Der kleine Bruder des G8
Abschaffung des Sitzenbleibens: Reine Sparmaßnahme? 19.02.2013, 23:12
Das Sitzenbleiben soll aus pädagogischen Gründen abgeschafft werden: Besser sei "individuelle Förderung". Geht es aber vielleicht mehr ums Geldsparen als ums Pädagogische? Denn die Sitzenbleiber kosten pro Jahr knapp eine Milliarde Euro (!). Wer nicht sitzenbleibt, ist schneller aus der Schule - genau wie beim G8.
Aktuell diskutiert die Nation darüber, ob das Sitzenbleiben abgeschafft werden soll, ausgelöst durch die Pläne, die Rot-Grün in Niedersachsen hat: Dort ist im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Sitzenbleiben "durch individuelle Förderung überflüssig" zu machen sei (sieh auch Badische Zeitung 18.02.2013: Immer mehr Länder schaffen das Sitzenbleiben ab).
Auch in anderen Bundesländern liebäugelt man mit solchen Plänen. Einzig der Hardliner Ludwig Spaenle (CSU), Bayerns Bildungsminister, hält das für pädagogischen Hokuspokus und tönt (immerhin ehrlich):
"Die Abschaffung ist blanker Unsinn, das ist bildungspolitischer und pädagogischer Populismus." Damit tue man jungen Leuten nichts Gutes, "man entkleidet sich ohne Not eines pädagogischen Instruments, das den Schülern die Möglichkeit bietet, Versäumtes nachzuarbeiten. Das hat nichts mit Strafe zu tun".
Die Diskussion wird eher emotional als sachlich geführt. nicht nur von Spaenle.
Eher deutliche Worte findet Felix Leitner ("Fefes Blog"), der explizit "nicht per se für Sitzenbleiben oder gegen Abschaffen" ist: Aus seiner Sicht geht es bei der Abschaffung des Sitzenbleibens ausschließlich um Geldmacherei. Besonders erregt ihn die Argumentation, dass Sitzenbleiben durch zusätzliche Förderung kompensiert würde:
Wenn Geld für Förderung und Nachhilfe da wäre, wieso macht ihr das dann nicht jetzt schon überall? Wenn das das Sitzenbleiben faktisch abschafft, dann um so besser, aber der Impuls ist ja anders herum, das Sitzenbleiben abschaffen und dann mir ins Gesicht lügen, dass man die Kinder mehr fördern wolle. Das kann man an den Schulen schön sehen, wie das in der Praxis aussieht. Man verpflichtet die Lehrer einfach zu mehr Arbeit, unter dem Druck sinkt die Qualität und die Lehrer werden häufiger krank. Die Lehrer kriegen jetzt schon nur einen unwürdigen Hungerlohn.
Eine aparte Tirade mit Realitätsgehalt. Die Logik ist diese: Wenn Schüler/innen nicht mehr sitzenbleiben, dann sind sie schneller aus der Schule raus - und damit spart man Lehrer/innen, Sachmittel, Verwaltungskosten.
Jede/r Schüler/in kostet 5.500 Euro im Jahr (Statistisches Bundesamt, 2009 (PDF)). 156.000 Sitzenbleiber/innen kosten pro Jahr 858 Millionen Euro (Ähnlich Bertelsmann-Studie 2009: 931 Millionen). Würde in Deutschland das Sitzenbleiben komplett und kompensationslos abgeschafft, hätte man eine Milliarde Euro pro Jahr gespart.
Dass das gesparte Geld vollständig in die "Förderung" fließt, ist natürlich Illusion. Insofern ist die Abschaffung des Sitzenbleibens nichts weiter als der kleine Bruder des achtjährigen Gymnasiums - eine weitere Verkürzung der Schulzeit.
Oder geht es vielleicht doch um das hehre Ideal "Förderung statt Sitzenbleiben"? Leitner drückt sich auch hier dezidiert aus:
Das ist natürlich grotesker Bullshit, weil individuelle Förderung noch mehr Geld kostet als Sitzenbleiben.
WIe auch immer: Es wäre wieder einmal wünschenswert, dass der Politik die Menschen wichtiger sind als das Geld. (Sind sie aber nicht.)