Deutsch im technischen Unterricht: Fremdwörter (6.2) 22.12.2015, 06:39
Fremdwörter regnet es nicht vom Himmel. Lassen ihre Erfinder immer die nötige Sorgfalt walten, wenn sie zwischen Fremdwort und ebenbürtiger, klarer deutscher Bezeichnung entscheiden sollen? Müssen zum Beispiel Sensor und Referenz wirklich so heißen? Der Beitrag möchte dem Leser helfen, ein Gefühl für die Fremdwortsucht zu entwickeln.
Deutsch im technischen Unterricht: Fremdwörter
Vom Druck des Fremdworts auf die deutsche Sprache
Machen Sie einen Versuch: Lesen Sie das Inhaltsverzeichnis eines Fachbuchs aus Ihrem Berufsbereich. Schreiben Sie alle Fremdwörter heraus. Kennzeichnen Sie diejenigen, die Ihrer Meinung nach inzwischen Bestand der deutschen Sprache sind. Dann werden solche übrig bleiben, die Sie für (noch) nicht richtig ins Deutsche eingebunden halten. Ersetzen Sie diese zweite Gruppe durch deutsche Ausdrücke.
Wir vermuten, das Ansinnen wird Sie zum Schwitzen bringen.
Auch der tec.LEHRERFREUND hat sich der Aufgabe gestellt. Sein Buch war eine »Fachbildung der Metalltechnik« 5. Auflage 2008. Dort fanden wir 37 Fremdwörter bzw. Fremdwort-Zusammensetzungen und entschieden, dass ein gutes Drittel davon durch deutsche Entsprechungen ersetzt werden könnte. In der Aufzählung unten sind sie mit einem Punkt • gekennzeichnet. Als Übersetzungshilfe haben wir WIKIPEDIA herangezogen. Was man uns hier und dort vorwerfen könnte: Die deutschen Begriffe sind zu lang, zu umständlich usw.
Begriffe aus dem Inhaltsverzeichnis des Fachbuchs:
•• Auditierung = Überprüfung, Kontrolle
• Definition = Bestimmung; eindeutige Festlegung der Bedeutung eines Ausdrucks
Duroplast
Elastomer
Elektropneumatik
Elektrik
Elektronik
• Flexibilität = Anpassungsfähigkeit
Funkenerosion
Hydraulik
• Inspektion = regelmäßige Besichtigung, Überprüfung
• Koaxial = gleichachsig
Konzept
Koordinaten
Kristallgitter
• Management = Direktion, Firmenleitung, Geschäftsführung, Geschäftsleitung, Leitung, Unternehmensführung, Werksleitung
Mechanik
Montage
• Multisensorentechnik = Mehrfachfühlertechnik
Optoelektronik
• Optimierung = Verbesserung (mit dem besten erreichbaren Resultat)
Organisation
• Operation = Vorgang, Schritt
Pneumatik
Programmieren
• Prozess = Hergang, Fortgang, Ablauf, Vorgang
Qualität
• Referenz = Bezugswert
• Sensor = Fühler
Statistik
System
Thermoplast
Toleranz
• Zertifizierung = Beurteilung (von Produkten, Dienstleistungen, Herstellungsverfahren)
Personen
System
• Zyklus = Kreislauf
In manchen Fällen ließe sich leicht ein Kompromiss finden. Beispiel: Flexibilität bedeutet im Allgemeinen Anpassungsfähigkeit. In der Mathematik bedeutet sie aber »eine Eigenschaft von Verknüpfungen«. Doch wie oft wird der mathematisch gemeinte Begriff benützt? Selten, deshalb könnte man im allgemeinen, aber auch technischen Sprachgebrauch Flexibilität ersetzen durch »Anpassungsfähigkeit«, und den Mathematikern ihre Flexibilität lassen.
Die mit einem Punkt gekennzeichnete Gruppe kann man zu den Fremdwörtern zählen, die »Druck« auf die deutsche Sprache ausüben. Sie fragen uns: »Lasst Ihr uns in Eure Sprache hinein oder nicht?« Dabei ist es nicht so, dass sie vom Himmel gefallen wären. Vielmehr sind sie Schöpfungen von Fachleuten, wurden der Fachsprache also eher aufgedrängt. Dabei ist es nicht sicher, ob die Erfinder immer die nötige Sorgfalt walten ließen, bei ihrer Entscheidung eine jeweils ebenbürtige, klare und möglichst eindeutige deutsche Bezeichnung zu finden.
Hier wäre die Autorität von DIN, dem Deutschen Institut für Normung gefragt, sprachsteuernd und sprachbildend zu wirken. Doch: gegen die Fremdwortsucht wird auch DIN kein Pülverchen haben.
Wir nehmen zwei Wortbeispiele aus unserem o. g. Fachbuch: Unter dem Thema »Längenmesstechnik« verwendet es die Begriffe Sensor und Referenz.
