Saudi Arabien
Arbeiten als Pädagogin in Saudi Arabien – Bericht aus Jeddah (Dschidda) 23.11.2008, 15:20
Gerda Kuhfittig arbeitet seit fast 20 Jahren als Pädagogin in Jeddah (Dschidda), Saudi Arabien, am Help Center Jeddah, einer Schule für geistig behinderte Kinder und Jugendliche. Wie kommt man dazu, in Saudi Arabien als Lehrkraft zu arbeiten? Wie lebt man in Saudi Arabien als Frau? Welchen Status haben Personen mit geistiger Behinderung dort? Ein ausführlicher Bericht aus Jeddah von Gerda Kuhfittig.
Inhaltsübersicht
- 1. Das Help Center Jeddah
- 2. Lehrkräfte
- 3. Lehrplan und Unterricht
- 4. Die Schüler/innen: geistig Behinderte in Saudi Arabien
- 5. Arbeitsalltag
- 6. Die oft gestellte Frage: Wie kam ich hierher?
- 7. Als deutsche Frau in Saudi Arabien
- Und zum Schluss: das Wetter
Eingangshalle
1. Das Help Center Jeddah
Seit September 1990 arbeite ich am Help Center Jeddah als Director of Education. Das Help Center (arabisch “markas al aoun”) ist eine Schule für geistig und geistig plus körperlich behinderte Kinder und Jugendliche. Es ist eine Schule, aber wir gehören nicht zum Erziehungsministerium, sondern zum Gesundheitsministerium, weil nur in Krankenhäusern und Kliniken Schüler und Schülerinnen im selben Haus sein können und weil nur dort Männer und Frauen zusammen arbeiten dürfen. Jeder weiß, was läuft, aber dem Gesetz ist Genüge getan.
Das Center wurde gegründet und wird unterhalten von einer sehr reichen saudischen Kaufmannsfamilie - Gelder vom Staat oder von anderen Institutionen gibt es nicht. Die Eltern zahlen Schulgeld, aber nur gemäss ihrem Einkommen, es gibt kaum eine Familie, die das volle Schulgeld bezahlt. Dieses Schulgeld kommt nicht der Kaufmanns-Familie zugute, sondern fliesst wieder in den Pool der Schule. Der Gründer ist 1995 verstorben. Er hat eine Stiftung hinterlassen, aber die Witwe und die 4 Kinder (3 Söhne und eine Tochter) helfen finanziell kräftig mit. Die Tochter, die in USA Psychologie studiert hat, kommt, wenn sie in SA ist (manchmal verreist sie geschäftlich mit ihrem Mann) täglich ins Center und arbeitet mit uns mit. Die Familie hat mehrere karitative Projekte laufen, so z.B. unterstützt sie auch ein Waisenhaus in Jerusalem.
Haupteingang
Die Witwe unseres Gründers, Madam Suad, hat ein neues Haus gebaut (es ist ein Palast!) und hat ihr Stadthaus dem Center als Clubhaus zur Verfügung gestellt. Es ist nun 3 Tage für Mädchen und 3 Tage für Jungen geöffnet. Sie können dort schwimmen, Sport treiben, handarbeiten oder basteln, kochen, lesen, Fernsehen, Computerspiele machen, etc. Die Eltern zahlen einen geringen Beitrag für Essen und Unternehmungen, ein Bus steht bereit für Ausfahrten.
2. Lehrkräfte
Die Schule sollte nach dem Willen ihres Gründers, Sheikh Ahmed Al Juffali, ein Pilotprojekt für Saudi-Arabien werden, ist aber jetzt inzwischen ein Pilotprojekt für den ganzen Mittleren Osten geworden. Wir haben Hospitanten aus allen Ländern der Arabischen Halbinsel und Umgebung und wenn unsere Lehrkräfte Saudi-Arabien verlassen und in ihre Heimat zurückgehen, bekommen sie meist sofort eine Arbeitsstelle, weil sie vom Help Center kommen.
Wir haben nicht nur saudische Lehrkräfte und Therapeuten, sondern ebenfalls solche aus allen arabischen Ländern: Syrien, Libanon, Ägypten, Oman, Jemen, Sudan, Arabische Emirate, etc. etc. Wir haben aber eine Verpflichtung, bevorzugt saudische Bürger einzustellen, die sogenannte Saudiisation. Die verlangte Prozentzahl erhöht sich jedes Jahr. Auch unsere Schüler und Schülerinnen kommen aus allen arabischen Ländern. Bedingung: sie müssen Arabisch als Muttersprache haben. (Aber sie müssen nicht unbedingt Moslems sein, wir hatten auch schon einzelne Christen).
