Panne
Ballade von der geplatzten Vergleichsarbeit 2008 04.07.2008, 15:59
In Baden-Württemberg mussten die Vergleichsarbeiten für Deutsch+Geschichte (Gymnasium) abgeblasen werden - schon vor Termin waren die Klausurbögen in Umlauf geraten. Das Kultusministerium ist noch verwirrt; der Journalist Christofer Menges aber hatte die Klausurbögen schon eine Woche vor dem geplanten Termin. Hier alle Einzelheiten und Hintergründe, teilweise in Gedichtform, mit exklusivem Fotomaterial. Außerdem ein Kommentar von Lehrerfreund-Chefredakteur Berthold Metz.
Strukturelles Problem
Viele sind beteiligt, Kluge, Toren,
Am Vorgang der Distribution:
Lehrer, Angestellte, auch Rektoren,
Kennen die Klausur auch vorher schon.
Vorgeschichte: Die Vergleichsarbeitenpannenserie
In Baden-Württemberg werden in den Klassenstufen 6 und 8 jahrgangsweit “Vergleichsarbeiten” geschrieben. Leider konnten dieses Jahr die Vergleichsarbeiten an Gymnasien in den Fächern Deutsch und Geschichte nicht geschrieben werden, da die Arbeiten “irgendwie” vor Termin an die Öffentlichkeit gelangt sind:
Stuttgarter Nachrichten, 03.07.2008: Vergleichsarbeiten - Kultusministerium rätselt über Pannenserie
Dabei war das Verfahren doch eigentlich richtig wasserdicht: Die passwortgeschützten Aufgaben kamen per Mail an die Schulleitungen und sollten erst am Prüfungstag an die zuständigen Lehrkräfte ausgegeben werden.
Da gab es wohl irgendwo eine Schwachstelle. Der wahre Skandal ist jedoch dieser: Die Arbeiten waren an verschiedenen Schulen schon eine Woche vor Termin in Umlauf (Foto, aufgenommen zwei Tage vor dem offiziellen Termin in Eberbach). Sündenbock dieses Jahr ist das Hohenstaufen-Gymnasium Eberbach. Allerdings kann man davon ausgehen, dass es noch wesentlich mehr (unentdeckte) schwarze (und inzwischen wahrscheinlich auch schwitzende) Schafe gibt. Und das kam so:
Ballade von der geplatzten Vergleichsarbeit
Ich singe euch das Lied vom Lehrer Biederadidung,
Der arbeitete an einem ehrwürdigen Gymnasium.
Vor der Vergleichsarbeit hatte er mächtig Respekt,
Er wusste: “Wird sie schlecht, bin ich entdeckt!”
Und auch dem Rektor - nennen wir ihn: Diederadidung -
Rutschte in die Knie das Herz schon fast.
Eingesetzt als Verantwortlicher für Qualitätssicherung
Ahnte er: “Wird sie schlecht, bin ich im Knast!”
Nun saßen eines Abens bei trautem Kerzenlicht
Zusammen ganz intim beim Wein die beiden.
“Hast du”, fragte beiläufig der Lehrer, “eigentlich
Schon die Furcht einflößenden Vergleichsarbeiten?”
Der Rektor sah scheinbar unbeteiligt in die Runde,
Versicherte sich, dass keiner lauschte.
Näherte dem Lehrerohr sich mit dem Munde,
Das Blut in seinem Kopfe rauschte:
“Hör zu”, flüsterte er krächzend, “ich habe sie bereits,
Und das Passwort lautet: ‘zukunftbauen’.
Warum fragst du?”. Heiser wisperte der Lehrer seinerseits:
“Ich würde gern mal drüberschauen.”
Drei Tage später dann in Klasse 8, 7 Uhr 20,
Die Stimmung grau und morgenranzig,
Man wartet gähnend auf den Biederadidung
Der auch kommt - mit ungeahntem Schwung:
“Guten Morgen, liebe Kinderlein, wir wollen heute
Uns ein bisschen unterhalten, vorbereiten,
Denn ihr habt sicher alle große Angst, Leute,
Vor den vermaledeiten Vergleichsarbeiten.
Aber keine Furcht! Ich werd’ euch präparieren,
Also spitzt die Ohren, Haltung! Zeigt Disziplin,
Dann wird euch übermorgen nichts passieren,
Ich schwör’ es euch - ich, der ich wie euer Vater bin!”
Die Schüler sind sehr überrascht! Seit Monaten
Hat Lehrer Biederadidung doch sonst, ganz ausgebrannt,
gedroht mit Ungenügend, Sitzenbleiben, Höllenbraten!
Optimismus ist den Kindern eher unbekannt.
Nun denn. Der Vorhang senkt sich.
Wir alle ahnen, was geschah.
Man fragt sich: Was juckt das mich?
Die Kinder sind noch alle da.
Das Unangenehme an diesem Schaden
Ist die Frage nach der Solidarität und Treue
Mit den Ländern Württemberg und Baden.
Sind denn auch Beamte völlig korrumpierte Säue?
Kommentar
Ganz sicher ist es weder stilistisch noch inhaltlich angemessen, die Beamtenschaft als “korrumpierte Säue” zu bezeichnen. Dennoch sehen wir in dem in der Ballade beschriebenen Vorgang ein deutliches Symptom der zunehmenden Politikverdrossenheit gerade in der Beamtenschaft. Viele Lehrer/innen sehen sich als Kanonenfutter für eine kurzsichtige Bildungspolitik, in der es nicht um nachhaltige Verbesserungen des Bildungssystems geht, sondern um Profilierung und Wiederwahl. Aus dieser Perspektive ist es durchaus verständlich, dass im öffentlichen Sektor die Treue zum Arbeitgeber nachlässt und Beamte ihr eigenes Wohl vor das des Staates stellen.