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Professioneller Unterricht

»Nicht persönlich nehmen« - Konflikte mit Schüler/innen entschärfen 04.11.2010, 22:12

Boxer, die ihren Aggressionen freien Lauf lassen
Bild: Peter Gorden: Dave 'The Peruvian' Petryk and Dwayne Welsh [CC by]

Als Lehrer/in müssen Sie häufig Konflikte mit Schüler/innen austragen. Viele Provokationen oder Aggressionen durch die Schüler/innen beziehen sich auf Ihre professionelle Funktion (Erzieher/in, Bewerter/in ...), nicht aber auf Sie als Person. Wenn Sie sich diese Unterscheidung bewusst machen, können viele Konflikte mit Schüler/innen entschärft oder vermieden werden.

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Beispiel: Pausenaufsicht und Raucherecke

Bericht eines Lehrers
Bei jeder Pausenaufsicht komme ich in einen Bereich des Schulhofs, wo Schüler/innen herumstehen und rauchen - obwohl sie sich in einem Areal einige Meter weiter aufhalten sollten. Ich sage: “Bitte geht in die Raucherzone, hinter die weiße Linie.” Die Schüler/innen sind genervt von mir. Manche schauen mich demonstrativ nicht an und latschen provozierend langsam ins Raucherareal. Manche fragen mich: “Haben Sie nichts Besseres zu tun, als sich wegen dieser drei Meter aufzuregen?” Oder: “Sie haben ja echt Probleme.”

Tatsächlich hat der Aufsicht führende Lehrer keinerlei persönliche Probleme. Er tut nur seinen Job; vielleicht ist ihm persönlich ganz und gar egal, wo die Schüler/innen rauchen - aber sein Job ist es, dafür zu sorgen, dass nur im Raucherareal geraucht wird.

Es gibt Lehrer/innen, die die Sprüche der Schüler/innen als persönliche Unverschämtheit auffassen würden und sich entsprechend erregen. Es gibt andere Lehrer/innen, die die Sprüche der Schüler/innen ausschließlich auf ihren Aufsichts-Job gemünzt sehen und gutmütig antworten würden: “Ich mache hier Aufsicht und sorge dafür, dass die Schulordnung eingehalten wird. Ich habe gar keine andere Wahl, versteht ihr?” So etwas verstehen die Schüler/innen immer. Sie sind dann nicht mehr von der Lehrer/in genervt, sondern von der Schulordnung.

Im ersten Fall bezieht die Lehrer/in das Schülerverhalten auf sich als Person, im zweiten Fall auf ihre Funktion. Da der Lehrer vor allem aufgrund seiner Funktion/Rolle (“Lehrer in Pausenaufsicht”) disziplinarisch tätig wurde, ist es sinnlos, bei provozierenden Reaktionen der Schüler/innen auf der persönlichen Ebene zu reagieren.

Die Rollen der Lehrer/in

Sie als Lehrer/in haben verschiedene, sich häufig überschneidende Funktionen gegenüber Ihren Schüler/innen bzw. Klassen. Sie treten beispielsweise in folgenden Rollen auf:

Rolle 1: Vorgesetzte/r

Sie sind verantwortlich für das Funktionieren des Unterrichts. Sie haben aufgrund Ihrer professionellen Kompetenz die Entscheidungsmacht und -pflicht zur lernförderlichen Gestaltung der aktuellen Unterrichtssituation. Zur Durchsetzung der Ordnung müssen Sie bisweilen disziplinarisch durchgreifen.

Rolle 2: Beurteiler/in

Sie bewerten die Leistungen der Schüler/innen i.d.R. durch Noten. Dadurch bestimmen Sie geradezu schicksalhaft die Zukunft der Schüler/innen mit. Das ist deshalb prekär, weil Notengebung niemals vollständig objektiv sein kann. Notengebung wird von Schüler/innen häufig als disziplinarischer Akt aufgefasst (auch wenn es gar keiner sein soll): Eine “Fünf” ist aus Schülersicht oft eine gerechte oder ungerechte Bestrafung - für Faulheit, für Dummheit, für Unaufmerksamkeit im Unterricht.

Rolle 3: Erzieher/in

Sie sind dafür verantwortlich, dass die Schüler/innen sowohl in fachlicher als auch menschlicher Hinsicht ordentlich sozialisiert werden. Gerade im Klassenkontext müssen Sie bisweilen disziplinarische Maßnahmen ergreifen, um Ihre pädagogischen Ziele zu realisieren (vgl. 5 Tipps, wie man Schüler/innen richtig bestraft).

