Spickmich
Spickmich-Klagen abgeschmettert - wurden wesentliche Rechtsgrundlagen übersehen? 14.01.2008, 11:00
Sämtliche gerichtliche Klagen gegen Spickmich sind bisher abgeschmettert worden - wobei dabei offensichtlich wesentliche Rechtsgrundlagen übersehen wurden. Wir diskutieren Auszüge aus einem mehrfach erfolgreich benutzten Klageschriftsatz.
Schon mehrmals haben Lehrer/innen gegen Spickmich geklagt - wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Allerdings sind bisher alle Klagen abgewiesen worden, mit Argumentationen wie dieser (aus dem aktuellen Verfahren vor dem Landgericht Köln):
Spiegel Online 09.01.2008: Spickmich vor Gericht - Lehrerbenotung bleibt legal
Wir können und dürfen keine Rechtsberatung leisten, wir können hier aber Auszüge aus einem juristischen Schriftsatz diskutieren, mit dem in mehreren Verfügungs- und Hauptsacheverfahren am AG und LG Darmstadt die öffentliche Nennung von Namen im Internet erfolgreich weggeklagt wurde, obwohl diese Namen auf anderen Homepages genannt wurden (dort mit Erlaubnis). Es handelt sich bei den folgenden Ausführungen nicht um einen Musterschriftsatz.
Geschäftszeichen des aufgeführten Verfahrens:
AG Darmstadt 308 C 36/04 (erste Klage in der Sache. Einfacher Schriftsatz, AG versteht nichts und lehnt Klage ab. Berufung mit Schriftsatz wie hier ergibt dann aber sofort Anerkenntnisurteil, d.h. das LG hat dem Beklagten klar gesagt, dass er verurteilt wird und es billiger für ihn wäre, im letzten Moment freiwillig nachzugeben => Anerkenntnisurteil ohne Begründung).
AG Darmstadt 312 C 197/04 (Versäumnisurteil ohne Begründung, d.h. Gegner nicht bei Gericht erschienen)
AG Darmstadt 312 C 467/04 (ausführlich begründet, bestätigt vom LG in der Berufung)
AG Darmstadt 300 C 547/05 (ausführlich begründet, LG lehnt Berufung ohne weitere Verhandlung wegen Aussichtslosigkeit ab)
Es scheint also offensichtlich, dass bei den Kölner Verfahren wesentliche Rechtsgrundlagen übersehen wurden und eine besser begründete Klage gute Erfolgsaussichten hätte.
Klage-Schriftsatz:
[Klagekopf mit Klageanträgen und den üblichen Formalien]
Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 32 ZPO, wonach bei unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Handlung begangen wurde. Bei Persönlichkeitsverletzungen durch Presseorgane oder im Internet kann gemäß ständiger Rechtssprechung jeder Ort gewählt werden kann, wo das Presseorgan erhältlich ist oder der Text aus dem Internet abrufbar ist (KG in NJW 97, 3321).
[Bemerkung: Diese Art von Klagen ist also eine der Ausnahmefälle, wo der Betroffene einfach an seinem Heimatgericht klagen kann und nicht am Ort der Gegenpartei klagen muss.]
[Bemerkung: Dann folgt die Tatbeschreibung, also rein sachliche Darstellung mit Nachweisen (Zeugenaussagen, Kopien) was die Beklagten wann, wo, wie gemacht haben und in Zukunft unterlassen sollen.]
[Bemerkung: Danach die Rechtsbegründung. Eine Rechtsbegründung ist nicht Pflicht des Klägers, denn an sich ist es Sache des Gerichts, selbst Rechtsgründe zu finden oder zu verneinen. In der Praxis kann es aber entscheidend sein, das Gericht durch möglichst überzeugende Rechtshinweise gleich in die richtige Richtung zu weisen.]
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung muss das “Lindqvist” Urteil des EuGH vom 06.11.2003, C-101/01 bezüglich Auslegung der EU-Datenschutz-Richtlinie 95/46 im Hinblick auf Internetpublikationen sein.
[Anmerkung: z.B. hier zu finden http://www.aufrecht.de/urteile/datenschutzrecht/lindqvist-personenbezogene-daten-auf-webseiten-eugh-urteil-vom-6-november-2003-az-c-10101.html ]
Danach ist jede Veröffentlichung von Hinweisen auf verschiedene Personen unter namentlicher, durch Angabe von Telefonnummer oder Informationen über das Arbeitsverhältnis oder Freizeitbeschäftigungen auf einer Website eine ganz oder teilweise automatisierte Datenverarbeitung für die die EU-Datenschutz-Richtlinie 95/46 gilt – und die ohne ausdrückliche Einzelgenehmigung deshalb im allgemeinen unzulässig ist.
