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Beschluss

Neue Abitursthemen/-aufgabentypen in Baden-Württemberg ab 2011/2013 24.09.2008, 11:28

Das Kultusministerium Baden-Württemberg hat beschlossen, dass ab 2011 Schillers "Räuber" durch Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" ersetzt werden. Außerdem gibt es ab 2013 im Abitur keine "kreativen" Themen wie adressatenbezogenes Erörtern mehr - Schwerpunkt liegt auf Interpretationsaufsätzen. Durch diese fachdidaktisch höchst fragwürdigen Maßnahmen wird das Unterrichtsniveau ein weiteres Mal gesenkt und dem preisgünstigen G8 angeglichen.

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  • (geändert: )
Diese Hinweise und einige der hier dargestellten Ausführungen von unserer Informatin Db - vielen Dank!

Unter deutsch-gymnasium.de finden sich aktuelle Informationen des Regierungspräsidiums Freiburg zum Fach Deutsch an allgemein bildenden Gymnasien. Dort sind unter „Abitur“ alle entsprechenden amtlichen Schreiben in pdf-Form verfügbar, ebenso weitere Dokumente und Links. Die für das Deutschabitur relevanten Neuerungen der näheren Zukunft:

“Räuber” werden ab 2011 ersetzt durch “Besuch der alten Dame”

Ab Abitur 2011 wird das Schwerpunktthema „Die Räuber“ ersetzt durch Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“, alle anderen Themen bleiben bis einschließlich Abitur 2012 gleich. Daher werden Deutschlehrer der 10. und 11. Klassen gebeten, ab sofort die „alte Dame“ nicht zu behandeln.
Grundsätzlich dürfte “Der Besuch der alten Dame” wesentlich einfacher zu rezipieren und interpretieren sein als die Räuber (wird häufig schon in der Mittelstufe behandelt, ebenso an Berufsfachschulen). Ein schlauer Trick, um die Wogen der G8-Diskussion etwas zu glätten. Das Volk ist’s zufrieden, solange die Töchter und Söhne Deutschlands in “Wer wird Millionär” “Abi 2011” eine gute Figur machen.

Für das Abitur 2011 findet sich auch zu lesen:

„Die Abituraufgabe I (Interpretationsaufsatz mit übergreifender Teilaufgabe zu einer Pflichtlektüre) kann sich auf zwei oder drei der genannten Pflichtlektüren beziehen.“

deutsch-gymnasium.de: Abitur 2011 im Fach Deutsch, Baden-Württemberg

Das erweitert den Vergleich und macht spekulative Dreieckszeichnungen (z.B. Kafka-Kohlhaas-Räuber) zunichte. Vielleicht wurde dieser Lehrerfreund-Artikel ja in Stuttgart gelesen und man versucht nun, die „Berechenbarkeit“ einzuschränken.

2013: Änderung der Aufgabentypen

Ab Abitur 2013 werden die „kreativen“ Aufgaben gestrichen: II) Gestaltende Interpretation wird ersetzt durch einen Interpretationsaufsatz zu Kurzprosa; die Wahl-Teilaufgabe zu Aufgabe V) Adressatenbezogenes Erörtern (z.B. Leserbrief, Rede…) fällt ersatzlos weg, so dass in V) eine “reine” Texterörterung übrig bleibt. Immerhin, der Nachfahre des uralten Besinnungsaufsatzes, die von Schülern wie Lehrern ungeliebte Aufgabe III) Literarische Erörterung, wird ersetzt durch ein Essay. Damit stehen den AbiturientInnen zur Wahl: drei Interpretations-Aufgaben (Pflichtlektüre mit Vergleich oder Lyrik oder Kurzprosa), ein Essay (bisher nur an beruflichen Gymnasien bekannt) oder eine Texterörterung.
Als Gründe für diese Neukonzeption werden im Ministerschreiben zum Deutschabitur ab 2013 (pdf) angegeben:

  1. “Angleichung der schriftlichen Prüfung im Fach Deutsch an allgemein bildenden und beruflichen Gymnasien”, was grundsätzlich zu begrüßen ist;
  2. “Förderung der Lesefreude und die Verbreiterung der Literaturkenntnisse von Schülerinnen und Schülern”.