Daneben gibt es weitere wichtige Rollen, die jedoch weniger mit der disziplinierenden Funktion assoziiert sind (Kolleg/in, Berater/in, Begleiter/in, Ansprechpartner/in o.ä.).

Disziplinierung führt häufig zu Streit

Aus rein professionellen Gründen wird Ihnen bei einer “normalen” Schulklasse nichts übrig bleiben, als bisweilen disziplinarisch aktiv zu werden: Sie reagieren auf wiederholtes Stören im Unterricht, auf wiederholtes Vergessen des Schulbuchs, auf nicht gemachte Hausaufgaben, auf “Fuck Bitch”-Schmierereien auf den Tischen, auf Lernunwilligkeit u.v.m. Ob Sie sich der Bestrafung, der Diskussion oder anderer Mittel bedienen, ist immer eine Frage der jeweiligen Situation und Ihrer pädagogischen Ausrichtung. Klar ist jedoch, dass sich nicht alle Konflikte in Ponyhofmanier regeln lassen.

Gerade pubertierende Schüler/innen reagieren häufig nicht einsichtig auf disziplinarische Maßnahmen - vor allem wenn sie den Sinn der Disziplinierung nicht einsehen:

  • “Sie wollen mir nur eins reindrücken!”
  • “Eine 6 ist ungerecht, ich habe die Hausaufgaben doch wirklich vergessen!”
  • “Sie hacken immer auf mir herum!”
  • “Ich war’s doch gar nicht!”
  • usw.

Aus solchen Situationen entsteht oft eine eskalierende Spirale, wenn die Lehrer/in ihre Ansicht begründet und den Standpunkt der Schüler/in nicht nachvollziehen kann, die Schüler/in jedoch ihrerseits den Standpunkt der Lehrer/in nicht nachvollziehen kann. Die Lösung solcher Situationen ist nicht einfach und erfordert viel pädagogische Sachkenntnis und Fingerspitzengefühl (z.B. »Gewaltfreie Kommunikation«). Dieser Aspekt soll hier nicht behandelt werden (siehe aber z.B. stangl.eu: Konflikte und deren Lösung im Unterricht oder rpi virtuell: Konflikte (Sekundarstufe 1)).

Lehrer-Emotionen in Konfliktsituationen

Wir stellen uns vielmehr die Frage nach den emotionalen Reaktionen der Lehrer/in auf solche Konfliktsituationen: Das Verhalten von Schüler/innen kann schnell anklagend, beleidigend oder aggressiv wirken - oder tatsächlich sein. Anfang 2008 wurde ein Lehrer von einem Schüler als “Arschloch” bezeichnet, worauf er ihm eine Ohrfeige gab. “‘Mir ist die Hand ausgerutscht’, sagt er später. ‘So hat noch nie ein Schüler mit mir geredet!’” (Lehrerfreund: Darf ich meine Schüler ohrfeigen?).

Viele Lehrer/innen fühlen sich - wie der Lehrer im Beispiel oben - durch solches Verhalten persönlich gekränkt oder angegriffen. Wenn Ihnen dann (physisch, mental oder verbal) “die Hand ausrutscht”, wird der Konflikt auf eine persönliche Ebene transportiert und dort ausgetragen. Dies führt fast immer zu vertieften Dissonanzen oder gar heftigem Streit, verbunden mit schlechter Stimmung und Energieverlust für beide Parteien. Und: Je “persönlicher” der Streit, desto unwahrscheinlicher eine unkomplizierte Lösung.

Solche Dynamiken sind unbedingt zu vermeiden: Als Lehrer/in üben Sie professionell die oben genannten Funktionen aus. Wenn ein/e Schüler/in Sie scheinbar persönlich angreift, bezieht sich das fast immer auf eine (mehrere) dieser Funktionen. In den allermeisten Fällen leitet sich Ihre Disziplinierungsmaßnahme ja aus dieser professionellen Funktion/Rolle ab (anders ausgedrückt: Wenn Sie eine/n Schüler/in aus persönlichen Gründen disziplinieren, sollten Sie sich Gedanken über Ihre Professionalität machen).

Beispiel 1
Schüler/in: “Waaaaas? Ich stehe mündlich auf einer 5?? Sie haben wohl den Arsch offen, das lasse ich mir nicht bieten! Ich zeige Sie an!”

Die ungepflegte Wortwahl und die Drohung sind tatsächlich indiskutabel. Die Schüler/in beschimpft jedoch in Wirklichkeit nicht SIE als Privatperson, sondern SIE in der Rolle derjenigen, der/die eine ungerechte Note gegeben hat.

