Technik-Hype
Alle reden über Moodle - und keiner benutzt es 08.12.2008, 19:54
Die Lehr-Lernplattform "Moodle" wird massiv von öffentlichen Bildungsinstitutionen gepusht - Fortbildungen, Erfolgsmeldungen, Handreichungen. Dabei hat Moodle im Jahr 2008 für den "normalen" Unterrichtsalltag nur marginale Bedeutung, denn keiner benutzt es.
Moodle ist nach Aussagen der offiziellen Moodle-Projektseite
eine Software für Online-Lernplattformen. Sie arbeiten in Kursräumen mit den Teilnehmer/innen zusammen. Besonders stark ist Moodle in der Förderung der Kooperation. Die Erarbeitung von Lerninhalten in der Gruppe verbessert das Lernergebnis. Moodle eignet sich daher auch für die Projektgruppenarbeit, als Knowledgebase und für den Mitarbeiter- und Kundensupport.
moodle.de, Hervorhebungen wie im Original
Moodle ist “Open Source”, d.h. kostenlos erhältlich und frei modifizierbar. In der Praxis wird Moodle meist an die Schulhomepage gehängt und z.B. zur passwortgeschützten Verbreitung des Vertretungsplans genutzt. Die wirklich interessanten Funktionen ...
Erweitern Sie Ihren Unterricht mit der Lernplattform Moodle. Stellen Sie Ihren Schüler/innen Materialien, zusätzliche Übungen und Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung. Organisieren Sie Projekte und fördern Sie selbstgesteuertes Lernen.”
... werden in der Praxis jedoch kaum genutzt - auch wenn ein gewaltiger, von der öffentlichen Hand inszenierter Medienhype das suggeriert. Minister und ihre Untergebenen ergehen sich in Wortorgien: “E-Learning”, “Projektarbeit”, “lebenslanges Lernen”, “Eigenverantwortlichkeit” und “Medienkompetenz” diktiert man den Journalist/inn/en strahlend in die Feder. Wie immer verwendet man mehr Energie darauf, neue Technologien zu pushen und die Öffentlichkeit mit Schlagworten einzulullen, als sinnvolle Konzepte zu entwickeln. Deshalb “haben” inzwischen viele Schulen Moodle, es gibt einen Moodle-Beauftragten und es gibt Fortbildungen - aber wie viele Lehrer/innen kennen Sie, die Moodle regelmäßig für unterrichtliche Belange nutzen? In Moodle-Fortbildungen steht ein Idealist vor den Powerpoint-Folien und erklärt, wie man einen virtuellen Kurs einrichtet, obwohl keiner der Anwesenden versteht, wozu man das überhaupt braucht. Wer den Kurs einzusetzen versucht, scheitert daran, dass das Internet wieder mal nicht geht (entweder in der Schule oder bei den SchülerInnen zu Hause).
Den Widerspruch zwischen Medienhype und Realität zeigt ein aktueller Artikel auf sueddeutsche.de, Pauken im Netz. Er trägt die Überschrift “E-Learning wird immer beliebter” (Lüge?) und schwelgt pathetisch von Schüler/innen, die Vokabeln mit dem iPod lernen, von Gruppenarbeit in Chaträumen usw. Unglaublich:
Was sich anhört wie Zukunftsmusik, ist längst Realität in einigen bayerischen Schulen [...]
Die Politik scheint alles richtig gemacht zu haben, Deutschlands Schulen sind offensichtlich gerade noch rechtzeitig auf den (für Erfolge bei internationalen Bildungsvergleichen) wichtigen E-Learning-Multimedia-Zug aufgesprungen!
Allerdings zitiert dann der letzte Abschnitt des Artikels den Kollegen Thomas Rau vom Blog “Lehrerzimmer”, der als Moodle-Beauftragter an seinem Gymnasium beschlossen hat,
das Projekt Moodle erst einmal ruhen zu lassen: “Bei uns ist die Zeit noch nicht reif dafür.”
Dazu muss man wissen, dass Thomas Rau der erste Lehrer in Deutschland war, der einen kompletten Deutschkurs der Oberstufe mit einem Weblog begleitet hat und in der Lehrersphäre für seine Innovationsbereitschaft und Medienkompetenz bekannt ist. Mal ehrlich: Wenn dieser Mann (an einem bayerischen(!) Gymnasium(!)) Moodle nicht in der Praxis verwenden kann - wer denn dann?!