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Büchners Woyzeck in Prosa

Arbeitsblatt: Die Moral in »Woyzeck« 18.12.2022, 12:25

Rasierender Mann, Woyzeck-Cover
Bild: Woyzeck verstanden! Lektürehilfe / GDJ@Pixabay

Im Arbeitsblatt wird ein Auszug aus der »übersetzten« Version von Woyzeck verwendet - verständlicher Fließtext statt Verse. Es geht um die bigotten Moralvorstellungen der Obrigkeit, wie sie im Rasur-Gespräch zwischen Woyzeck und dem Hauptmann zum Ausdruck kommt.

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Woyzeck-Lektürehilfe als Prosa - Buchcover 2022Woyzeck verstanden! ist eine inhaltsgetreue Prosa-Übersetzung von Büchners »Woyzeck«. Was Büchner als Drama verfasst hat, wurde in dieser Lektürehilfe sinngemäß in zeitgemäße Sprache transferiert. Die Idee ist gut, denn Woyzeck gilt als schwerer Brocken (aus der Produktbeschreibung: »Woyzeck einmal lesen & sofort verstehen!«). Wir veröffentlichen hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin ein Arbeitsblatt, das sich mit dem Aspekt der Moral im Woyzeck befasst.
Woyzeck verstanden! Lektürehilfe frei nach Georg Büchner ist im Mai 2021 erschienen, erhältlich z.B. hier: lovelybooks: Woyzeck verstanden!

Klassische Lektüren, insbesondere Dramen, sind für viele Schüler/innen nicht einfach zu verstehen. Büchners »Woyzeck« gilt als eines der anspruchsvolleren Kaliber (wie überhaupt Büchners Dramen). Deshalb kann eine Prosaübersetzung für die Phase des ersten Verständnisses absolut hilfreich sein. Wie und warum das funktioniert, können Sie im Interview mit der Autorin lesen: Goethes »Faust I« in Prosa übersetzt - Interview mit der Autorin

Als Beispiel für die Verwendung im Unterricht gibt es hier ein Arbeitsblatt (Ein guter Mensch - Arbeitsblatt (PDF)). Woyzeck rasiert den Hauptmann, zwischen den beiden findet ein Gespräch über Moral und Unmoral statt.

Ausschnitt: Arbeitsblatt »Moral in Woyzeck« (Woyzeck als Prosa)

Der Text ist in seiner Prosa-Übersetzung gut verständlich. Man kann ihn gerne mit verteilten Rollen lesen lassen (Hauptmann, Woyzeck, Erzähler), alternativ als Hausaufgabe oder in Einzelarbeit inhaltlich vorbereiten lassen. Am Ende des Textes finden Sie Vorschläge für drei anspruchsvolle, auf einander aufbauende Aufgaben.

In der ersten Aufgabe soll der Hauptmann stichpunktartig charakterisiert werden. Alle Aussagen sollen durch Zitate belegt werden. Ziel dieser Aufgabe ist es, einen Zugang zu den Moralvorstellungen des Hauptmanns zu bekommen.

Dieser Aspekt wird in der zweiten Aufgabe vertieft - die Perspektive des Hauptmanns soll beschrieben und mit der von Woyzeck verglichen werden.

Es folgt ein Zitat von Ricarda Huch zum Thema »Verantwortung«; auf Grundlage dieses Zitats soll in einem dritten Schritt erörtert werden, ob Woyzeck Opfer seines Schicksals oder frei in seinen (unmoralischen?) Entscheidungen ist.

Inhalt des Arbeitsblattes

Das Arbeitsblatt zum Download finden Sie hier: Ein guter Mensch - Arbeitsblatt (PDF)

Ein guter Mensch: Moral ist relativ - und hat immer ihren Preis

Wie hängt der gesellschaftliche Status eines Menschen mit seinem Verständnis von Moral zusammen? Muss man es sich leisten können, ein guter Mensch zu sein - und was bedeutet das überhaupt? In Woyzeck übt Georg Büchner Kritik an der bigotten Moralvorstellung der Obrigkeit.

Woyzeck bessert seinen Sold auf, indem er den Hauptmann rasiert. Hier ein Auszug aus der Szene Der Hauptmann. Woyzeck, sinngemäß in zeitgemäße Sprache übersetzt:

»Nicht so hektisch, Woyzeck. Langsamer! Wenn du heute zehn Minuten eher fertig wirst, weiß ich nicht, was ich in diesen zehn Minuten anfangen soll«, sagte der Hauptmann. Er saß auf einem Stuhl und legte den Kopf leicht in den Nacken, damit Woyzeck sein Kinn rasieren konnte. [...] »Du bist immer so getrieben, Woyzeck! Ein guter Mensch ist nicht unruhig. Wer ein gutes Gewissen hat, der kann entspannt sein.« Der Hauptmann seufzte und verschränkte die Hände über seinem Kugelbauch, zufrieden darüber, wie entspannt er sich selbst fühlte. Eine peinliche Pause entstand. »Nun sag schon etwas, Woyzeck. Wie ist das Wetter heute?«

»Schlecht, Herr Hauptmann. Wir haben scharfen Wind«, sagte Woyzeck, während er sich zwang, ein wenig langsamer zu rasieren.