Dieser letzte Punkt amüsiert uns sehr. Ein guter/s Essay liest sich zwar nett; für die meisten Schüler/innen ist das jedoch eine kaum machbare Schreibform (“Sprachlich erfordert der Essay differenzierte Mittel wie etwa Pointen, Metaphern, Klimax, Wortspiele und Ironie.”). Und ob durch verschärftes Pauken von Interpretationsaufsätzen Lust und Freude aufkommt, möchten wir hier nicht erörtern.
Besonders schockierend ist die Tatsache, dass in dieser Neukonzeption der Aufgabentypen die Erkenntnisse moderner Schreibdidaktik vollkommen ignoriert wurden. Wir erwarten heute von SchülerInnen nicht mehr, dass sie stumpfsinnig irgendwelche Arbeitstechniken anwenden (Einleitunghauptteilschluss usw.), sondern dass sie Schreibhaltungen entwickeln; hier spielt der Leserbezug eine gewichtige Rolle - im Gegensatz zu den Jahren vor der Kommunikativen Wende, wo es beim Schreiben vor allem darum ging, sich (weltfremd?) mit der “Sache” auseinanderzusetzen. Damit sind die Formen, die eigentlich gestärkt werden sollten, über Bord geworfen worden. Die Gründe liegen auf der Hand: Entweder hatten die KonzeptorInnen wirklich keine Ahnung von den schreibdidaktischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte (was durchaus vorstellbar ist), oder man orientierte sich an der Formel:

weniger Aufgabentypen = weniger Unterrichtszeit = weniger Kosten

Auch hier schimmert wieder der heimliche Versuch durch, die G8-Katastrophe mit dem Mantel der Aufwandslosigkeit zu bedecken. Schade eigentlich, Deutsch könnte für alle Beteiligten ein so schönes Unterrichtsfach sein.

 

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Kommentare

4

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  • #1

    Ich kann dem negativen Tenor in diesem Artikel keineswegs folgen. Ich arbeite im Technischen Gymnasium und begrüße sowohl die Existenz der Erörterung innerhalb des Prüfungskanons und auch das Thema Essay. Es ist unrichtig, dass die Schülerinnen und Schüler angeblich die Sprache des essayistischen Schreibens nicht erlernen könnten. Das hängt nach meinem Dafürhalten an meiner Arbeit als Lehrkraft und weniger an mangelhaftem Sprachvermögen der Schülerinnen und Schüler. Man kann nahezu alles lernen, wenn man das möchte und wenn man sich darauf einlässt. Ich habe schon recht gute Essays von Schülerinnen und Schülern gelesen, auch haben meine Jugendlichen durchaus Spaß daran selbst Dossiers für Essays zusammenzustellen. Also besser erst einmal Erfahrungen damit im Unterricht sammeln, ehe man alles in Bausch und Bogen abtut, das scheint mir doch zu undifferenziert zu sein.

    schrieb Anselm Wenzke am

  • #2

    “dass die Erkenntnisse moderner Schreibdidaktik vollkommen ignoriert wurden. [...] stumpfsinnig irgendwelche Arbeitstechniken”
    Als Kritik des Essays als Textform gehen diese Vorwürfe am Ziel vorbei. Der Essay als Stil oder Textsorte ist ja schon schwer zu definieren. Ein guter Essay kann darum schon keine Reproduktion eines Schemas sein, weil es für literarische Essays - die stehen im Abitur auf dem Programm - einfach kein Schema gibt. Wenn etwas problematisch ist an diesem Aufgabentypen, dann genau im Gegenteil die schwierige Vermittlung eines Gegenstandes, der als Gegenstand kaum definiert ist und sich der Definition auch wohl systematisch entzieht. So die Auskunft aller Experten zum Thema von Adorno, Enzensberger und und und.

    Und warum sollte man bei der Vermittlung des Essays nicht die Prinzipien der modernen Schreibdidaktik beherzigen? Das ist doch eine Frage der Vermittlung und nicht primär eine der Aufgabenstellung im Abitur. Auch, hier gebe ich dem Verfasser oben Recht, natürlich einmal gründlichr über problemorientierte Aufgabenstellungen nachdenken könnte. Die Ansätze dazu bei der gestaltenden Stellungnahme (Rede vor SMV etc.) als Teil der textgebundenen Erörterung waren ja aber in den letzten Jahren nicht eben ermutigend.

    schrieb Ralf Kellermann am

  • #3

    Hallo,

    ich habe den Beitrag über Google gefunden. Anmerken wollte ich nur, dass bei den beruflichen Gymnasien (z.B. TGI) “Kabale und Liebe” durch “Besuch der alten Damen” ersetzt wird.

    schrieb Manu am

  • #4

    Alle “Jäger und Sammler” haben sicher schon den Rekorder programmiert: ARD 13.10.08 20:15h “Besuch der alten Dame” mit Christiane Hörbiger zu deren 70. Geburtstag.
    Noch eine Bemerkung zur “langfristigen” Planung im KM: Der Brief mit der Info, dass die “Alte Dame” nicht in Kl. 10/11 unterrichtet werden soll, ist vom 7. September 08. Eine Referendarin “durfte” ihre in den Sommerferien für Kl. 11 erarbeitete Schuljahresplanung “spontan” ändern; zumindest hatte sie Dusel, dass sie nicht die DUE (Päd. Arbeit) zu diesem Drama schreiben wollte…

    schrieb Db am

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