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Sinnlose Diskussion

Abstimmung in Berlin: Schüler/innen wollen nicht länger schlafen 26.03.2009, 17:48

Ein früher Schulbeginn nervt nicht nur, sondern beeinträchtigt auch massiv die Leistungsfähigkeit und den schulischen Lernerfolg. Was bereits 2005 wissenschaftlich belegt wurde, sollte nun an einer Berliner Schule zu praktischen Veränderungen führen. Die Mehrheit der Schüler/innen hat sich nun in einer Abstimmung dagegen entschieden, den Schulbeginn von 8 auf 9 Uhr heraufzusetzen. Zum Glück.

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Früher Schulbeginn: Ungesund und leistungsmindernd?

Berlin, 8 Uhr morgens. Ein erschöpfter Geschichtslehrer, der am Vorabend noch bis Mitternacht Geschichtsklausuren korrigieren musste, bemüht sich darum, seiner sichtlich verschlafenen Klasse die Quintessenz des Kommunistischen Manifests nahe zu bringen. Ein ganz normaler Ablauf, wie er in fast allen Klassenzimmern der Bundesrepublik ähnlich zu finden ist. Dass die Schüler/innen morgens nicht fit sind, wissen nicht nur Lehrer/innen, sondern auch Schlafforscher/innen:

“Jugendliche sind Dauerfrühschichtarbeiter. Das ist wie bei Erwachsenen, die um vier Uhr aufstehen müssen” [Schlafforscher Jürgen Zuley auf taz.de]

taz 25.03.2009: Lasst sie schlafen!

Mediziner/innen kritisieren die erzwungen unnatürlichen Tagesabläufe, die besonders im Winter so gar nicht im Einklang mit den Lichtphasen des Tags stehen. Zusätzlich zur geringeren Leistungsfähigkeit stellt der Schlafmangel, der sich faktisch bei zu frühem Unterrichtsbeginn einstellt sogar eine körperliche Belastung dar - das belegen Vergleiche mit Schulen, deren erste Stunde später beginnt

“Wir haben festgestellt”, so Eve Van Cauter, “dass die metabolischen und endokrinen Hormonveränderungen, die durch ein signifikantes Schlafdefizit entstehen, vielen Phänomenen gleichen, die durch den Alterungsprozess bewirkt werden.” Dieses Ergebnis stünde im Widerspruch zu der allgemeinen Überzeugung, dass Schlaf zwar wichtig für das Gehirn, nicht aber für den restlichen Körper sei und dass man die Zahl der Stunden, die geschlafen werden, willentlich reduzieren könne, ohne dass dies zu Auswirkungen auf die Müdigkeit während des Tages, die Stimmung oder die kognitiven Leistungen führe.

telepolis 22.10.1999: Zuwenig Schlaf macht alt und krank

Anzumerken ist: Ein früher Unterrichtsbeginn bringt nur dann ein Schlafdefizit mit sich, wenn man nicht rechtzeitig ins Bett geht. Wer um 6 raus muss, der kann zur Vermeidung eines Schlafdefizits auch entsprechend früh schlafen gehen.

Was die Wissenschaftler/innen darüber hinaus ebenfalls wissen, aber nicht zu erforschen brauchen: Frühes Aufstehen nervt einfach. Nur die wenigsten Menschen behalten in der unterrichtsfreien Zeit die Weckzeiten der Unterrichtszeit bei.

Abstimmung in Berlin über einen späteren Schulbeginn

Da also offensichtlich belegt ist, dass der Lernerfolg deutlich höher liegt, wenn man die innere, von Tageslichtphasen gesteuerte Uhr in Einklang mit der äußeren Uhr bringt, wurde am John-Lennon-Gymnasium in Berlin ein arbeitsgerechterer Schulbeginn zur Abstimmung gebracht. Jedoch wollten knapp 400 der anwesenden 676 Schüler/innen am alten System festhalten.

Warum halten gerade die besonders betroffenen Schüler/innen fest an der scheinbar unsinnigen Forderung, alles beim Alten zu belassen?
Das Hauptargument für viele Schüler/innen war die mittägliche Freizeit, die bei einem späteren Schulbeginn deutlich eingeschränkt werden würde (“Lieber morgens in der Schule als mittags leiden.”). Diese pragmatische Sichtweise hat zu dem überraschenden und deutlichen Abstimmungsergebnis geführt.