Sensor:
Ein Sensor (von lateinisch sentire, dt. „fühlen“ oder „empfinden“), auch als Detektor, (Messgrößen- oder Mess-)Aufnehmer oder (Mess-)Fühler bezeichnet, ist ein technisches Bauteil, das bestimmte physikalische oder chemische Eigenschaften (physikalisch z. B. Wärmemenge, Temperatur, Feuchtigkeit, Druck, Schallfeldgrößen, Helligkeit, Beschleunigung oder chemisch z. B. pH-Wert, Ionenstärke, elektrochemisches Potential) ... qualitativ oder als Messgröße quantitativ erfassen kann. Diese Größen werden ... in ein weiterverarbeitbares elektrisches Signal umgeformt.
Der tec.LEHRERFREUND stellt fest: Das Fremdwort Sensor könnte ohne Weiteres durch den deutschen Ausdruck Fühler ersetzt werden.
Referenz:
Referenz (vom lateinischen referre für ‚auf etwas zurückführen‘, ‚sich auf etwas beziehen‘, ‚berichten‘) bezeichnet:
– allgemein ein Bezugssystem,
– einen Bezugswert, für einen gewissen Messwert,
– ein Normal, eine gesetzliche Eichquelle,
– einen Stoff oder ein Objekt mit definierten Eigenschaften als Vergleich,
...
– Referenz (Programmierung), einen Verweis auf eine Variable, verwandt mit Zeigern
– Prüfreferenz (Informatik), gegen die die Erfüllung einer Anforderung geprüft wird
Der tec.LEHRERFREUND stellt fest: Das Fremdwort Referenz könnte ohne Weiteres durch den deutschen Ausdruck Bezugswert, vielleicht auch Bezugssystem ersetzt werden.
In der Rückschau stehen wir aber vor der Schwierigkeit, dass die beiden Fremdwörter längst in die deutsche Fachsprache eingebürgert sind. Das Rad lässt sich also nicht mehr zurück drehen.
Ähnlich wird es uns mit unseren Übersetzungsvorschlägen zu den Fachbuch-Fremdwörtern ergehen.
Anmerkung dazu:
– Den Begriff •• Auditierung scheinen die Verfasser des o. g. Fachbuchs erfunden zu haben. Allgemein ist nur von Audit die Rede.
– Optoelektronik: Der Begriff Optoelektronik (manchmal auch Optronik oder Optotronik genannt) entstand aus der Kombination von Optik und Halbleiterelektronik und umfasst im weitesten Sinne alle Produkte und Verfahren, die die Umwandlung von elektronisch erzeugten Daten und Energien in Lichtemission ermöglichen und umgekehrt.
Da Optik und Elektronik eingeführte Fremdwörter sind, können wir dem Kunstwort Optoelektronik seine Berechtigung nicht absprechen.
Blow-up
Es ist ein typischer Fall: In England und Amerika heißen sie Blow-ups. Deutsche Straßenbauspezialisten hören und lesen es und finden es supercool: Blow-up, klares, eindeutiges Wort, bloß zwei Silben. In der Sommerhitze 2015 gehen bei den Medien Meldungen ein, im Süden der Republik habe es zahlreiche Blow-ups und auch Unfälle gegeben – und schon hat im Irrgarten der deutschen Sprache ein neues Fremdwort gnädig Unterkunft gefunden. Der oder das Blow-up wird in Zukunft nie mehr anders heißen.
Werden sie später in ihren Fachzeitschriften schreiben, die Betonindustrie sei dabei, Antiblowupkomponenten zu entwickeln mit minimalem Längenausdehnungskoeeffizienten, kurz ABUKs? Würde sich irgendjemand dagegen wehren?
Arme deutsche Sprache!
Kein P(l)atzer
August 2015, 37°C im Schatten, Stau auf einer Autobahn. Herr A. und Herr B., die ausgestiegen sind, kommen miteinander ins Gespräch.
Herr A: Vor uns wird alles voll sein davon! Sind Sie auch drüber gefahren?
Herr B: Wo drüber?
Herr A: Nichts gemerkt? Ein, zwei Kilometer hinter uns ...
Herr B: Lag wat auf der Fahrbahn?
Herr A: Nee, ein typischer Blow-up.
Herr B: Blow-up? Wat is denn dat?
Herr A: Kennen Sie nicht? Hitze wie heute, Betondecke platzt auf und wölbt sich hoch.
Ich sage Ihnen, Sie meinen, Sie fahren über einen Bordstein.
Herr B: Is ja schlimm – und Sie sind da drüber gefahren? Wie nennen Sie dat nochmal?
Herr A: Blow-up.
Herr B: Wat heißt´n dat auf Deutsch?
Herr A: Wie gesagt: Aufplatzer. Die Betondecke ist in der Wahnsinnshitze aufgeplatzt,
aufgesprengt und steht hoch, richtig in die Landschaft hinein.
Herr B: Sie mögen wohl englische Ausdrücke?
Herr A: Das nicht unbedingt. Sie meinen sicher wegen dem Blow-up. Aber wenn so ´n Ding
Blow-up heißt, dann ist es eben ein Blow-up. Wie würden Sie das denn nennen?
Herr B: Entschuldigung, es geht weiter. Tschüs! Wünsch´ Ihnen noch Hals- und Blow-up!