Volksverwirrung
Wer hat die meisten Schulformen? 03.07.2009, 15:09
Bayern hat mit der Einführung der neuen Mittelschule nun noch mehr Schulformen als andere Bundesländer, nämlich knapp 10. Leider dient dieser Exzess vor allem dazu, das Volk zu verwirren.
Das dreigliedrige Schulsystem der BRD gerät zunehmend unter Druck, da der gesunde Menschenverstand ebenso wie empirische Untersuchungen zeigen, dass die frühe Selektion nichts Konstruktives hat. Darüber hinaus ist ein großes Hauptschulsterben festzustellen - bundesweit wurden in den letzten Jahren mehrere Tausend Hauptschulen geschlossen, viele weitere sind mangels Klientel von der Schließung bedroht. An vielen Hauptschulen werden Klassen zusammengelegt, damit der Betrieb aufrecht erhalten werden kann.
Gegen die vollständige Abschaffung der Hauptschulen spricht aus Sicht der Politik zweierlei:
- Die (Folge-)Kosten sind kaum zu kalkulieren - tief greifende Veränderungen betreffen das Lehrpersonal, die Schulgebäude, die Lehrmittel, die Bildungspläne usw.
- In der Hauptschule sammelt sich die Unterschicht. Die deutsche Mittel- und Oberschicht hat kein Interesse daran, ihre Zöglinge gemeinsam mit den “Asozialen” in eine Schulbank zu setzen.
Um dennoch der offensichtlichen Notwendigkeit einer strukturellen Veränderung zumindest vordergründig Genüge zu tun, schafft man offiziell die Hauptschulen ab, indem man sie umbenennt (schönes Beispiel aus Baden-Württemberg).
Gerade im CSU-regierten Bayern wehrt man sich mit Händen und Füßen gegen die eigentlich notwendige Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen, allen voran Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), der die diskriminierende Trennung unbedingt erhalten möchte. Deshalb hat man nun das Konzept der “Mittelschule” verabschiedet. Hauptschulen sollen zu Mittelschulen aufgewertet werden - unter bestimmten Bedingungen:
Das geht allerdings nur, wenn die jeweilige Hauptschule mindestens 300 Schüler hat, Ganztagsangebote vorweisen kann und Kooperationen mit der Wirtschaft. Erfüllen die Hauptschulen diese Kriterien (und noch einige mehr), dann heißen sie ab 2010 Mittelschulen—und vergeben eine mittleren Schulabschluss. “Die neue bayerische Mittelschule wird sowohl für Schüler, Eltern und Wirtschaft ein starker Partner für die Zukunft sein”, sagte Schulminister Ludwig Spaenle (CSU).
Die taz begegnet diesem orakelnden Politikergeschwätz mit der treffenden Headline “Das Land der 1.000 Schulformen” und konstatiert trocken:
Wenn die Mittelschule ab dem Jahr 2010 eingeführt wird, gibt es in Bayern de jure sieben verschiedene Schulformen unterhalb des Gymnasiums. Die Hauptschule und die Hauptschule mit P-Klassen; die Verbund-Mittelschule und die Mittelschule; die Realschule und die Wirtschaftsschule sowie die Sonderschule.
Die unterschiedlichen Schulformen der einzelnen Bundesländer machen einen länderübergreifenden Dialog unmöglich. Diese sinnlose Diversifizierung findet nun ihre Entsprechung in der Einführung der Mittelschule. Dem bayerischen Durchschnitts-Elternpaar dürfte es schwer fallen, Sinn und Unterschied der einzelnen Schulformen zu formulieren. Und genau darauf spekuliert Spaenle: Wer nicht versteht, kann nicht motzen. Und “Mittelschule” klingt einfach schöner als “Hauptschule”.
Christian Füller (taz) mutmaßt als die “List der Bayern” die Vorbereitung
auf den Spurwechsel (...). Dafür ist der Begriff Mittelschule perfekt - den kennen viele schon. Hat er sich erst wieder verbreitet, dann kann man auch die Realschule geräuschlos in ihr aufgehen lassen.