»Ja, das habe ich schon gemerkt.« Ein selbstgefälliges Lächeln liftete die Mundwinkel des Hauptmanns, so als sei er kurz davor, einen famosen Witz zu erzählen. »Ich glaube, der Wind kommt heute aus Nord-Süd?«, fragte er mit einem süßlichen Unterton.

»Jawohl, Herr Hauptmann.«

Dieser brach in Gelächter aus, das seine fetten Wangen beben ließ. Woyzeck musste die Klinge absetzen. »Oh, du bist schrecklich dumm, Woyzeck! Nord-Süd gibt es doch gar nicht«, japste der Hauptmann. Als er sich wieder gefangen hatte, schlug er einen versöhnlichen Ton an: »Du bist ein guter Mensch. Obwohl«, hier wurde seine Stimme feierlich, »du nicht moralisch bist. Ich erläutere es dir: Moralisch ist, wenn man Moral hat. [...] Im Grunde bist du ein guter Kerl. Aber unser Garnisonsprediger meint, du seist unmoralisch, weil du ein uneheliches Kind hast. Das waren seine Worte, nicht meine.«

»Herr Hauptmann«, Woyzeck reinigte das Rasiermesser in einer Schüssel voll Wasser, bevor er es erneut ansetzte, »ich denke, der liebe Gott wird den Jungen nicht danach beurteilen, ob seine Eltern verheiratet sind oder nicht. Die Kirche mag es verdammen, aber Jesus hat gesagt: Lasset die Kindlein zu mir kommen.«

»Jetzt hast du mich verwirrt mit deiner komischen Antwort«, entrüstete sich der Hauptmann. Hatte Woyzeck die Kritik vielleicht gar nicht auf sich selbst bezogen? Glaubte er, es sei von einem anderen Soldaten die Rede gewesen? Warum sonst sollte er so gelassen reagieren? »Ich meine dich!«, betonte er. »Du bist der Unmoralische.«

 »Einer kann nur moralisch sein, wenn er genug Geld hat. Ich würde Marie gern heiraten, doch ich kann es mir nicht leisten. Auch arme Männer wie ich haben Bedürfnisse, Herr Hauptmann. Und warum soll ich denen nicht nachgeben? Wer arm geboren ist, hat sowieso keine Chance auf das Paradies. Und auch wenn wir Armen in den Himmel kämen – ich glaube, sogar dort oben müssten wir arbeiten, um uns unseren Platz zu verdienen.«

»Das sind nur Ausreden!«, entfuhr es dem Hauptmann. »Ich habe auch Bedürfnisse, Woyzeck. Manchmal, wenn ich am Fenster sitze und nichts weiter zu tun habe, schaue ich den jungen Mädchen nach. Wenn es gerade geregnet hat, sie die Röcke raffen und dabei ihre Beine zeigen...« Er grunzte. »Jeder Mann hat Bedürfnisse. Aber im Gegensatz zu dir halte ich mich zurück, denn ich bin tugendhaft! Das ist, wenn man Tugend hat. Ich bin ein guter Mensch.«

»Wenn ich vermögend und gebildet wäre, wäre ich auch ein guter Mensch«, erwiderte Woyzeck. »Ich würde mich vorbildlich benehmen, wenn ich eine Uhr und schmucke Kleider hätte. Aber wir Armen können auf die Tugend nun einmal keine Rücksicht nehmen.« Er setzte das Messer ab und reichte dem Hauptmann ein Handtuch.

Mit einem unwilligen Brummen tupfte sich der Hauptmann die Überreste des Rasierschaums aus dem Gesicht. [...] »Du bist ein guter Mensch. Wirklich«, bekräftigte er, »aber du solltest weniger denken. Sonst wirst du rastlos und verbittert.« Er warf das Handtuch beiseite und erhob sich. »Du hast mir meine gute Stimmung verdorben, Woyzeck. Diese Diskussion hat mich ganz durcheinandergebracht. Geh jetzt – aber geh langsam, um Himmels Willen!«

Arbeitsaufträge

  • Charakterisieren Sie den Hauptmann stichpunktartig und belegen Sie Ihre Aussagen durch Zitate.
  • Erläutern Sie, warum der Hauptmann sich im Vergleich zu Woyzeck für den besseren Menschen hält. Vergleichen Sie seine Auffassung von Moral mit der Woyzecks.
»Für seine Handlungen sich allein verantwortlich fühlen und allein ihre Folgen, auch die schwersten, tragen, das macht die Persönlichkeit aus.«
Ricarda Huch (1864 - 1947)
  • Hinterfragen Sie Ricarda Huchs Zitat am Beispiel von Woyzeck. Erörtern Sie, inwiefern Woyzecks äußere Lebensumstände ihn zu einem unmoralischen Leben zwingen oder ob er für seine Handlungen, einschließlich des Mordes an Marie, Ihrer Meinung nach die volle Verantwortung zu tragen hat.

Quelle des Arbeitsblattes: Woyzeck verstanden - Lektürehilfe frei nach Georg Büchner (Latona, 2020), S. 33 - 37

Das Arbeitsblatt zum Download finden Sie hier: Ein guter Mensch - Arbeitsblatt (PDF)

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