Treffen zum Samstagmorgenkreis (=Wochenbeginn)
Wir bilden unsere Sonderschullehrer selbst aus in einem zweijährigen Trainingskurs mit anschliessendem Jahr “Internship”. Inzwischen, nach den 18 Jahren, in denen ich hier bin, gibt es auch Sonderschullehrer, die ihr Studium entweder hier in Saudi-Arabien oder einem anderen arabischen Land absolviert haben - das gab es anfangs nicht. Wir hatten nur Absolventen von “Highschools” oder nicht mal das. Trotzdem hatten wir Glück und bekamen sehr, sehr gute Lehrkräfte nach unserem Trainingsprogramm, die einfach “ein Händchen” für behinderte Kinder und die nötigen didaktischen und methodischen Voraussetzungen hatten.
3. Lehrplan und Unterricht
Wir unterrichten hauptsächlich nach dem Bayerischen Lehrplan für Geistig Behinderte (die Termina in diesem Bereich wechseln dauernd, ich habe die alten beibehalten). Ich hatte ihn mit meiner Englischlehrerin ins Englische und dann mit meinem Arabischlehrer ins Arabische übersetzt, d.h., er übersetzte und ich erklärte, denn mein Arabisch reicht nur zum Taxifahren und zum Einkaufen. (Wenn ich Unterricht halte, amüsieren sich die Kinder immer, weil ich klassiches Arabisch spreche, die Kinder aber saudischen Dialekt. Dann übersetzen die Lehrer). Mit den Lehrern spreche ich Englisch. Wir richten uns aber auch nach anderen Programmen, z.B. Montessori, PORTAGE early education programme, etc.
4. Die Schüler/innen: geistig Behinderte in Saudi Arabien
Wir haben zur Zeit ca. 250 Schüler und 80 Kinder in der Frühförderung - und eine Warteliste.
Die Kinder sind aus Jeddah und einige auch aus dem 60 km entfernten Mekkah. Die Eltern bringen die Kinder zum Center und holen sie wieder ab, da unsere Busse die weiblichen Lehrkräfte befördern: Frauen dürfen in Saudi Arabien nicht chauffieren.
Wir sind eine Tagesschule, kein Internat. Wir haben die 5-Tage-Woche und 2 Tage Wochenende: Donnerstag und Freitag. Ferien sind im Sommer, während der letzten 2 Wochen im Ramadan und am Ende der Hajj (Pilgerzeit). Manchmal werden noch Mid-Term-Ferien eingeschoben.
Unsere Schüler sind bei uns von 0 (Frühförderung) bis 18 Jahre. Wir haben nach der Frühförderung Holding Groups, eine Interimsform zwischen Frühförderung und Vorschule, dann die Vorschule, die Klassen und die Werkstufen. Ab den Werkstufen sind Jungen und Mädchen getrennt. Das passiert gewöhnlich mit 12 Jahren, aber Mädchen kommen sofort in die Werkstufe, wenn sie ihre Menstruation haben.
4 Kinder einer Schulklasse (12 ist das Richtmaß)
Mit den geistig Behinderten ist es ein bisschen wie es auch am Anfang in Deutschland war: sie wurden versteckt. Aber seit es unser Center gibt und danach mehrere ähnliche Einrichtungen gegründet wurden und seit die Medien über Behinderung berichten, sind die Familien selbstbewusster geworden und zeigen ihre Kinder. In der Gesellschaft werden wir, wann immer wir Ausflüge in die Stadt machen, sehr bereitwillig und gut aufgenommen. Wir werden in Hotels eingeladen, in Museen, in den Hafen, den Flughafen, etc. und hatten noch nie Absagen oder Schwierigkeiten. In Supermärkten kriegen wir für die Schüler Geschenke - die Gesellschaft ist offen für Behinderte.
Reiche oder auch gut situierte Familien haben gewöhnlich eine Maid oder eine Nurse für ihr behindertes Kind - Arbeitskräfte sind hier sehr billig.
