Rütli-Schule
Gewalt an Schulen: Ein etwas anderer Lösungsansatz 02.04.2006, 01:12
Der Fall der Berliner Rütli-Hauptschule rast durch die Medien. Wie lässt sich in Brennpunktschulen die Gewalt in Griff bekommen? Ein bisher ungedachter Lösungsvorschlag Des Lehrerfreunds.
Die Berliner Rütli-Schule war in den letzten Tagen Anlass unangenehmer Schlagzeilen: Eskalationen der Gewalt, unglaubliche Bocklosigkeit der SchülerInnen und totale Resignation der Lehrpersonen; die Schule steht inzwischen unter Polizeischutz.
Die Schulleitung fordert in einem Brief an den Senat die Abschaffung des Systems “Hauptschule”:
Wir müssen feststellen, dass die Stimmung in einigen Klassen zurzeit geprägt ist von Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz uns Erwachsenen gegenüber. Notwendiges Unterrichtsmaterial wird nur von wenigen Schüler/innen mitgebracht. Die Gewaltbereitschaft gegen Sachen wächst: Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Flurwänden gerissen.[...]
Unsere Bemühungen die Einhaltung der Regeln durchzusetzen, treffen auf starken Widerstand der Schüler/innen. Diesen Widerstand zu überwinden wird immer schwieriger. In vielen Klassen ist das Verhalten im Unterricht geprägt durch totale Ablehnung des Unterrichtsstoffes und menschenverachtendes Auftreten. Lehrkräfte werden gar nicht wahrgenommen, Gegenstände fliegen zielgerichtet gegen Lehrkräfte durch die Klassen, Anweisungen werden ignoriert.
Einige Kollegen/innen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können.
Die Folge ist, dass Kollegen/innen am Rande ihrer Kräfte sind.
Entsprechend hoch ist auch der Krankenstand, der im 1. Halbjahr 05/06 höher war als der der Schüler/innen. [...]
Auch von den Eltern bekamen wir bisher wenig Unterstützung in unserem Bemühen Normen und Regeln durchzusetzen. Termine werden nicht wahrgenommen, Telefonate scheitern am mangelnden Sprachverständnis.
Wir sind ratlos. [...]
Wenn wir uns die Entwicklung unserer Schule in den letzten Jahren ansehen, so müssen wir feststellen, dass die Hauptschule am Ende der Sackgasse angekommen ist und es keine Wendemöglichkeit mehr gibt.
Welchen Sinn macht es, dass in einer Schule alle Schüler/innen gesammelt werden, die weder von den Eltern noch von der Wirtschaft Perspektiven aufgezeigt bekommen, um ihr Leben sinnvoll gestalten zu können. In den meisten Familien sind unsere Schüler/innen die einzigen, die morgens aufstehen.
Brief der Rütli-Schule vom 28.02.2006 (bei GEW-berlin.de) (PDF)
Wie aus diesen Passagen hervorgeht, sind die KollegInnen der Rütli-Schule völlig fertig. Sie verdienen nicht nur unser vollstes Mitleid, sondern auch eine Menge Respekt. Für die meisten dürfte das morgendliche Klingeln des Weckers regelmäßig eine unverdiente Strafe darstellen. Und sie gehen offensichtlich trotzdem noch hin und versuchen wieder und wieder, mit der auswegslosen Situation klarzukommen - wenn auch der Krankenstand ziemlich hoch ist.
Problem
Kern des Problems ist die Zusammensetzung der Schülerschaft: 83% der SchülerInnen an der Rütli-Schule sind “n.d.H. (nicht deutscher Herkunft)”. Dort wie an anderen Hauptschulen ist eine massive Zunahme der Gewaltbereitschaft und Aggressivität zu beobachten.
Das liegt natürlich nicht daran, dass Araber, Türken oder Russen qua Nationalität und/oder Religion brutale Stumpfköpfe sind. In der rechten Szene ergeht man sich natürlich genüsslich in solchen Interpretationen und möchte solcherlei “sozialbehindertes Verhalten” mit einer “Politik der null Toleranz für asoziale und kriminelle Jungmigranten” ahnden (npd.de).
Lösungsvorschläge
Menschen und PolitikerInnen, die etwas mehr im Kopf haben, generieren nun hastig Lösungsvorschläge: SchülerInnen müssen Deutsch lernen (Integrationsbeauftragte Böhmer), Familienhelfer sollen überforderten Eltern zur Seite stehen (Familienministerin v.d.Leyen), mehrfach auffällig gewordene ausländische Jugendliche sollen abgeschoben werden (CDU-Mann Pflüger), Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems (GEW) ... und so weiter.
All diesen Lösungsvorschlägen gemein ist die Erkenntnis, dass das Problem hoch komplex und auf die Schnelle nicht zu lösen ist.
Vorschlag: Nehmt ihnen die Kleider weg
Gerade die Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die für einen Großteil der Gewalt verantwortlich sind, fühlen sich als Randgruppe, weder Herkunftsland noch die BRD geben ihnen Perspektive oder Identifikation. Anerkennung verschafft einzig und allein die Peergroup. Dass diese Peergroups miteinander konkurrieren, vereinfacht die Situation nicht (“‘Die Araber haben das Sagen und unterdrücken die Türken’, berichtet eine Ex-Lehrerin.” - t-online.de, Fotostrecke).
Ziel muss also unter anderem sein, die Schule als Identifikationsfläche zu gestalten und dabei gleichzeitig die dominante Stellung der Peergroup zu unterminieren.
In diesem Fall könnte die verbindliche Einführung von Schulkleidung einen Teil der Lösung darstellen. Ich habe schon mehrfach über Schulkleidung berichtet (1, 2). Wenn auch einige Argumente der SchulkleidungsfreundInnen durchaus sinnvoll sind (z.B. Unterdrückung des Markenwahns), hat diese Form der Entindividualisierung doch immer einen etwas schalen Beigeschmack.
Aber vielleicht ist gerade dieser Punkt in einer Situation sinnvoll, in der “Nachwuchs-Machos” (t-online.de, Fotostrecke) ihr Ego in Wildwestmanier stilisieren. Hübsche orangene Hemden und himmelblaue Bundfaltenhosen nivellieren Unterschiede, die zum großen Teil auf Äußerlichkeiten beruhen - wie z.B. martialische Hiphop-Begrüßungsrituale oder Peergroupzugehörigkeit - enorm.
Selbstverständlich kann dieser Ansatz nur Teil eines umfassenderen Konzepts sein, in dem SozialarbeiterInnen und PolitikerInnen eine gewichtige Rolle spielen werden müssen. Aber jeder Strohhalm, der tragfähig scheint, sollte zumindest inspiziert werden.