässt er uns trotzdem knobeln.

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Der Erfinder: Kerzenlampe

Am Anfang unserer kleinen Reihe »Der Erfinder« stellten wir Walter Günthers Glocke vor. Im folgenden Beitrag ist es eine Kerzenlampe. Beide Themen behandelt Günther in seinem lesens- und studierenswerten Buch 

Die mechanische Bratwurst 
Die Erfindungen des Schlossermeisters Walter Günther 

Hier zunächst ein Foto der Kerzenlampe (Bild 1). 

Gesamtbild der Kerzenlampe

Was im Kopf eines Menschen vorgeht, wenn er Dinge erfindet, kann man nicht wissen. Was in Walter Günther vorging, als er auf die Idee kam, wissen wir, denn er hat es in seinem Buch beschrieben (leicht gekürzt): 

»Möchte man das Licht einer Kerze mit einem Reflektor dauerhaft bündeln, ist es nötig, die immer kürzer werdende Kerze auf die Höhe des Reflektors nachzuführen. Altbekannte Lösung hierfür: In einem senkrechten Blechzylinder wird die Kerze mittels einer unter ihr eingeschobenen und arretierten Feder nach oben gegen die stark verengte Öffnung gedrückt. Nur der Docht schaut oben heraus. Beim Verbrennen des Wachses wird die Kerze von unten langsam (von Hand) nachgeschoben. Die Flamme bleibt somit dauerhaft im Fokus.  
Nun ließ es mir keine Ruhe, dieses versteckte automatische Nachschieben der Kerze im Zylinder mittels Feder durch eine offenere, durchaus verspieltere Bauweise, zu ersetzen. Ich ersetzte als Erstes die Kraft der Feder durch ein Gewicht, das mittels Kordel über eine Umlenkrolle den Kerzenköcher mitsamt der Kerze nach oben in den Brennring drückt. ... Zunächst entstand eine Art dekorativer Strahler mit leicht geschwungenen Formen und einem polierten Messingreflektor, der gebündeltes, goldwarmes Licht erzeugte. Doch mein innerer Drang nach perfekter Funktionalität ließ mich den Leuchter mit seinem gesamten Nachführmechanismus so ändern, dass eine “historische” Arbeits- und Leselampe mit einem waagrechten Schirm entstand, die das Licht der Kerze nach unten auf die Lese- oder Arbeitsfläche reflektierte. ...  
Hätte es die Günther’sche Leselampe schon vor hundertfünfzig Jahren gegeben, sie hätte sicherlich auch wegen ihrer gefälligen Form in mancher guten Stube ihren Platz gefunden.
« 

Ein anderer, verstellbarer Kerzenhalter, den man bereits im Mittelalter kannte, hat im Französischen den originellen Namen »Rat de cave«, Kellerratte (Bild 2).

Rat de cave, Kellerratte, zeigt in Weinkellern die Anwesenheit von CO2 an

Die Kellerratte wurde in Weinkellern gebraucht, in denen es zu Zeiten des Wein-Gärungsprozesses lebensgefährlich werden kann. Beginnt das Licht der Kellerratte zu flackern oder verlischt es gar, muss der Winzer Reißaus nehmen, denn dann hat sich zunächst am Boden schweres, unsichtbares, geruchloses, erstickendes Kohlendioxid ausgebreitet.  
Wohl auch le rat de cave regte Walter Günther an, eine Kerzenlampe zu bauen. Das Ergebnis hat inzwischen nichts mehr mit den Ursprungs-Kerzenhaltern zu tun.

Aufgabe: Wir wollen es dem Leser nicht zu einfach machen und fragen ihn: Wie funktioniert diese Kerzenlampe? Wir bieten eine Hilfe an (Bild): Mit dem auf dem Tisch stehenden Ständer ist der Lampenschirm und die Rolle mit Kordel und Gewicht fest verbunden.  
Wie man auf dem Foto oben sieht, fehlt der waagrechte Kerzenhalter mit Kerzenschale und Kerze, kurz der »Schlitten«. Ein am Ständer angeschweißter Stab hat die Aufgabe, den Kerzenhalter daran zu hindern, dass er beim Hochgehen aus der Schirmmitte herausschwenkt. 
An die Konstrukteure in unseren Reihen geht die Frage: Wie sieht der Rest der Kerzenlampe aus? Zeichnen Sie den fehlenden Teil in die Skizze ein. Beschreiben Sie die Funktion der kompletten Kerzenlampe. 

Kerzenlampe als Freihandzeichnung

Lösungsvorschlag

In der Skizze unten ist die grüne Partie das, was fehlte. 

Über die Rolle zieht das feste System (blau gezeichnet) das untere bewegliche System (grün gezeichnet), den Schlitten, mit der Kerze nach oben. Wie schnell dieser Schlitten nach oben wandert, hängt von der Abbrenngeschwindigkeit der Kerzenmasse und der im oberen Deckel entstehenden Temperatur ab. Dort wird das Wachs weich und wird von der über das Seil eingeleiteten Druckkraft zusammengestaucht. Der Stauchvorgang gibt die sehr kleine Verschiebebewegung der Kerze vor. 

W. Günther erläutert: »Stößt der untere Köcher zum Schluss an den Haltering, dann erhitzt die Flamme ganzen den Ring. Das Restwachs schmilzt und wird vom Köcher aufgenommen. Meistens brennt der sich legende Docht das Restwachs mit kleiner blauer Flamme weiter. Das dauert dann manchmal bis zu 3 Stunden. Dann ist der Köcher bis auf den kleinen Restdocht sauber. 
Das ist bei den bisherigen Nachführmechanismen (im Zylinder mit Federschub) nicht möglich. Da muss gereinigt werden.«

Warum hat W. Günther zusätzlich zum unteren Gleitring mit Seilhaken den zweiten Ring über dem Kerzenschirm eingebaut? 
Er hatte wohl das Problem, dass sich der untere Gleitring beim Hochziehen verkantete (nach rechts wirkendes Drehmoment). Die Bremswirkung durch das Verkanten milderte er ab, indem der es auf zwei Ringe aufteilte.  
... und, hat W. Günther festgestellt: »Der Lichtkegel der Lampe reicht der zum Betrieb eines Solarrechners.«

In der Draufsicht sieht man den Haltestab, der verhindert, dass sich der Kerzenteller mit der Kerze verdrehen kann.

Kerzenlampe, Aufgabe gelöst


Das Buch 

Die mechanische Bratwurst  
Die Erfindungen des Schlossermeisters Walter Günther 

128 Seiten 

B3 Verlags- und Vertriebs-GmbH

ISBN: 978-3-938783-79-5 

Verkaufspreis: 29,90 Euro 

Erhältlich im Buchhandel, auch bei Amazon.

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