Beispiel 2
Lehrer/in: “Jakob, bitte wirf die Stifte von Kevin nicht mehr auf den Boden.”
Jakob: (grinst blöde; wirft zwei Minuten später wieder einen Stift auf den Boden)
Lehrer/in: “Jakob, hör sofort auf damit!”
Jakob (grinst): “Hey hey hey, bleiben Sie mal locker, ist doch nur Spaaaaaß.”

Jakob provoziert in dieser Situation, er will Sie aus der Reserve locken. Auch hier möchte er nicht SIE als Person provozieren, sondern SIE in der Rolle der Erziehungsperson. Denn in dieser Rolle müssen Sie Grenzen setzen, die der pubertierende Jakob ausloten möchte.

In beiden Situatione hat die Lehrer/in zwei Möglichkeiten:

  • Sie kann sich persönlich ALS FRAU X gekränkt, beleidigt ... fühlen und ALS FRAU X reagieren.
  • Sie die Kränkung, Beleidigung ... AUF IHRE ROLLE beziehen und entsprechend reagieren.

Das zweite Beispiel könnte damit folgende zwei Fortsetzungen bieten:

Beispiel 2, Fortsetzung
Schülerverhalten wird persönlich genommen:
Lehrer/in (schreit): “Du kleiner Frechdachs willst mich wohl provozieren? Na, wir werden sehen, wer hier wen provoziert!! Du kommst heute Mittag zwei Stunden in Arrest!!!”
Jakob (amüsiert): “Hey, locker, locker, es war doch nur ein Stift ... Sie haben echt schlechte Nerven.”

Schülerverhalten wird im Kontext der aktuellen Rollenverteilung interpretiert:
Lehrer/in (entspannt): “Jakob, offensichtlich willst du sehen, wie weit du gehen kannst. Lass uns nach der Stunde mal sprechen, bitte.”

Im ersten Fall geht die Lehrer/in dem Schüler auf den Leim und bringt sich als Person emotional in den Konflikt ein; auf dieser Ebene kann der Konflikt unmöglich gelöst werden. In der geschilderten Situation ist ein Kriegszustand entstanden, der nur durch Gewalt gelöst werden kann: Die Lehrer/in drückt dem Schüler Arrest und Elternbriefe rein, er zerkratzt ihr dafür später das Auto mit dem Schlüssel. Alle Beteiligten können dabei nur verlieren.

Im zweiten Fall fühlt sich die Lehrer/in nicht persönlich angegriffen (denn der Angriff gilt wohl nicht ihr, sondern ihrer Rolle) - womit sich eine wesentlich entspanntere Behandlung der Situation erreichen lässt. Die Situation lässt sich leichter klären, da die Lehrer/in keine persönliche Genugtuung braucht, sondern nur ihrer Rolle den notwendigen Abstand oder Respekt verschaffen muss.

Fazit: Professioneller Umgang mit den eigenen Emotionen

Es bringt natürlich nichts, sich zu verstellen. Wenn man ergrimmt ist, ist man ergrimmt und sollte das auch zeigen. Vielmehr stellt sich aber die Frage, ob es angebracht ist, jedesmal ergrimmt zu sein, wenn sich ein/e Pubertierende/r gegen die notwendigen disziplinarischen Maßnahmen auflehnt.
Den Schüler/innen muss zu jedem Zeitpunkt klar sein, dass Sie in erster Linie getrieben durch Ihre Rolle handeln - und Ihre persönliche Einstellung erst einmal sekundär ist. Sie vermeiden eine Menge Streit, wenn die Schüler/innen verstehen: Diese Strafarbeit dient der Aufrechterhaltung der Ordnung - und nicht der Befriedigung eines sadistischen Egos. Und Sie vermeiden eine Menge Streit, wenn Sie selbst verstehen, dass die Kritik der Schüler/innen sich häufig nicht gegen Sie richtet - sondern gegen Ihre Rolle.

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zum Artikel "»Nicht persönlich nehmen« - Konflikte mit Schüler/innen entschärfen".



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Kommentare

5

Zum Artikel "»Nicht persönlich nehmen« - Konflikte mit Schüler/innen entschärfen".