Ob die Seite nur einem begrenzten Leserkreis zugänglich ist, ob die Angaben manipulierbar sind, usw. ist rechtlich völlig unerheblich. Nach den Ausführungen des EuGH ist bereits der rein technische Vorgang des Hochladens auf eine Internetseite unzulässig. Der EuGH stellt dazu klar, dass es sich dabei um keinen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit handelt. Abwägungen im Einzelfall sind zwar erlaubt, dies ändert aber nichts daran, dass zuerst einmal ein Verbot besteht (vgl. EuGH-Urteil 6. Frage).
Allgemeine Ausführungen wie dass eventuell ein irgendwie geartetes Interesse an dem Vorgang besteht, können zur Begründung nicht ausreichen. Logischerweise hat der, der so etwas macht, immer ein Interesse daran. Sonst würde er es nicht machen. Ein Verbot bedeutet mithin, dass ein ganz besonders großes Interesse bestehen muss, um das Verbot außer Kraft zu setzen.
So haben z.B. BGH und BVerfG festgestellt, dass die Nennung des Namens eines Unternehmens im Zusammenhang mit Bilanzdaten unzulässig sein kann, obwohl die Bilanz mit Namensnennung im Bundesanzeiger veröffentlicht war und natürlich ein gewisses Interesse daran besteht. Auch die Tatsache, dass die strittige Namensnennung im Rahmen von Lehrveranstaltungen an einer Universität erfolgte, begründete kein ausreichendes öffentliches Interesse. Auf Fotokopien der Bilanz muss der Name unkenntlich gemacht werden, vgl. BGH vom 8.2.1994—VI ZR 286/93 (MDR 1994, 991 = NJW 1994, 1281) und Beschluss des BVerfG vom 03.05.1994 - 1 BVR 37/94.
Ob die Namen/Daten an anderen Stellen öffentlich zugänglich sind ist ebenfalls völlig unerheblich. Die im EuGH-Fall genannten Namen waren auf zahlreichen anderen Seiten im Internet auffindbar, trotzdem sah es der EuGH als unzulässig, diese Namen ohne Genehmigung auf einer weiteren Homepage zu nennen. Abgesehen davon sind in Schweden, die Vorlage an den EuGH kam aus Schweden, fast alle Namen öffentlich auffindbar. Sogar alle Steuererklärungen sind mit Namen öffentlich.
Die entsprechende EU-Richtlinie ist offensichtlich bisher unzureichend in deutsches Recht umgesetzt. Insbesondere die Ausnahme des deutschen Datenschutzrechtes bezüglich „“Daten aus allgemein zugänglichen Quellen” scheint unvereinbar mit der EU-Richtlinie 95/46 die zwingend eine Einwilligung vorsieht (Artikel 7a “Die betroffene Person hat ohne jeden Zweifel ihre Einwilligung gegeben” ).
Die Ausnahme in Artikel 8e bezieht sich nur auf die „besonderen Kategorien personenbezogener Daten“ gemäß Artikel 8.
Der EuGH sagt in seiner Entscheidung, dass die nationalen Umsetzungen der Richtlinie keinesfalls das Schutzniveau der Richtlinie unterschreiten dürfen. Mithin dürfte die deutsche Ausnahme bezüglich Daten aus allgemein zugänglichen Quellen einen Verstoß gegen die Richtlinie darstellen. Insofern wird üblicherweise die Richtlinie direkt angewendet oder auf das EuGH-Urteil verwiesen. Alternativ müsste dem EuGH die Frage vorlegt werden, ob das deutsche Datenschutzgesetz mit der EU-Richtlinie vereinbar ist.
Die Einbeziehung des Internets in die rechtliche Sonderbehandlung von „automatisierter Datenverarbeitung“ liegt u.a. darin begründet, dass im Internet wie bei automatisierter Datenverarbeitung üblich, sowohl das Auffinden von Informationen mittels automatischer Suchtechniken (Suchmaschinen) als auch das Kopieren und Verbreiten wesentlich einfacher ist als z.B. bei herkömmlichen Akten. Genau dieses potenziell gefährliche, einfache Auffinden, Kopieren und Verbreiten ist beim Internet gegeben. Während die meisten Namensnennungen in normalen Druckmedien bald weitgehend unbemerkt untergehen bleibt im Internet dagegen praktisch jede einmal getätigte Äußerung auf fast ewig archiviert und auffindbar. Bei jeder Eingabe des Namens des Klägers in eine Internet-Suchmaschine erscheinen deshalb fast alle jemals dort im Zusammenhang mit seinem Namen gemachten Bemerkungen, egal wie absurd sie sind. Und ein paar Mausklicke reichen zum Kopieren und nahezu unbegrenztem Weiterverbreiten.
