Eigenartige Pädagogik
Schweizer Schulen befürworten Ritalin-Verschreibung 07.05.2009, 10:53
Schweizer Kinderpsychiater berichten, dass einige Schulen der Verschreibung von Ritalin durchaus positiv gegenüber stehen, um Disziplin und Ordnung aufrecht zu erhalten. Der Trend ist deutlich: Ruhigstellung statt Heilung.
Ritalin: Umstrittener Pharma-Hammer
Ritalin (und die anderen ADS-Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat) dämpft die Symptome von Aufmerksamkeitsstörungen wie ADS/ADHS. Als Verwandter synthetischer Drogen wie Speed und Ecstasy handelt es sich dabei um ein Medikament schweren Kalibers.
Gerade bei schweren Fällen der Aufmerksamkeitsstörung wurde der Einsatz von Ritalin schon als sinnvoll beschrieben, da die ADS-Symptome den Betroffenen die Eingliederung in die Gesellschaft und den schulischen Lebensweg erschweren. Allerdings wird Ritalin/Methylphenidat in der Mehrzahl der Fälle ADS-Personen verschrieben, die aufgrund der nur schwach bis mittelstark ausgeprägten Symptomatik auch mit alternativen Heilkonzepten behandelt werden könnten. Da Ritalin mittel- und langfristig viele unangenehme Effekte und Nebenwirkungen hat, ist ein Verzicht auf das Medikament nach Möglichkeit unbedingt wünschenswert. Die Geister scheiden sich, wie die heftig geführte Diskussion in den Kommentaren zum Lehrerfreund-Beitrag Studie: ADS/ADHS-Kinder sind mit Ritalin leistungsfähiger. Dabei ist man sich jedoch grundsätzlich einig, dass Ritalin - wenn überhaupt - nur bei (sehr) schweren ADS-/ADHS-Fällen einzusetzen ist.
ADS/ADHS als Modekrankheit
Darüber hinaus ist ADS in den letzten Jahren zur Modekrankheit avanciert. Als es die “Krankheit” ADS/ADHS noch nicht im öffentlichen Bewusstsein gab, nahm man einige Kinder als unkonzentriert, zappelig oder aggressiv wahr - und in vielen Fällen war das ein kleines Problemchen, das keine massiven weiteren Auswirkungen hatte. Heute hat ein Kind, das negativ auffällt, ziemlich schnell “ADS”, "ADHS" oder "eine Verhaltensstörung". Kein/e Lehrer/in, der/die nicht glaubt, in jeder Klasse 1,2,3 “ADSler” sitzen zu haben.
Schweiz: Zunehmender Druck der Schulen zur Ritalin-Einnahme?
Aus dem Kanton Bern in der Schweiz wird nun berichtet, dass viele Schulen der Verschreibung von Ritalin offensichtlich sehr positiv gegenüber stehen - um es vorsichtig auszudrücken.
«Der Druck der Schulen, hyperaktive Kinder mit Ritalin zu behandeln, hat meines Erachtens zugenommen», sagt der Thuner Kinderpsychiater Christian Ziegler. Grund: Die Schulen steckten in der Zwickmühle, weil sie mit widersprüchlichen gesellschaftlichen Forderungen konfrontiert seien. Vom Erziehungsdepartement würden sie immer wieder mit Reformen eingedeckt. «Die Schulen können so nicht in Ruhe arbeiten.»
Berner Zeitung 06.05.2009: Wird bald mehr Ritalin verschrieben?
Ebenfalls wird berichtet, dass “hyperaktiven Kindern in Zürich mit einem Ausschluss von Schullagern gedroht wurde, sofern sie kein Ritalin einnehmen würden.” Dies wurde von den in der Berner Zeitung zitierten Kinderpsychiatern nicht bestätigt.
Die Verantwortlichen: Ahnungslos oder profitgeil
Die Ritalin fordernden Lehrer/innen haben meist wenig Ahnung vom Störungsbild ADS/ADHS - und viele verschreibenden Ärzte verdienen an der Ritalin-Verschreibung gut, ganz zu schweigen von den herstellenden Pharma-Konzernen (Ritalin: Novartis, Concerta: Janssen-Cilag, Equasym: UCB, Medikinet: Medice). Diese Hersteller von Präparaten mit dem Wirkstoff Methylphenidat betreiben ein geschicktes Marketing: Nicht das Medikament steht im Zentrum der Erörterungen, viel mehr “macht” man ADS/ADHS zu einem “Problem, das zunehmend Bedeutung gewinnt” (medice.de). Medice (Medikinet-Hersteller) beklagt an der gleichen Stelle auch, dass ADS/ADHS viel zu selten behandelt würde - “Neben ideologischen Bedenken spielen Unaufgeklärtheit, Unerfahrenheit sowie die diagnostische Problematik auf diesem Gebiet die größte Rolle.” Solche Kampagnen tragen dazu bei, dass verschreibungsbefugte Therapeut/innen zunehmend auch unter Druck durch Eltern, Lehrer/innen etc. geraten. Denn in den Augen vieler Eltern dürfte der freche Spruch von den unbehandelten Kindern einleuchtend klingen. Eltern sind die, die häufig am wenigsten Ahnung von allen haben - und als Erziehungsverantwortliche am meisten unter Druck gesetzt werden.
Der neue Trend: Ruhigstellung statt Heilung
Die zitierten Vorkommnisse stellen eine Momentaufnahme aus dem Kanton Bern dar und sind nicht repräsentativ für die Schweiz. Sie zeigen jedoch eine Entwicklung in der westlichen Welt, die von Ritalin-Gegner/innen schon lange kritisiert wird: Man setzt Ritalin nicht mit dem Ziel der Heilung ein, sondern um Kinder ruhig zu stellen, die den Betrieb stören.