Filme
Raubkopieren - Unterrichtsmaterial 19.08.2005, 04:27
Sehr viele Schüler/innen sind im Besitz von illegal kopierten Filmen. Die Lobby der Filmindustrie stellt kostenlose Unterrichtsmaterialien zum Thema "Raubkopieren" bereit und verlagert ihre Öffentlichkeitsarbeit in die Schule. Ist das schlimm?
Ein Großteil der vor uns sitzenden Schüler/innen ist im Besitz von raubkopierten Filmen. Unter Umständen sogar ihre Eltern. Das ist eine illegale Straftat. Als Lehrpersonen sollen wir den Kindern beibringen, sich dem Geist unseres Grundgesetzes gemäß zu verhalten und die Gesetze (nach jeweils ausgiebiger Reflexion) zu respektieren.
Problematik
Die Filmindustrie stellt uns das Unterrichtsmaterial mit eindeutiger Absicht zur Verfügung: Die Schüler/innen sollen aufhören raubzukopieren. Und ein Unrechtsbewusstsein entwickeln.
Das sind pädagogische Ziele von hohem ethischem Wert, die man unbedingt gutheißen muss. Hinter den Absichten der Filmbranche aber steckt nicht der Geist der Mutter Teresa, sondern wirtschaftliche Interessen.
Werden wir Lehrpersonen zum Handlanger der Filmlobbyisten, wenn wir mit dem Unterrichtsmaterial unsere Schüler/innen bedienen?
Die Filmindustrie ...
Die Filmindustrie fühlt sich zur Zeit vor allem vom Phänomen "Raubkopieren" bedroht. Das ist verständlich, aber nicht unbedingt Besorgnis erregend, wenn man sich die Umsatzentwicklung im Videomarkt 1999-2004 ansieht: immerhin ist Jahr für Jahr sattes Wachstum zu erkennen - ohne Knick.
Die "Filmindustrie": Herstellung, Vorführung und Vertrieb von Filmen. Sie ist in Verbänden organisiert, deren Aufgabe Lobbyarbeit und Marketing (im weitesten Sinne) ist.
Interessenverbände der Filmindustrie
- BVV - Bundesverband Audiovisuelle Medien
- Cineropa - Dachverband der Multiplexe in Deutschland (u.a. Cinemaxx)
- HDF - Hauptverband Deutscher Filmtheater e.V.
- IVD - Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland e.V.
- VdF - Verband der Filmverleiher e.V.
... wehrt sich.
Mehr als 80 solcher Verbände und Unternehmen (also eigentlich alle) haben sich einen Knecht Ruprecht geschaffen: die GVU - Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen. Die GVU muss man sich vorstellen wie einen gigantischen virtuellen Privatdetektiv:
Bei der Zusammenarbeit mit den Behörden ist die GVU neben dem Angebot sachverständiger Unterstützung im Ermittlungs- und Strafverfahren durch ihre Satzung auch gehalten, eigene Ermittlungen im gesetzlich zulässigen Rahmen durchzuführen. Dies geschieht im Vorfeld staatlicher Ermittlungen zur Begründung eines Anfangsverdachtes.
Die GVU hat 2004 über 2500 Verfahren gegen Raubkopierer eingeleitet - eine Steigerung von 20% zum Vorjahr. Auf ein Mitwirken der Bevölkerung freut man sich unverhohlen:
Haben Sie Informationen zu Raubkopien?
Die GVU sammelt alle Hinweise über Raubkopien und Piraterie. Wenn Sie vor allem zu den folgenden Bereichen Kenntnisse haben, freuen wir uns über eine Nachricht per Email, Fax oder Telefon! Die GVU schätzt Ihre Mitarbeit und geht jedem Hinweis nach.
Neben dem Sponsoring des GVU-Ruprechts sind die Verbände auch eigenständig aktiv, um die Bedrohung abzuwenden: So werden "legale Angebote" installiert, ein "zartes Pflänzlein", dessen legale Blätter sich vor den geröteten Augen der Raubkopierer verführerisch wiegen, um ihn so von den sumpfigen Schlingen der Raubkopiererei wegzulocken.
Neben dieser sentimentalen Variante stellt man deutliche Forderungen an die PolitikerInnen:
Darüber hinaus ist natürlich der Gesetzgeber weiterhin insbesondere bei der derzeit disku-tierten [sic] Gesetzesnovellierung des Urheberrechts im so genannten „2. Korb“ gefordert. Bisher genügt die Gesetzeslage insbesondere hinsichtlich „Bagatellklausel“ und „Auskunftsanspruch“ nicht den Bedürfnissen der Filmwirtschaft. Der Gesetzgeber sollte seine Pflicht wahrnehmen und das geistige Eigentum genauso behandeln und schützen, wie er es für materielle Güter vorgesehen hat.