Das BVerfG hat insbesondere in seinem „Volkszählungsurteil“ vom 15.12.1983 (1 BvR 209/83; NJW 84, 419; BVerfGE 65, 1 ff.) durch richterliche Rechtsfortbildung aus den Artikeln 1 (1) und 2 (2) GG das sogenannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung als schützenswertes Rechtsgut auch im Sinne des § 823 BGB entwickelt. Danach sind personenbezogene Daten kein frei zugängliches Informationsmaterial und jeder Zugriff ist eine begründungsbedürftige Ausnahme (“Verbot mit Erlaubnisvorbehalt” ). Personenbezogene Daten sind alle Informationen, mittels derer man den Bezug zu einer konkreten Person herstellen kann. Hierzu gehören auch Daten die öffentlich oder einem größeren Personenkreis zugänglich sind, wie die Telefonnummer oder das Kfz-Kennzeichen. Es ist nicht erforderlich, dass es sich um private Daten handelt.
Erst letztlich hat das BVerfG das Verbot des Buches „Esra“ bestätigt, weil die frühere Lebensgefährtin des Autors trotz verändertem Namens erkennbar war. Das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen hat Vorrang. (Beschluss vom 13. Juni 2007 - 1 BvR 1783/05 )
Der vom BVerfG geprägte Begriff der „informellen bzw. informationellen Selbstbestimmung“ ergäbe keinen Sinn, wenn der Betreffende sich mit einer einmal gegebenen Genehmigung zur Nennung seines Namens auf ewig und unwiderruflich festgelegt hätte. Im Gegenteil, es besagt, dass er jedes Mal neu entscheiden kann. Der Betroffene darf willkürlich vorgehen. Er darf ohne Begründung dem einem etwas erlauben, was er dem anderen nicht erlaubt. BVerfGE 85, S. 22 “Es steht dem Gekränkten frei, gegen einzelne Schädiger vorzugehen und andere zu verschonen. Die Motive seiner Auswahl spielen dabei keine Rolle”.
Häufig wird auch übersehen, dass frühere öffentliche Namensnennungen unzulässig waren bzw. wurden nachdem die Genehmigung zurückgezogen wurde. Auch nach dem veralteten deutschen Datenschutzgesetz können mit „allgemein zugänglichen Quellen“ natürlich nur rechtmäßig zulässige Quellen und nicht unzulässige Quellen gemeint sein. Ansonsten würden einmal in die Welt gesetzte bzw. gegangene Irrtümer, Rechtsverstöße und dergleichen zu unbegrenzter Wiederholung berechtigen. Mit Ausführungen wie „was einmal im Internet war ist immer auffindbar“ wird übersehen, dass sich Klagen auf Unterlassung auf die Zukunft beziehen. Was früher aus irgendwelchen Gründen mal passiert ist, ist unerheblich. In der Zukunft darf nur wiederholt werden, was rechtmassig ist.
Kammergericht Berlin 28.04.1987, AZ: 9 U 1052/87:
Die Nennung und Darstellung einer Person in einer Druckschrift und die dann damit erfolgte Mitteilung von Umständen über sie an die Öffentlichkeit ist ohne ihre Einwilligung grundsätzlich eine widerrechtliche Verletzung ihres durch GG Art 2 geschützten Persönlichkeitsrechtes. Dieses jedermann schützende Recht beinhaltet auch, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der mitzuteilende Umstand den Tatsachen entspricht.
Der einzelne muss Einschränkungen seines Rechts auf Informationelle Selbstbestimmung nur hinnehmen, wenn und soweit diese von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (BVerfGE 65,1; BVerfGE 78,77).
In der Praxis bedeutet dies, dass die Nennung des Namens einer Person ohne deren Einwilligung dann zulässig ist, wenn für die Mitteilung über die Person ein berechtigtes, in der Sache begründetes Interesse besteht, vgl. OLG Brandenburg NJW 1999, 3342. Dies ist z.B. dann der Fall wenn bei Personen der Zeitgeschichte oder im Zuge der „Verdachtberichterstattung“ bei schweren Straftaten oder bei der Veröffentlichung von ärztlichen Notfalldienstplänen der Informationsbedarf der Öffentlichkeit überwiegt und die berichteten Fakten sorgfältig recherchiert sind (BGH 07.12.99 - VI ZR 51/99).