Argumente für einen frühen Schulbeginn

Gegen eine Verschiebung des Schulbeginns nach hinten sprechen jedoch zwei ganz andere Argumente, die von den meisten abstimmenden Schüler/innen nicht berücksichtigt worden sind:

1. Die arbeitende Bevölkerung verlässt ihre Wohnung im Schnitt zwischen 7 und 8 Uhr morgens. Unterrichtsbeginn um 9 Uhr würde die meisten der arbeitenden Familien der Möglichkeit zum gemeinsamen Frühstück berauben. Jüngere Kinder stünden vor dem Problem, dass sie niemanden haben, der sich morgens um sie kümmert, und die „Schlüsselkind“-Problematik würde nicht erst nachmittags, sondern gleich schon beim Aufstehen beginnen. Eine solche Benachteiligung der berufstätigen Familien könnte zu einem weiteren Auseinanderklaffen von Arm und Reich beisteuern.

2. Die Schule dient nicht nur der Wissensvermittlung, sondern auch als kulturelle Sozialisationsinstanz: Aus den unmündigen Kindern sollen mündige, gesellschaftsfähige Staatsbürger/innen werden. Selbstdisziplin und Pünktlichkeit sind Fähigkeiten, die man in der Arbeitswelt genau so wichtig braucht wie eine ausreichende Schulbildung. Ordentliche Arbeit beginnt eben meistens zwischen 7 und 9 Uhr morgens; auch das muss man in der Schule lernen. Schulische Leistungen mögen positiv von ausreichendem Schlaf beeinflusst werden, aber die Fähigkeit, die innere Uhr unabhängig von den Strahlen der Sonne zu stellen, ist im Berufsalltag unabdingbar.

Es kann nicht oft genug betont werden, wie unerquicklich frühes Aufstehen und früher Schulunterricht ist, für Lehrer/innen genau so wie für Schüler/innen. Aber gestorben ist daran noch keiner. Die Ursachen für die Defizite im Schulsystem liegen an anderen Orten. Deshalb sollten wir uns freuen, dass die Berliner Schüler/innen die sinnlose Diskussion durch ihr Votum beendet haben - auch wenn ein späterer Schulbeginn wirklich erfreulich gewesen wäre.

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Kommentare

2

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  • #1

    zu dem obigen Kommentar: “in 25 Minuten” heißt um 7.35 h. Ich dachte, die Zeit werde angezeigt.

    Gruß
    mrdubelina

    schrieb mrdubelina am

  • #2

    Guten Morgen,

    meine Schüler haben in 25 Minuten Unterricht. Nach einer 15 minütigen Mittagspause gehts um 1 Uhr weiter. Wenn man die fragt, ob sie länger Mittag machen wollen, bekommt man auch ein NEIN mit Verweis auf die schrumpfende Freizeit. Es wurde aber auch nicht ausreichend drüber nachgedacht und es wurde vor allem nicht ausprobiert. So kann IMHO keine reflektierte Abstimmung stattfinden.
    Das Sozialisationsargument kommt natürlich immer, weil Kinder ja irgendwann auch mal so wie wir Großen funktionieren müssen (die übrigens auch mehrheitlich vom Frühaufstehen genervt sind). Die Kinder und Jugendlichen müssen aber
    1. Lernen – das ist was anderes als durch Arbeitsroutinen zu wandeln.
    2. Sind es Kinder und Jugendliche. Sie haben einen anderen Biorhythmus als Erwachsene.
    Die Logik klingt für mich so: Wir zwingen uns morgens mit den Kleinen zusammen in die Schule, lernen nichts und quälen uns gemeinsam durch die ersten Stunden (anstatt, wenn man sich schon sozialisationsgerecht so früh trifft, gemeinsam in der Schule zu frühstücken oder etwas gemeinsame Bewegung einbaut).

    So, jetzt komm ich zu spät ;-)

    Gruß
    mrdubelina

    schrieb mrdubelina am

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