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Weniger ist mehr

Einführung von Lernplattformen in der Praxis 28.09.2011, 09:22

Screenshot: Backend der Lehr-Lernplattform Moodle

In Schulungen für Lehr-Lernplattformen ist das Frustrationspotenzial für die Teilnehmer/innen oft groß, weil der Fokus auf technischem Spezialwissen liegt. Sie finden hier ein praxistaugliches Konzept, bei dem didaktische und methodische Fragen im Vordergrund stehen, während technische Aspekte möglichst knapp behandelt werden.

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  • (geändert: )

Der folgende Beitrag von Berthold Metz wurde ursprünglich veröffentlicht in: COMPUTER + UNTERRICHT Nr. 83 (Themenheft "Lernplattformen") - © 2011 Friedrich Verlag GmbH, Seelze.
Wie im Print-Beitrag wird durchgängig der Begriff "Lernplattform" verwendet; man möge diese Terminologie weit gehend synonym zu "Lehr-Lernplattform" oder "Learning-Management-System" verstehen.

Wenn Sie eine Lernplattform an einer Schule einführen, haben Sie ein genau umrissenes Ziel (Wunschszenario): Sie möchten möglichst viele Kolleg/inn/en so kompetent im Umgang mit der Lernplattform machen, dass sie die Lernplattform gewinnbringend im Unterrichtsalltag verwenden können. Das Negativszenario besteht darin, dass keine oder nur sehr wenige Kolleg/in n/en die Lernplattform benutzen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage nach den Schulungskonzepten, die für die Realisierung des Wunschszenarios notwendig sind.

Vorbemerkung

In den letzten Jahren habe ich für verschiedene Institutionen deutlich über hundert Fortbildungen an Schulen zu verschiedenen Themen des Medieneinsatzes gehalten und bin mit entsprechend vielen Lehrer/inne/n in Kontakt gekommen. Mir sind einige sehr medienkompetente Lehrer/innen begegnet, die Lernplattformen im Unterrichtsalltag nutzen. Ich habe Schulen besucht, in denen eine Lernplattform schulweit gewinnbringend verwendet wird. Die allermeisten Kolleg/inn/en aber haben mit Lernplattformen nichts zu tun. Diese Beobachtungen entsprechen im Wesentlichen aktuellen Studien zum Medieneinsatz an Schulen (z. B. LfM-NRW-Studie: http://tinyurl.com/lernplattform1 ; s. a. S. 6 – 9).

Lehrer/innen – eine heterogene Zielgruppe

Wir ziehen willkürliche Grenzen und unterscheiden drei Kompetenzstufen.

  • Stufe 1: Arbeitet sicher mit digitalen Medien.
  • Stufe 2: Beherrscht Grundlagen des Umgangs mit digitalen Medien. Kann z. B. Dokumente per E-Mail versenden, ein PDF öffnen, ein Bild scannen und versteht die Erklärung, wie man sich im Intranet anmeldet.
  • Stufe 3: Hat schon mit einfachen Techniken Probleme: Versucht etwa, mit Word Bilder zu öffnen, entfernt beim Speichern Dateinamenerweiterungen (wie .doc, .txt), versteht nicht, warum das schulinterne Moodle-System eine andere Benutzerkennung hat als der eigene E-Mail-Account.

Die Grenzen sind unscharf. Möglicherweise lässt sich kein einziger Lehrer/ in Ihrer Schule hier genau einer Stufe zuordnen. Dennoch gibt es klare Tendenzen: Die wenigsten Kolleg/inn/en sind der Stufe 1 zuzuordnen, während sich in jedem Kollegium ein größerer Prozentsatz – deutlich im zweistelligen Bereich – auf Kompetenzstufe 3 befindet. Wenn das obige Wunschszenario realisiert werden soll, dann müssen die Inhalte von Schulung(en) schwerpunktmäßig auf Gruppe 2 und 3 zugeschnitten sein.

Inhaltsbereiche von Lernplattform-Schulungen

Folgende drei Bereiche müssen bearbeitet werden:

  • Didaktik: Warum und wann wird eine Lernplattform verwendet? Hier stehen medien- und fachdidaktische Dimensionen im Fokus.
  • Methodik: Wie und unter welchen Bedingungen wird eine Lernplattform in verschiedenen Unterrichtsszenarien eingesetzt? Gegenstand sind z. B. Regeln im Arbeitsprozess oder der Umgang mit auftretenden Problemen.
  • Technik: Wie funktioniert die Lernplattform? Themen sind z.B. die Anmeldung am System oder das Einstellen von Dateien.