Hierzu gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung:
BGH, NJW 1991, 1532;
BGH NJW 2000, 1036;
KG NJW 1989, 397;
Löffler, Presserecht, 4. Aufl. § 6 LPG, Rdnr. 194 ff;
LG Göttingen vom 24.06.2004/6 U 36-04;
OLG Braunschweig vom 28.10.2004, 2 U 95-04;
OLG Celle vom 22.07.2003, 16 U 25/03 (Namensnennung eines dringend Tatverdächtigen);
Pressekodex Ziffer 8.1.
Auch gerichtliche Entscheidungen dürfen in der Regel nur in anonymisierter Form veröffentlicht werden, obwohl Gerichtsverhandlungen öffentlich und die Namen z.B. Besuchern der Verhandlung bekannt sind, vgl. BVerwG, NJW 1988, 1746; NJW 1997, 2694 (2695); BPatGE 32, 172 (173); OLG München, OLGZ 1984, 477 (482); OLG Celle, NJW 1990, 2570 (2571); OVG Bremen, NJW 1989, 926 (928).
Bezüglich Namensnennung besteht mithin ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Es ist deshalb in jedem Einzelfall zu begründen, warum die Namensnennung gerade hier zulässig sein sollte.
Diskussion
Es liegt nahe, die obigen Ausführungen auf einen möglichen Lehrerzeugnisfall zu beziehen. Denn sind die obigen Ausführungen korrekt, könnte sich Spickmich nur dadurch rechtfertigen, das gerade bei LehrerInnen ein besonderer Nutzen der Bewertung vorliegt.
Ein besonderer Nutzen der öffentlichen „Lehrerbewertung“ ist jedoch nicht ersichtlich. Im Gegensatz z.B. zum Universitätsbesuch haben Schüler/Eltern bei der Schulauswahl in der Praxis weit geringere Wahlmöglichkeiten. Und diese sind noch geringer bei der Auswahl einzelner Lehrer oder gar Kombinationen mehrere Lehrer (die im übrigen jederzeit ausgetauscht werden können).
Als Hauptzweck einer derartigen Internet-Lehrerbewertung bleibt mithin, eine Basis für Klatsch oder Befriedigung von Frustrationen zu bieten. Auch wenn man das als durchaus nachvollziehbaren Wert ansieht, so darf es doch nicht auf Kosten der Rechte anderer gehen. Und wenn es, wie im vorliegendem Fall, zudem als Grundlage einer Gewerbetätigkeit dient, so darf auch die Frage nach der Vereinbarkeit mit den sogenannten guten Sitten gestellt werden.
Dabei ist auch zu beachten, dass Lehrer nicht selbst Leistungsanbieter sondern nur Mitarbeiter sind. Der Vergleich mit der Bewertung der Leistungen von Unternehmen geht deshalb fehl. Letzteres mag zulässig sein. Es liegt aber auf der Hand, dass es in der Regel nicht zulässig ist, im Internet die Leistung einzelner, namentlich genannte Mitarbeiter eines Unternehmens zu bewerten.
Im übrigen ist der vorliegende Lehrerfall durchaus etwa dem vom EuGH entschiedenem Fall aus einer schwedischen Kirchengemeinde vergleichbar. Warum sollten Lehrer geringerem Schutz unterliegen als Mitarbeiter einer Kirchengemeinde? Eine öffentliche „Benotung“ nach persönlichen Eigenschaften wie Menschlichkeit, Einfühlvermögen, Vertrauen geht wäre im Kirchenfall sogar eher angebracht, zumal die „potentiellen Kunden“ in diesem Fall ja tatsächlich ihren Ansprechpartner in der Kirchengemeinde auswählen können.
Zudem stellt sich die Frage, warum „Lehrerzeugnisse“ mit Namensnennung im Internet zulässig sein sollten, Schülerzeugnisse, Arbeitszeugnisse, Führungszeugnisse, etc. aber nicht. In all den letzteren Fällen wäre der Nutzen für z.B. arbeitskräftesuchende Unternehmen doch offensichtlich mindestens ebenso groß wie der Nutzen von „Lehrerzeugnissen“ für Schüler/Lehrer. Ebenso könnte man begründen, dass es für Schüler/Eltern nützlich wäre zu erfahren, ob “vorbestrafte Sittenstrolche” in der Nachbarschaft wohnen.