Kabale und Liebe - Film
Filmkritik: Kabale und Liebe von Leander Haußmann (2005) 04.10.2005, 01:49
Eine ausführliche Kritik zur neuen Verfilmung von "Kabale und Liebe" und Vorschläge zur unterrichtlichen Verwendung.
An anderer Stelle haben wir uns im Vorfeld auf Leander Haußmanns Verfilmung von “Kabale und Liebe” gefreut. Gestern fand dann die TV-Premiere in 3sat statt (nächste Ausstrahlung: Sonntag, 9.10., 22.40, ZDF). Wir waren voller Hoffnung auf eine modern inszenierte, aber doch irgendwie authentische Umsetzung. Leider wurden diese Hoffnungen derb enttäuscht.
Was an der Verfilmung ist gelungen?
Die Kulissen sind nett. Die Handlung ist in weiten Teilen dem Originaldrama von Schiller nachempfunden.
Was war schlecht?
Handlung und Dramaturgie
Der Film soll - das ist nicht zu übersehen - unterhaltsam sein. Er ist es nicht. Durch Umstellungen im Handlungsablauf und falsche Schwerpunktsetzungen wird die Dramaturgie vollständig zerstört; die Zwangsläufigkeit der Katastrophe, die fatalen Entwicklungen und das Aufbäumen der Opfer dagegen sind quasi nicht erkennbar.
Die Handlung wird an einigen Stellen um haarsträubend schlecht inszenierte Szenen erweitert, so z.B. um ein ausgiebiges Fechtduell zwischen Ferdinand und dem Hofmarschall von Kalb, der männlich-souverän agiert und dem Ferdinand ein ebenbürtiger Gegner ist.
Besonders bitter ist der Schluss: Im Original bittet der Präsident den Sohn um Vergebung, das patriarchale Konzept ist gescheitert, doch auch die Rebellen müssen ihr Leben lassen - ein “Trauerspiel” eben. Im Film aber - man traut sich kaum, es hinzuschreiben - tollen Ferdinand und Luise, die beiden tragischen Opfer, kurz vor dem Abspann über eine Wiese, und zerren die Verfilmung damit endgültig in den Abgrund der Trivialität.
Solch kitschig-profanen Szenen sind mehrmals zu finden; da sie sich nicht logisch in die Dramaturgie einfügen (schließlich hat nicht Steven Spielberg das Drama verfasst), kommen weder GermanistInnen noch FreundInnen seichterer Unterhaltung auf ihre Kosten.
Besetzung und Charaktere
Alle Rollen bis auf Frau Miller (Katharina Thalbach) sind fehlbesetzt und am Thema vorbei inszeniert.
- In Schillers Version ist Miller ein standesbewusster, aufbrausender, stolzer Bürger, er vertritt das neue Bürgertum des Sturm und Drang. Im Film dagegen wird er von Ignaz Kirchner als debiler, grenzdevoter Blödmann dargestellt, der keinerlei Sympathien weckt und in der Rolle des Vaters vollständig versagt.
- Paula Kalenberg macht aus der ernsten, zerrissenen Luise eine schmollmündige, oberflächliche Teeniebraut, die die Schläge des Schicksals nach kurzem Wehleiden sofort zu vergessen scheint und schon bald wieder voll unbedarfter Heiterkeit lächelt. In einigen Szenen leidet sie tatsächlich, aber da versteht man die leise hervorgekeuchten Worte kaum.
- August Diehl als Ferdinand gibt mal einen ätzenden Schleimer, mal einen unsympathischen Psychopathen. Wo bleibt der brachiale Stürmer und Dränger? Wo bleibt die Emotionalität einer wahnsinnig-zarten Liebe, wenn er sabbernd-gelangweilt von Rissen im Weltall schnulzt?
- Der Präsident wird von Götz George gegeben.
- Enttäuschend ist auch die Besetzung des Wurm mit Detlev Buck, den wir ja sonst als Schauspieler lieben und schätzen. Der “echte” Wurm ist gemein, niederträchtig, hinterlistig, Protagonist der Kabale und Meister der Heuchelei. Keine Spur davon.
Einsatz im Unterricht
Vorbemerkung:
Sie sollten die etwas arbeitsunwilligeren SchülerInnen unbedingt darauf hinweisen, dass der Konsum dieses Films in keiner Weise eine Zusammenfassung aus dem Internet ersetzen kann.
Zum Einsatz im Unterricht eignet sich der Film (vor allem in Ausschnitten) vorzüglich, wenn man als didaktisches Prinzip den Medienvergleich liebt. Es empfiehlt sich ein Vorgehen nach folgendem Schema:
- Analysieren Sie eine Szene/Thematik genau (besonders dankbar bei der Arbeit mit diesem Film: Textarbeit zur Charakterisierung einer einzelnen Figur).
- Ergebnissicherung (z.B.: Welche Charakterzüge hat Figur X - Charakterisierung in Stichworten mit Textbelegen)
- Zeigen Sie einen passenden Ausschnitt des Films.
- Analyse des Filmausschnitts auf Grundlage der Kriterien, nach denen in 1. und 2. die Textstelle im Drama analysiert wurde (z.B.: Welche Charakterzüge hat Figur X im Filmausschnitt - Charakterisierung in Stichworten mit Belegen)
- Auswertung und Vergleich
Dieses Vorgehen ist sinnvoll, weil in den meisten Fällen auch ohne besondere filmanalytische Kompetenzen starke Diskrepanzen zwischen Original und Verfilmung zu erkennen sein werden. Durch dieses Vorgehen festigen sich die Ergebnisse der Textanalyse, da audiovisuell induzierte Aha-Erlebnisse stattfinden.
Fazit
Der eigentlich kompetente Regisseur Leander Haußmann (Sonnenalle) wollte einen Spagat machen zwischen Hollywood und klassischem Bühnentheater, zwischen trivialer Unterhaltung und literarischem Anspruch - und er ist kläglich gescheitert. Auf der Metaebene war er dabei durchaus erfolgreich: Im Drama wie in der Verfilmung führt das Aufeinanderprallen von Altem und Neuem zu Trauer, Leiden und Tod. Vielleicht ist es einzig diese Subtilität, der man Beifall zollen könnte.