Es gibt Einrichtungen für geistig Behinderte von der Regierung, aber die nehmen nur Behinderte der Durchschnitts-oder Übergangsform auf, sie haben für alle ein Programm für Academics (Lesen, Schreiben, Rechnen), das wir nicht für alle unsere Schüler haben können. Nicht alle, die wir aufnehmen, können Lesen und Schreiben lernen, von Rechnen ganz abgesehen. Schulen für Lernbehinderte gibt es nicht, aber ein Center, das nachmittags Tutorstunden für Schüler mit Lernproblemen anbietet.
Unsere Kletterwand
5. Arbeitsalltag
Elterneinladungen erfolgen geschlechtergetrennt: Väter und Mütter extra, ausgenommen wenn wir ein Elternpaar einladen, dann kommen natürlich beide zusammen.
Im Januar 2009 haben wir unser 4. Symposium mit dem Titel: “Young Adults and Beyond” womit wir die Bevölkerung aufmerksam machen wollen auf die Behinderten, die aus der Schule entlassen werden und Arbeit brauchen. Es kriegen ohnehin nur die Besten eine Stelle, für die anderen gibt es leider nichts. Dieses Symposium ist offen für Männer und Frauen gleichzeitig!! Es gibt Wandschirme und Sitze auf dem Balkon für Frauen, die auf Trennung bestehen, aber immerhin. Die Frauen werden ihre Abbaya tragen (schwarzer Mantel) und ihre Tarrha (Kopfschleier) und manche werden auch das Gesicht verschleiern.
Das Clubhaus
Viele denken, bei uns ist “Tausend-und-eine-Nacht”, wenn sie hören, dass ich in SA arbeite. Das ist es nicht. Wir arbeiten hart. Wir haben 8 Stunden Anwesenheitspflicht im Center, was ich nicht so gut finde, denn man kann nicht in Ruhe arbeiten - wenn man da ist, ist man erreichbar und wird schnell als Aushilfe gebeten; die Freistunden sind über den Tag verzettelt und man hat wenig Ruhe und Konzentration. Wenn ich wirklich an einem Projekt arbeiten will, muss ich das am Abend machen oder am Wochenende oder in den Ferien.
Manchmal ist “Tausend-und-eine-Nacht”, so z.B. als uns der König besuchte, König Abdullah, der damals noch Kronprinz war. Nach vielen Tagen Vorbereitung und grosser Aufregung bekamen alle, vom kleinsten Gärtnerburschen bis zum höchsten in der Verwaltug eine goldene Riyal-Münze geschenkt. Ich werde auch oft zu Familienfeiern eingeladen (Hochzeiten der Enkel), die auch in grossem Stil gefeiert werden.
Kindereingang
6. Die oft gestellte Frage: Wie kam ich hierher?
Dr. Tom Mutters, der Gründer der Lebenshilfe Deutschland, betreute die saudische Gruppe, die verantwortlich für den Bau des Help Centers war. Er lud Rektoren von Sonderschulen zu einem Treffen mit ihnen ein, die schon einmal gebaut hatten und helfen konnten, Fehler zu vermeiden. Am Abend dieses Tages fragte er mich, ob ich Lust hätte, dieses Zentrum zu leiten. Ich war zu dieser Zeit schon mit einer Prinzessin aus den Arabischen Emiraten befreundet, die eine Sonderschule für geistig Behinderte und eine für Taube und Schwerhörige hat. Sie hatte angefangen, Deutsch zu lernen und ich zog mit und lernte an der Volkshochschule Arabisch. Ich sagte deshalb sofort zu.
Aber dann war es nicht so einfach. Ich wurde nicht beurlaubt, weil Saudi-Arabien keine 3.-Welt-Land ist und weil ich nicht an einer deutschen Schule arbeiten sollte. Aber nach einigen Interventionen der Deutschen Botschaft in Al Riyadh, und dem Auswärtigen Amt (damals noch in Bonn) stimmte das Kultusministerium in München zu. Ich wurde beurlaubt (nicht entsandt!).
Inzwischen bin ich pensioniert und bin immer noch hier. Denn es ist sehr schwierig, einen Nachfolger zu finden - nicht wegen der Qualifikation, sondern wegen der Umstände: Verpflichtung für mehrere Jahre, Frage der Familienzusammenführung, Frage der Weiterbeschäftigung in Deutschland nach Rückkehr, Versicherungen, etc. pp. Und ich vermute, dass diese Schwierigkeiten nicht nur für deutsche Staatsbürger existieren, sondern auch für solche aus den USA, UK, usw.
