Leistungsdruck
Lehrerverband: Eltern sollen Kindern zu Weihnachten eine Pause gönnen 22.12.2011, 18:27
Der Bayerische Lehrerverband BLLV appelliert vor den Weihnachtsferien 2011 an die Eltern schulpflichtiger Kinder, die Ferien doch zur Erholung zu nutzen. Wie kommt eine Lehrergewerkschaft auf die Idee, die Interessen der Eltern und Kinder zu vertreten? Kritik an einem Schulsystem, das nicht mehr so richtig funktioniert.
Der BLLV (Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband) hat schon seit längerem das Wohlergehen nicht nur der Lehrer/innen, sondern auch der Schüler/innen im Auge. Im Jahr 2009 überraschte die Lehrergewerkschaft mit der Pressemeldung "Burnout-Risiko an bayerischen Gymnasien steigt" (gemeint war das Burnout-Risiko der Schüler/innen!).
Nun legt der BLLV in seiner Pressemeldung "Kinder haben zweiwöchige Pause dringend nötig" (20.12.2011) nach: Der Leistungswahnsinn betreffe vor allem Grundschüler/innen, die unbedingt aufs Gymnasium wollen, und frisch gebackene Gymnasiast/innen, deren wichtigstes Ziel der Klassenerhalt (gymnasiale Liga) ist. Man solle ihnen doch wenigstens in den Weihnachtsferien eine Pause gönnen.
„Auf strikte Lernprogramme sollte verzichtet, vielmehr sollten die freien Tage zur Erholung genutzt werden.“ Stark belastet seien vor allem Grundschulkinder, die vor dem Übertritt stehen, und Kinder, die im Sommer auf ein Gymnasium gewechselt sind. „Das zu absolvierende Prüfungspensum und der damit verbundene Erfolgs- und Leistungsdruck sind enorm.“ Viele Kinder der gymnasialen Unterstufe hätten darüber hinaus auch noch mit den neuen und sehr hohen Anforderungen zu kämpfen. Dem Kultusministerium warf Wenzel vor, Kinder und Eltern mit diesen Problemen im Stich zu lassen. [...] “ Prüfungsergebnisse und Noten beherrschten die Atmosphäre zu Hause, Eltern reagierten geradezu panisch, wenn sie die erfolgreiche Schulkarriere ihres Nachwuchses gefährdet sehen. „Das sind keine guten Voraussetzungen für ertragreiches Lernen.“
Die vorweihnachtliche Zeit ist an den Schulen alles andere als besinnlich. So kommt es durchaus vor, dass in den Wochen vor den Weihnachtsferien Grundschulkinder vierter Jahrgangstufen wöchentlich zwei bis drei Proben [= Klassenarbeiten] schreiben müssen. Es gilt, Leistungsnachweise in den Hauptfächern Mathematik, Deutsch, Heimat- und Sachunterricht zu erbringen. Abgefragt werden müssen aber auch andere Fächer, wie z.B. Religion oder Ethik.[...]
Die meisten Grundschüler haben nur ein Ziel: Sie wollen um jeden Preis den erfolgreichen Schulwechsel auf ein Gymnasium schaffen. Einmal dort angekommen wird alles unternommen, um den Schulverbleib auf dem Gymnasium zu sichern.[...]
Leider nutzten viele Eltern gerade diese Zeit [= die Weihnachtsferien] für privaten Nachhilfeunterricht. [...] Für Freizeitaktivitäten und unbeschwertes Spielen bleibe immer weniger Zeit. „Kinder müssen aber abschalten dürfen.“ [...]
Das Kultusministerium forderte Wenzel auf, von den Heranwachsenden den extremen schulischen Druck zu nehmen: „Es muss das Kind im Mittelpunkt stehen und nicht das Aus- und Umsortieren junger Menschen.“
BLLV 20.12.2011: Kinder haben zweiwöchige Pause dringend nötig
Es ist doch erstaunlich, dass in der Pressemeldung einer Lehrergewerkschaft unter 600 Wörtern einmal das Wort "Lehrer" vorkommt, dafür 9x "Eltern", 8x "Kinder" und 5x "Schüler". Sicherlich ist es politische Taktik, den Druck auf die Schüler/innen für die Kritik an einem unpädagogischen, verwaltungssüchtigen System zu benutzen. Doch unabhängig davon wird ein zentrales Problem der Gesellschaft angesprochen: In den Ferien holen viele Kinder das nach, was die überforderte Schule ihnen während der Schulzeit nicht beibringen kann.
Wir kennen das aus dem ökonomischen Bereich: Der Staat ist nicht mehr in der Lage, unsere Altersvorsorge zu gewährleisten, also müssen die Menschen privat riestern und sparen und altersvorsorgen. Wie kommt es, dass genau das gleiche Phänomen sich im Bildungssektor auszubreiten beginnt? Muss auch hier der Staat so sehr sparen, dass ohne private Nachhilfe und Lernen in den Ferien nichts mehr funktioniert?