Da jedoch bisher der Gesetzgeber einigen Forderungen nicht oder - aus Sicht des Cinema-Kartells - nur ungenügend nachgekommen ist, haben die Verbände einen exorzistischen Plan gefasst: Alle BürgerInnen müssen ein Unrechtsbewusstsein entwickeln. Man will sie sozusagen entnazifizieren, vom Bösen reinigen. Und Böse lässt sich nur mit Böse austreiben.
HART ABER GERECHT
Diese Kampagne (Filme, Plakate, Events über bedrohliche Knastszenarien) wurde seit ihrem Start 2003 mehrfach stark kritisiert. Der VOV (Virtueller Ortsverein der SPD) nimmt diese "Werbeentgleisung der Filmindustrie mit Schrecken zur Kenntnis". WDR: "Gut möglich, dass hier eine Menge Sympathien verspielt werden." Und die Lobby für Menschenrechte e.V. schreibt ergrimmt:
Und dann wollen Sie das Ganze auch noch an Aufsichtspersonen wie "Lehrer, Erzieher, Eltern" weitergeben. Sind Sie wahnsinnig?[...]
Wir werden diese Angelegenheit u.a. an den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM) und an die European Women’ s Lobby (EWL) in Brüssel weiterleiten.
Sie schreibt diesen Brief an die ZKM (Zukunft Kino Marketing GmbH). Diese führt die Kampagne "Hart aber gerecht" durch.
Das Unterrichtsmaterial zum Thema "Raubkopieren"
Und sie führt außerdem die Kampagne "Respect Copyrights" durch. Und da sind wir wieder bei unseren Unterrichtsmaterialien.
Das Unterrichtsmaterial besteht aus
- 5 Arbeitsblättern ("Urheberschaft", "Urheberrecht", "Filmwirtschaft", "Hart aber gerecht", "Podiumsdiskussion")
- Hintergrundinformationen (Auszüge aus Urheberrechtsgesetz, Artikel über Razzien usw.)
- Lehrerhandreichungen in Form methodisch-didaktischer Anmerkungen zu den einzelnen Arbeitsblättern
Material und Lehrerhandreichungen (alles als pdf) sind von hoher Qualität und als praktische Anregungen für den Unterricht geeignet. Da war definitiv eine erfahrene DidaktikerIn am Werk:
Als Einstieg in diesen Unterrichtsteil bieten sich auch die übrigen Spots und Postkartenmotive aus der Kampagne „Hart, aber gerecht!“ an. Sie polarisieren durch ihre Aussage und bieten daher einen emotionalen Einstieg in das Thema, das im Folgenden durch weitere Positionen und inhaltliche Fakten ausgeweitet und objektiviert werden kann.
Die Arbeitsblätter sind ansprechend designt, die Texte/Grafiken und Arbeitsfragen meist sinnvoll. Teilweise schimmert die schnöde Absicht etwas durch:
Impulsfragen für das Gespräch in der Lerngruppe:
Ist die Kampagne den Schülerinnen und Schülern bekannt?
Sind die sachlichen Informationen angekommen?
Hat sich die Einstellung zum Thema Raubkopieren durch die neuen Informationen verändert?
Hat sich das Verhalten dadurch verändert?
Insgesamt ist das Material aber erstaunlich ergiebig und in Auswahl und Detail kaum tendenziös.
Gewisse Fragehaltungen werden vollständig ausgeblendet (angemessenes Strafmaß, Alternativen, Realitätsgrad der Verlustrechnungen usw.).
Unterrichtsvorschläge vom Lehrerfreund
Wenn man das Unterrichtsmaterial verwendet, sollte man folgende Inhalte ergänzen, um Meinungskompetenzen der SchülerInnen zu fördern:
- Diskussion über ein angemessenes Strafmaß: Welches Strafmaß wäre für welches Vergehen angemessen? Vergleich der Diskussionsergebnisse mit der Realität
- Alternativen wie Kulturflatrate
- Verlustaufrechnungen kritisch hinterfragen (eine SchülerIn besitzt 500 Raubkopien - bedeutet das wirklich (500*DVD-Preis)€ Verlust für die Filmindustrie?)
- Am Ende der Einheit: Metareflexion über respectcopyrights: War das Material tendenziös? Absichten der Filmindustrie? Bewertung dieser Absichten
Fazit
In den Arbeitsblättern wird auf Brutalitäten wie bei "Hart aber gerecht" verzichtet, obwohl hier und da unterschwellig Bedrohungsszenarien hervorlugen. Das Unterrichtsmaterial ist ansonsten ordentlich, die Zielsetzung moralisch korrekt. Dennoch muss man bei solchen Sachen wie der Teufel aufpassen, dass man nicht plötzlich in einem anderen Karren sitzt.
Zum Unterrichtsmaterial bei respectcopyrights.de