Fehlende Kompetenzen schon in einem der drei Bereiche führen dazu, dass der Unterricht mit der Lernplattform defizitär wird und sich ein entsprechendes Frustrationspotenzial bildet.

Funktionsvielfalt als Problem

Nun gibt es mehrere Systeme, die teilweise in direkter Konkurrenz zueinander stehen (s. a. S. 40 – 42). Im Rahmen dieser Konkurrenzsituation versuchen Hersteller und Vermarkter die Funktionsvielfalt des jeweiligen Systems zu betonen. Aspekte wie Praxistauglichkeit oder Bedienbarkeit werden zwar angesprochen, sind jedoch kaum Alleinstellungsmerkmal. Entsprechend fokussieren auch Dokumentation, Schulung und öffentlicher Diskurs vor allem auf den Funktionsumfang.

Genau hier liegt das zentrale Problem: In Schulungen möchte man das Beste für die Neulinge und versucht, ihnen möglichst viele dieser sinnvollen Funktionen nahezubringen. Ein großer Teil der Teilnehmer/innen ist jedoch schon von den technischen Anforderungen her völlig überfordert. Der überwiegende Rest scheitert an der Planung oder Durchführung konkreter Unterrichtsszenarien, weil elementare didaktische und methodische Aspekte unklar sind. Am Ende steht in den meisten Fällen das Negativszenario: Die Nutzung der Lernplattform hat unter diesen Umständen keinen Mehrwert.

Weniger ist mehr: Reduktion auf das Wesentliche

Viele Lehrkräfte möchten

  • den Schülerinnen und Schülern Dokumente übermitteln (z.B. Arbeitsblätter für Schüler/innen, die gefehlt haben, Merkblätter, die Mitnahmeliste für die Klassenfahrt),
  • unkompliziert mit Schülerinnen und Schülern sowie mit Eltern kommunizieren können (z.B. über den Leistungsstand, den aktuellen Stoff, Organisatorisches),
  • Dokumente von Schülerinnen und Schülern auf digitalem Wege erhalten (z. B. nachgereichte Hausaufgaben, Protokolle, Dokumente zur Prüfungsvorbereitung).

Ich wage zu behaupten, dass acht von zehn Lehrkräften in Deutschland keine Vorstellung davon haben, wie sie allein den ersten Punkt realisieren könnten. Doch wem solche Vorkenntnisse fehlen, der wird auch weitergehende Möglichkeiten nicht nutzen können.

Beispiele für Schulungsinhalte

Die folgende Zusammenstellung (s.a. Tab.1) hat exemplarischen Charakter und damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Grundsätzlich sollte darauf geachtet werden, die Anzahl der Inhalte stark zu begrenzen, um die Schulungsteilnehmer/innen nicht zu überfordern.

  • Inhaltsbereich „Didaktik“: Die Inhalte sollten bei unerfahreneren Teilnehmergruppen auf die Anwendungsbereiche „Dateiaustausch“ und „Kommunikation“ begrenzt werden. Die Behandlung erfolgt differenziert nach Fachbereich und Schulstufe. So kann sich beispielsweise das Ergebnis einer Aufwand-Nutzen-Abschätzung je nach Schulstufe ganz erheblich unterscheiden.
  • Inhaltsbereich „Methodik“: Viele Kolleg/inn/en haben keine Erfahrung damit, unter welchen Rahmenbedingungen Lernplattformen im Unterricht verwendet werden können: Wie reagiert man auf problematische Situationen? Wie werden Arbeitsaufträge vergeben?
  • Inhaltsbereich „Technik“: Selten erforderliche oder anspruchsvolle Tätigkeiten (z. B. Anmeldevorgang durch Schüler/innen, Support bei Problemen, Einrichten dauerhafterer Strukturen wie Klassen und Kurse, Zuordnung von Nutzer/innen zu Klassen oder Kursen) können an wenige Kompetenzträger/innen delegiert werden und brauchen nicht im Zentrum jeder Schulung zu stehen.

Zusammenfassung

Lehrerinnen und Lehrer werden eine Lernplattform nur dann nutzen, wenn sie damit umgehen können und einen Mehrwert darin sehen. Deshalb sollten Lehrkräfte, die im Umgang mit Lernplattformen nicht geübt sind, nach folgenden Grundsätzen geschult werden:

  • Je weniger Funktionen gezeigt werden, desto besser werden diese gelernt und verstanden.
  • Die technische Dimension ist die unwichtigste.

Damit ist jedoch nur ein Anfang getan: Für eine nachhaltige Implementierung bedarf es weiterer Schulungen – wo dann zunehmend fortgeschrittenere didaktisch-methodische und technische Aspekte behandelt werden können.

