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Schulrecht

Verwaltungsgericht Stuttgart: »Kollektivstrafen für Schüler/innen rechtmäßig« 29.01.2009, 12:08

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat im Jahr 2009 die kollektive Bestrafung einer Schülergruppe genehmigt. Mit einem guten Argument: mitgefangen, mitgehangen. Das Urteil betrifft jedoch einen Sonderfall - nach wie vor sind Kollektivstrafen rechtswidrig.

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  • (geändert: )
Der Artikel wurde am 29.01.2009 kurz nach Sprechung des Urteils veröffentlicht und am 19.06.2019 geändert (Überschrift) und um eine Leserrückmeldung ergänzt.

Der Fall: Ein Schüler wird von einer Gruppe von (mehreren) anderen Schülern geschlagen. Wer nun wirklich tatkräftig zugeschlagen hat, lässt sich nicht mehr ermitteln. Deshalb verhängt die Schulleitung einen fünftägigen Schulausschluss für die ganze Gruppe. Zwei Schüler klagen dagegen, doch das Verwaltungsgericht Stuttgart unterstützt die Kollektivstrafe gegen die Acht- bzw. Neuntklässler:

Hat eine Gruppe Schüler einen Mitschüler geschlagen, ohne dass zu ermitteln ist, welches Mitglied der Gruppe tatsächlich tätlich geworden war, so können sich zwei Schüler, die sich zur Tatzeit in der Gruppe aufhielten, nicht dagegen wehren, einen Schulverweis (hier für 5 Tage) zu erhalten. Sie können nicht argumentieren, sie seien “Opfer” einer Kollektivstrafe “ohne pädagogischen Wert” geworden. Allein die Gruppenzugehörigkeit reiche für die Ordnungsmaßnahme aus [...] (AZ: 10 K 4801/08 u. a.)

Eine konkrete Tatbeteiligung muss also nicht nachgewiesen werden - die Gruppenzugehörigkeit reicht in diesem Fall aus, die Mitglieder der Gruppe haben alle das Bedrohungspotenzial derselben durch pures Dabeisein gesteigert - das "Bedrohungspotenzial" einer Gruppe sei wesentlich höher als das von Einzelpersonen. Auch das Risiko, dass es quasi durch Gruppendynamik zu Gewaltanwendung kommen könne, sei gesteigert:

Dies liege zum einen daran, dass der Einzelne sich in einer Gruppe stärker fühle. Zum anderen könne er als Mitglied einer Gruppe stets ein Unentdecktbleiben seiner Tatbeiträge im „Schutz“ der Gruppe - wie hier - erhoffen.

Bei der Bewertung dieses Urteils gilt es zweierlei zu berücksichtigen:
1. Die Schüler haben den anderen Kollegen nicht nur “geschlagen” (was immer das genau im konkreten Fall bedeutet), sondern auch noch die Schulsekretärin eingeschüchtert und anschließend die Mutter des geschlagenen Schülers bedroht, so dass diese die Polizei rufen musste.
2. Das Urteil ist erfreulich, denn es toleriert nicht das “Dabeistehen” und “schadenfroh Grinsen”. Außerdem haben die Richter richtig erkannt, dass ein vandalierender Mob eine ungute Größe ist, die es unter Einsatz sämtlicher Mittel zu minimieren gilt.

“Mitgehangen, mitgefangen” ist damit nicht nur ein Spießerspruch, der auf das Pech zufälliger Anwesenheit anspielt; wer dabeisteht und den Gewalttaten nicht Einhalt gebietet, wird auch zum Täter.

Dennoch gilt: Kollektivstrafen sind nicht rechtmäßig

Die ursprüngliche Überschrift des Artikesl lautete: »Kollektivstrafen sind rechtmäßig« Im Mai 2019 erreicht uns eine Mail des stellvertretenden Schülersprechers am Lise-Meitner-Gymnasium Falkensee, der bemängelt, dass die Überschrift irreführend sei und im Artikel der Eindruck erweckt würde, das Urteil habe Präzedenzcharakter:

In der Überschrift proklamieren Sie […], Kollektivstrafen für Schüler/innen seien rechtmäßig und indizieren somit eine Allgemeingültigkeit dieser Aussage, wodurch Fehlinformationen verbreitet werden. Wer in der Googlesuche beispielsweise nur die Überschrift sehen kann, gelangt schnell zu eben diesem Schluss.