  • #1

    Guten Tag, mein Beitrag zur Respektlosigkeit an Schulen:  https://www.youtube.com/watch?v=vCZMiB12d84
    Freundlichst ManG

    schrieb ManG am

  • #2

    Pädagogik vom Papier herunter gelernt, greift doch allzu oft zu kurz.
    Wie können wir nur immer davon ausgehen, dass es, wenn wir Pädagogik betreiben und mit Kindern kommunzieren, KEINE ANDEREN KRÄFTE gibt als die uns bewussten, die da wirken.
    Der Lehrer entdeckt ein Problem des Schülers, wendet sich an dessen BEWUSSTEN VERSTAND und erklärt es ihm. Er dreht sich um, und schon verhält sich das Kind, als hätte man ihm nichts erklärt.
    Man erklärt es nochmals., Und nochmals. Und nochmals. .....
    Warum nur glauben wir unserer WAHRnehmung nicht, die uns jedesmal sagt: “Du hast dich an die verkehrte Instanz gewandt. Der bewusste Verstand ist gar nicht zuständig. Die entscheidenden Kräfte werden im UNBEWUSSTEN gesteuert. Und mit dem bzw. diesen müsstest du ganz anders umgehen.”
    Wir verdrängen unseren eigenen Fehler und machen eine Kinderkrankheit aus dem Problem: Unaufmerksamkeit, Unterrichtsstörung, Konzentrationsschwäche, ADHS,.......
    Pädagogik wird zur unüberschaubaren “Wissenschaft”, mit der wir ständig das verkehrte Probblem zu lösen trachten und - wie man gut beobachten kann - die Probleme wunderbar erfolgreich vergrößern und vermehren.
    Ich meine, es ist nicht die Aufgabe des Lehrplanvollzugsbeamten, den coolen Lehrer zu spielen und seine Kräfte zu erschöpfen. Als Ich-kann-Schule-Lehrer meine ich, es ist unsere Aufgabe - auch wenn uns das die Ausbilder nicht zeigen können, weil sie es sleber nicht können - a) die tatsächlich zuständigen Kräfte zu erkennen und b) achtsam und effizient mit ihnen umgehen zu lernen.
    Zuerst einmal müssen wir diese Kräfte zum WACHSEN bringen, denn nur wenn sie WACHSEN, wird der Mensch seinen Lebensuafgaben GEWACHSEN. Wenn wir die Talente nur mit Üben, Üben, Üben matt und platt quälen, schlagen wir sie in die Flucht, und dann brauchen wirt uns nicht zu wundern, wenn wir bei unseren unitelligenten Intelligenztests nichts mehr davon vorfinden.
    Ich würde mir nicht wünschen, dass die Öffentlichkeit ständig erleben muss, wie Lehrer LEIDEN - das bekommt man viel mehr mit als allen lieb sein sollte - sondern ich wünsche mir, dass die Menschen mitbekommen, wie Lehrer = ein mitreißendes Vorbild für Lernen sind und wie sie damit Kinder begeistern, sich für sich selbst und für ihre eigene gute Entwicklung zu begeistern.
    Freundlich grüßt
    Franz Josef Neffe

    schrieb Franz Josef Neffe am

  • #3

    Ich bin auf diese Ratschläge gestoßen, weil ich mir gerade selbst den Kopf darüber zerbreche, wie ich mit einer problematischen Klasse umgehen soll. Es sind gute Ratschläge und ich werde versuchen sie in meine Handlungen einfließen zu lassen. Aber ich stoße auch an meine Grenzen.
    Dass Beleidigungen und Provokationen nicht persönlich gemeint sind, kann ich nicht immer so hinnehmen. Ich bin nicht selten schockiert über das Verhalten einiger Schüler, die mir offen ins Gesicht lügen, keinerlei Regeln akzeptieren. Pubertät, schön und gut. Heute habe ich einen Schüler bei einem Vergehen erwischt, ihm das Objekt mit dem er massiv den Unterricht störte abgenommen. Ganz ruhig sagte ich ihm, dass das Verhalten inakzeptabel sei, und nachdem ich ihn mehrmals ermahnt hatte, erfolgt nun die Konsequenz. Klassenbucheintrag. Der Schüler bestritt noch weiter sein Verhalten, obwohl er es so offensichtlich war. Pubertät? Blöde? Natürlich ließ ich mich auf keine Diskussionen ein. Die Sache war klar. Der Schüler provozierte weiter mit störendem Verhalten. Mit ihm noch einige weitere Schüler.

    Und das sind noch harmlose Ereignisse. Ich würde mir wünschen, dass auch die Öffentlichkeit, unsere Gesellschaft mal sehen könnte, was Lehrer täglich leisten und auch ertragen müssen.