Tab. 1: Beispiele für Schulungsinhalte

 Kerninhaltemögliche Aspekte
DidaktikLehr-/Lernziele
  • Dimensionen (kognitive, mediale, affektive ...); Ebenen der Bloomschen Taxonomie
  • Individuelles/leistungsdifferenziertes Lernen
  • Eignung des Stoffs
Mehrwert (Vorteile/Nachteile)
  • Zeitaufwand; Synergieffekte; Reibungsverluste
  • Wiederverwendbarkeit von Dokumenten
  • Aufwand-Nutzen-Abschätzung
  • Motivation
Kontextanalyse
  • Sinnvolles Szenario: im Unterricht/zu Hause/ zur Vorbereitung/...?
  • Klassenstufe, Fach
  • Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler
Verwendungsintensität
  • Wie intensiv/häufig soll die Lernplattform eingesetzt werden?
  • Grenze zwischen „zu viel“ und „zu wenig“?
MethodikUnterrichtsverfahren
  • Kooperatives Lernen
  • Erarbeitung/Recherche
  • Kreative Techniken
Anwendungsfelder
  • Dateidistribution
  • Sammlung von Arbeitsergebnissen
  • Interaktion/Kommunikation
  • Klausurvorbereitung
Durchführungsmodalitäten
  • Arbeitsaufträge (Wie? Wann? Verpflichtend/nicht verpflichtend?)
  • Arbeitsdisziplin (Regeln; Konsequenzen mangelnder Mitarbeit)
  • Kollaboration: Wie? Rahmenbedingungen? Arbeitsphasen außerhalb des Unterrichts (kein Internet zu Hause; vergessene USB-Sticks; nicht angekommene E-Mails)
Technik
  • Präsentation von digitalen Arbeitsergebnissen, Arbeitsaufträgen ... (Beamer, interaktives Whiteboard usw.)
  • Verhalten bei technischen Problemen
  • Umgang mit Schüler/inne/n, die es besser
  • wissen; Schüler/innen als Expert/inn/en
TechnikAnmelden am System
  • Verwaltung des Accounts, Einstellungen (z. B. Mailbenachrichtigungen)
Einrichten eines Kurses (systemspezifische Terminologie)
  • Metadaten und Einstellungen des Kurses bearbeiten; Differenzierung in Klassen, Kurse o. Ä.
Erstellen eines Dokuments
  • Dokumenttypen (DOC, PDF, Bilder, ...); Metadaten des Dokuments; Dokumente mit anderen Kolleg/inn/en teilen
Frontend: Schülersicht
  • Abrufen eines Dokuments durch Schüler/innen
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Kommentare

2

Zum Artikel "Einführung von Lernplattformen in der Praxis".

  • #1

    Es ist für den normalen Autofahrer auch uninteressant, wie man das Blinkerlämpchen ersetzt oder einen Ölwechsel vornimmt. Das kann auch die Werkstatt machen.

    schrieb Der Lehrerfreund am

  • #2

    “Zusammenfassung ...
    • 1: Je weniger Funktionen gezeigt werden, desto besser werden diese gelernt und verstanden.
    • 2: Die technische Dimension ist die unwichtigste.”
     
    Hier möchte ich zu beiden Punkten etwas ergänzen:
    • zu 1: Jede Funktion sollte bis zur Gewissheit verstanden sein, bevor man zur nächsten über geht. Auf diese Weise explodiert das Verstehen nach kurzer Zeit (ein stabiles Datum baut auf das vorhergehende auf: daraus folgt eine Art Kettenreaktion). Wenn das Gegenteil der Fall ist (also Verstehen mit großen Fragezeichen), bricht das ganze Gefüge irgendwann zusammen und man kapiert gar nichts mehr.
    • zu 2: Das ist wie beim Autofahren. Der normale Autofahrer muss nicht wissen, wie der Motor funktioniert; warum die Zündung vor dem oberen Totpunkt des Kolbens erfolgen muss; warum ein Dieselmotor nur zum Starten den Akku braucht; warum ein Rennauto ein Motorradgetriebe eingebaut und einen 1,5l Treibstoff-Catchtank im Kofferraum hat …
    Es ist aber nötig, die Wirkung der Kupplung zu verstehen, warum und wie man den Blinker benutzt; wie die Gangschaltung funktioniert usw. Also sollte das Augenmerk v.a. auf die generelle Bedienung gelegt werden. Dann auf die wichtigsten Wirkungsweisen der Hauptfunktionen.

    schrieb zum_bleistift am

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