Schwere Vorwürfe der GEW
Schulleiter/innen werden von Kultusverwaltung »eingeschüchtert« 06.04.2009, 22:08
Die GEW weiß von "mehrere[n] Fällen", in denen Schulleiter/innen von ministerialen Unterorganisationen "eingeschüchtert" wurden, weil sie zu offensiv ihre Meinung zu Mängeln im Schulsystem verkünd(et)en. Darf die Kultusverwaltung das?
Die GEW berichtet in einer Pressemeldung vom 06.04.2009:
Maulkörbe für Schulleiter/innen
GEW: Schulleitungen unterstützen statt einschüchtern
Stuttgart – Der Bildungsgewerkschaft GEW sind mehrere Fälle bekannt, in denen Schulleiter/innen nach kritischen Äußerungen eingeschüchtert wurden. „Schon kritische Äußerungen in Dienstbesprechungen über die schlechte Unterrichtsversorgung reichen aus, um Schulleiter einzubestellen und unter Druck zu setzen. Wir wünschen uns eine Kultusverwaltung, die Schulleiterinnen und Schulleiter bei ihren schwierigen Aufgaben stärkt“, sagte am Montag (06.04.) in Stuttgart Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg.
„Wer selbstständige Schulen will und Schulleitungen für den Erfolg verantwortlich macht, muss Kritik der pädagogischen Expertinnen und Experten ernst nehmen“, sagte Moritz. Die GEW organisiert die meisten der etwa 5.000 Schulleiterinnen und Schulleiter in Baden-Württemberg.
GEW Baden-Württemberg 06.04.2009: Maulkörbe für Schulleiter/innen (Pressemitteilung 24/09)
Gerade in Baden-Württemberg wurde schon öfter von ähnlichen Vorkommnissen berichtet. In Erinnerung ist der Fall der vier als “Rebellen” bekannten Schulleiter Rudolf Bosch, Josef Hartmann, Bernd Dieng und Ottmar Rupp, die einen öffentlichen Brief gegen die Erhaltung der Hauptschule verfasst hatten, der von 98 weiteren Schulleiter/innen unterzeichnet worden war. Auch sie wurden massiv unter Druck gesetzt:
Das Radio meldete stündlich, dass die Initiatoren mit dienstrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten. „Die Rolle rückwärts kam erst, als die Medien und die Opposition kritisierten, das sei ein obrigkeitsstaatliches Vorgehen wie im Mittelalter“, berichtet Dieng. Es vergingen acht Tage bis Kultusminister Rau öffentlich erklärte: „Wir verhängen keinen Maulkorb.“ Zur gleichen Zeit meldete sich das Schulamt bei den Initiatoren und warnte diese davor, eine Pressekonferenz abzuhalten. „Der heimliche Druck hörte erst auf, als klar war, dass wir uns nicht beirren lassen“, berichtet Bosch.
Gerade wegen der Repressionsmaßnahmen wurde die Initiative bekannt und lebt heute in der Initiative Länger Gemeinsam Lernen weiter. Diese Aktion hat wesentlich dazu beigetragen, dass Kultusminister Helmut Rau (CDU) seine hauptschulfreundliche Position zumindest vordergründig überdacht hat (mehr: Lehrerfreund 27.11.2008: Augenwischerei: Baden-Württemberg benennt die Hauptschulen um).
Darf das Kultusministerium/die Kultusverwaltung “einschüchtern” und drohen?
Intuitiv entrüstet man sich, wenn man von diesen “Vorgehen wie im Mittelalter” liest. Besonders groß wird die Entrüstung, wenn die Absicht der Kritiker/innen dabei eine unterstützenswerte ist (wie z.B. die Forderung nach Abschaffung der Hauptschule). Es stellt sich jedoch erst einmal die Frage, ob die Androhung einer disziplinarrechtlichen Konsequenz wirklich eine menschenunwürdige “Einschüchterung” darstellt - oder einfach nur eine notwendige Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Ordnung.
Ein Schulleiter ist nicht nur Beamter (und damit seinem Arbeitgeber qua Eid zu besonderer Loyalität verpflichtet), sondern auch ausführendes Organ der Kultusbürokratie und ihrer Beschlüsse. In der freien Wirtschaft darf ein Arbeitgeber selbstverständlich Mitarbeiter rüffeln oder gar feuern, die öffentliche Unterminierung betreiben (auch wenn das verabscheuenswert ist). Man stelle sich einen Angestellten des BMW-Händlers vor, der öffentlich gegen den massiven Benzinverbrauch der dicken BMWs hetzt. Man könnte ihn verstehen, würde sich aber nicht wundern, wenn der Arbeitgeber keine Lust hätte, diese Person weiter in seinem Betrieb arbeiten zu lassen.
Im öffentlichen Dienst hat man irgendwie das Gefühl, dass es dort auch demokratischer und freiheitlicher zugehen muss als in einer neoliberalen, kaltherzigen Arbeitswelt. Das muss es (leider?) nicht. So lange die menschliche Würde der Schulleiter/innen nicht angetastet wird, geht ein disziplinarischer Rüffel in Ordnung. Viel sinnvoller wäre es natürlich, wenn Chef und Angestellter zusammenarbeiten würden: Der BMW-Händler könnte mit seinem Angestellten über Möglichkeiten des Benzinsparens reden - und der Kultusminister mit seinen Schulleiter/innen über Möglichkeiten für eine bessere Schule. Aber das ist Utopie.