Ich werde wahrscheinlich nach 5 oder 6 Jahren für immer nach Deutschland zurückkehren. Ich vermute, dass es deshalb auch sehr schwierig ist, eine(n) deutsche(n) Nachfolger(in) zu finden, weil es keine Grundlage für eine Beurlaubung gibt. Saudi-Arabien ist kein 3.-Welt-Land und die Schule ist keine deutsche Schule - das wurde mir gesagt, als mein Antrag zuerst abgelehnt wurde. Wie ich geschrieben habe, war die Beurlaubung erst möglich nach einigen Interventionen. Vielleicht ist es für Briten oder Amerikaner einfacher.
7. Als deutsche Frau in Saudi Arabien
Es gilt immer noch die Meinung, dass Jeddah offener ist als Al Riyadh, obwohl das die Leute aus Al Riyadh verneinen. Aber ich gehe alleine in die Stadt, meist mit einem Taxi, obwohl ich Anspruch auf einen Fahrer mit Auto habe. Ich kann diese Leute einfach nicht ewig herumwarten lassen, während ich im Suq herumgehe und einkaufe. Früher fuhr ich auch mit dem Bus, (was eine Dame nicht tut), aber jetzt sind wir im neuen Center und die Bushaltestelle ist weit weg. Ich selbst darf nicht chauffieren - aber die neuen Führerscheine haben schon eine Rubrik male/female. Also gibt es Aussichten - obwohl, so etwas lange dauern kann.
Ich trage die Abbaya (schwarzer Mantel), wenn ich ausgehe, aber keine Tarrha (Kopfschleier). Einen Gesichtsschleier habe ich noch nie getragen. Ich habe schon seit sehr langer Zeit keine Mutawas (Religionspolizisten) mehr gesehen, die passten früher immer auf, ob die Fremden korrekt gekleidet waren.
Ich wohne in einem Compound, in einer Doppelhaushälfte.
Es hat sich schon einiges geändert, seit ich vor 18 Jahren kam. Frauen durften damals nicht alleine in einem Hotel wohnen, das ist jetzt möglich, auch alleine reisen ist möglich und Expats (das sind wir Gastarbeiter) brauchen keinen Reisebrief vom Arbeitgeber mehr, wenn sie die Stadt verlassen wollen. Fürs Ausland braucht man schon noch ein Exit- und Re-Entry Visum. Ich sehe Ehepaare Hand in Hand gehen - das wäre vor 18 Jahren unmöglich gewesen - Ausnahme: ein Partner war blind. Mich sprechen auch die Väter unserer Schüler im Suq an - ebenfalls neu. Eine Frau durfte nicht angesprochen werden. Man kann als Ausländer jetzt auch Grund und Boden erwerben.
Was ich unangenehm finde: man kann Kleider und Wäsche beim Einkauf nicht anprobieren. Die Mutawas haben das verboten und gleich alle Vorhänge von Ankleidekabinen abgerissen. Sie wollten verhindern, dass heimlich Filme gedreht werden (das ist schon vorgekommen). Man kauft, was man als passend vermutet und kann es ganz leicht wieder umtauschen (oder Geld zurück), wenn es nicht passt. Ich habe sogar schon mal Kleider umsonst nach Hause mitbekommen. Aber diese Prozedur passt mir nicht und deshalb kaufe ich solche Sachen, wenn ich in Deutschland bin.
Und zum Schluss: das Wetter
Es wird jetzt Winter und endlich kühler - untertags noch 30 Grad, aber die Nächte kühlen ab bis 20 Grad. Wenn es regnet, ist es fast immer ein Wolkenbruch, und die Strassen sind überflutet und die Kinder kommen nicht zur Schule (und die Lehrer, die in der Stadt wohnen und nicht im Compound am Center, auch nicht). Aber es regnet nicht oft - letztes Jahr nur einmal aber heuer bereits 3 mal hintereinander.
Ich weiss nicht, was sonst noch für Sie interessant sein könnte - ich würde gerne auf Fragen antworten.
Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie spezifische Fragen an Frau Kuhfittig haben, können Sie diese gerne als Kommentar unten posten.
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