Je pädagogischer, desto uninteressanter
Pädagogisches Potenzial von Computerspielen sollte mehr genutzt werden 30.06.2009, 12:40
Es gibt wenig Betätigungen, die Kinder und Jugendliche so exzessiv betreiben wie das Spielen an Computern oder Konsolen. Der Ruf wird lauter, das Potenzial von Videospielen zu nutzen - statt sie zu verteufeln.
Das Joan Ganz Cooney Center at Sesame Workshop ist eine medienpädagogische Non-Profit-Organisation, die das Lernen mit digitalen Medien untersucht und fördert. Der aktuelle Report “Game Changer” (Game Changer - Pressemitteilung; Vollständiger Report als PDF) befasst sich mit den pädagogischen Potenzialen von Computerspielen. Computer-/Videospiele können demnach die motorische, kognitive und gesundheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen fördern.
In der öffentlichen Meinung werden Videospiele tendenziell als negativ für die Entwicklung von Kindern angesehen. Der Report “Game Changer” dagegen betont die positiven Effekte, die Videospiele haben können: Spielen am Computer könne eine gesunde Lebensführung, Lesekompetenz, mathematische Grundkenntnisse, kritisches Denken usw. fördern. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kinder und Jugendlichen bei ihrer Spielesozialisation entsprechend begleitet und unterstützt werden. Verantwortlich dafür sind Eltern, Politik und Pädagog/innen:
Dabei ist das Potenzial der Videospiele nicht zu überschätzen:
Der Markt für Computer- und Videospiele hat in den USA 2008 ein neues Rekordvolumen von 22 Milliarden Dollar erreicht. (...) auch in Deutschland sind die Umsätze mit Videospielen im vergangenen Jahr mit 695 Millionen Euro auf ein neues Rekordniveau geklettert.
Computerwoche 29.01.2009: Games-Branche erzielt 2008 Rekordeinnahmen
Natürlich dürften die meisten auf dem Markt erhältlichen Videospiele aus pädagogischer Sicht kaum sinnvoll sein, gleich ob man die motorische, kognitive oder soziale Dimension in den Blick nimmt. Niemand wird behaupten, dass ein WoW-Süchtiger in der wirklichen Welt besondere soziale Kompetenzen vorweisen kann.
Die Studie fordert die Erwachsenenwelt auf, sich aktiv mit Videospielen auseinanderzusetzen und sinnvolle Konzepte zu schaffen. Und tatsächlich: Eine solche medienpädagogische Diskussion fehlt aktuell völlig. Ab und zu behauptet mal ein Medienwissenschaftler, dass Computerspiele nicht schlimm seien, irgendein pädagogisches Zentrum wirft ein lernpsychologisch höchst effektives (und meistens: stinklangweiliges) Spiel auf den Markt - und das war’s.
Neben medienpädagogischen Konzepten bei der Nutzung von Computerspielen ist jedoch in erster Linie der Mitarbeitswille der Spielehersteller gefragt, die neue Themen und Spielprinzipien forcieren müssten. Eine mittelbare Steuerung des Videospiele-Markts durch Politik, Eltern, Initiativen usw. dürfte jedoch schwieriger werden, als der Report impliziert. Denn Außerirdische abzuknallen oder mit einem Jeep durch Iraks Wüsten zu boosten ist für viele Jugendliche doch wesentlich interessanter, als in einem Puzzlespiel das alte Rom zu rekonstruieren.