    Letztlich ist auch dieser Beitrag ein Ausdruck für die Hilflosigkeit vieler Kollegen.
    Ich bleibe natürlich am Ball. Probiere viel aus und arbeite nicht allein an solchen Problemen. Aber es arbeitet an mir. In 5h stehe ich wieder auf und mache meinen Job.

    schrieb Mustermann am

  • #4

    Als junger LAA musste ich einmal in meinen 2 “Randstunden” in einer 9.Klasse mit 50 Schülern einen Jungen aus der Klasse entfernen. Einige Monate später, beim Sonnwendfeuer, kam sein ca. 20jähriger Bruder auf mich zu, etwas angetrunken, mit dem Maßkrug in der Hand, eine Runde anderer Jugendlicher, die ihn offensichtlich herausgefordert hatten, im Hintergrund. Er packte mich plötzlich vorn am Hemd und sagte, ich hätte mit seinem Bruder alles verkehrt gemacht. Ich gab ihm Recht. Aber was hätte ich anderes tun können? Er wusste es auch nicht. Damit wechselte das Problem. Er befürchtete, dass sein aggressives Verhalten Nachteile für seine zwei Geschwister in meiner Klasse haben würde. Das nutzte ich dazu, ihn dafür zu gewinnen, die beiden täglich zu ermutigen - was mir und ihnen und allen gut bekommen würde. Schließlich ließ er mich los, entschuldigte sich für seinen Angriff und bedankte sich für das Gespräch.
    Das Erlebnis hatte ich später öfters berichtet, u.a. auch meinem Vorgesetzten. Der meinte, ich hätte nie zugeben dürfen, dass ich alles verkehrt gemacht habe, dadurch hätte ich allen Respekt verloren. Ist das kein respekt, wenn sich jemand für sein Fehlverhalten entschuldigt und auch noch für das Gespräch bedankt, das ihm sehr geholfen habe? Warum hören wir so etwas nicht, wenn es berichtet wird? Warum blenden wir aus, was uns nicht in den Kram und in unsere verbogene Persönlichkeitsstruktur passt? Warum geben wir dem, was man uns andressiert hat, so totale Macht über uns? Warum hinterfragen wir es nicht? Warum machen wir immer mehr Pädagogik statt endlich einmal SELBSTREFELEXION?
    Der Angreifer zeigt mir durch seinen Angriff die ganze Schwäche und Not seiner Persönlichkeit. Erzeigt mir, dass er mit seinen Kräften überhaupt nicht umgehen kann. Warum zeigen wir als Pädagogen daraufhin so oft, dass wir mit seinen Kräften nur noch viel schlechter umgehen können als er selbst? Sollen uns seine Kräfte dafür lieben, dass wir sie genauso missachten und misshandeln wie er?
    In der Ich-kann-Schule gilt: “Wenn ich mit deinen Kräften BESSER umgehe als du, mögen sie mich und folgen mir lieber als dir.” Wie kann ioch da Kräfte, die ihr Besitzer schon unterdrückt, noch mehr unterdrücken? Diese Kräfte brauchen doch nur eine neue Aufgabe, mit der sie sich profilieren können. Die hab ich meinem ASngreifer gegeben: Ich hab ihn gewinnen lassen - allerdings ganz, ganz anders und sher viel besser als er sich das erwartet hätte. So etwas sollte man von einem bezahlten Pädagogikprofi doch ewarten können.
    Ich grüße freundlich.
    Franz Josef Neffe

    schrieb Franz Josef Neffe am

  • #5

    Sie gehen hier auf Einzelsituation, d. h. mit je einem Schüler ein, wenn aber in der Stunde evtl. fünf Schüler so agieren? Wie oft schafft man es, das nicht persönlich zu nehmen? Mit solch hervorragenden Vorschlägen kommt immer wieder die Rolle, einzulenken, Abstand zu nehmen usw. dem Lehrer zu. Die Erziehung, die von Haus aus schon kaum mehr so genannt werden kann, wurde auf Kindergarten, Schule verlagert, schon die Eltern haben oft keine Manieren oder Respekt vor anderen Rollen oder Leistungen. Ich habe nach fast fünf Jahren Einsatz als Quereinsteiger (Magister)und der ständigen Unsicherheit, was nach den Befristungen folgen könnte, aufgegeben. Alle Tipps müsste man doch jahrelang einüben, um gegen eine Klasse, die schon in der ersten Stunde laufend Penis, Penis schreit und null Bock auf irgendetwas, geschweige Zuhören oder Mitmachen hat - 7. Kl. Gymnasium -. In anderen Klassen riefen sie noch ganz andere Ausdrücke. Man darf sich nicht mit dem Rücken zu ihnen stellen, also kein Tafelanschrieb möglich usw. Ich fand es nur nervenaufreibend und Ratschläge kaum realisierbar.
    Gruß

    schrieb nichtsmehrzumachen am

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