Das Gericht entschied hier jedoch im Einzelfall und beachtete insbesondere, dass der Beschwerdeführer durch seine nachgewiesene Gruppenzugehörigkeit zur Einschüchterung beigetragen habe, was zwar strafrechtlich als irrelevant zu bewerten sein sollte, jedoch disziplinarrechtlich ein sanktionierbares Fehlverhalten darstellt, da der Erziehungsauftrag der Schule gefährdet war. Er habe außerdem zur Vertuschung des Hauptschuldigen beigetragen.

Anzumerken ist hier außerdem, dass der Straftatbestand des § 303c StGB durch den Schüler erfüllt sein könnte, was durch das Gericht außer Acht gelassen wurde, jedoch seinerseits selbstständig Ordnugs- oder Erziehungsmaßnahmen rechtfertigt. 

Das Gericht hat somit keine allgemeingültige Entscheidung getroffen und erst Recht keine Kollektivstrafen genehmigt. Viel mehr widerlegt es im betroffenen Urteil, dass es sich wieder vom Antragssteller angenommen um eine Kollektivstrafe handele.

Diese bleiben weiterhin aufgrund des rechtsstaatlichen Willkürverbots unzulässig.

Ich bitte Sie daher, die entsprechend Überschrift schnellstmöglich zu korrigieren.

Pascal Reuer

Und damit hat er natürlich völlig Recht, weswegen wir Überschrift und Vorspann angepasst haben. Danke für die Rückmeldung!

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Kommentare

14

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  • #1

    Hallo ComperatorHD,
    Kollektivstrafen sind der Versuch Unschuldige zu Denunzianten zu machen und somit ist die Massnahme des Rex in meinem Gerechtigkeitsverständnis eine pädagogische Nullnummer. Also haltet zusammen und lasst Euch nicht instrumentalisieren.

    ...und nun zum Papier oder sagen wir mal Müll dazu.
    Müll irgendwo in die Welt zu schmeißen ist dumm.
    Und nun kommt der zweite Teil zum Thema Kollektivstrafe, wenn ihr es geschafft habt euch nicht gegenseitig zu verpetzten, erzieht ihr euch nämlich gegenseitig und nun hoffe ich mal, dass das der Effekt ist den sich euer Rex erhofft.

    schrieb Flügelmutter am

  • #2

    Bei mir aus der Klasse haben welche papier aus dem fenster geworfen.Der Direktor sagte er sah ein aus unserer Klasse baer als wir dann unsere Klassenlehrerin fragten wer das war sagte sie nichts mehr .Wir müssen nun in der 1. 2. und nach der Schule nachschauen ob dort papier liegt obwohl wir nichts gemacht hatten und zwischen durch nichtmal in der Klasse wahren.Es sind auch ein paar Schüler aus der anderen Klasse die mit Papier geworfen haben und die bekommen keinen Ärger

    schrieb ComperatorHD am

  • #3

    Musste man unbedingt 5 Tage Schulverweis als Beispiel nehmen? Ich würde mich freuen wenn ich umsonst 5 Tage frei bekäme!

    schrieb Kiesganne am

  • #4

    Wieder geraten hier die Schülerfreunde durcheinander.
    Ich schreibe hier zwar viel, aber zumindest Beitrag 10 ist nicht von mir. Bei Beitrag 9 bin ich mir da nicht so sicher

    schrieb Schülerfreund am

  • #5

    Darf die Realschule einen absoluten Schulausschluss bestimmen oder darf sie nur eine vorübergehende Beurlaubung veranlassen ???

    bitte um Antwort

    danke

    schrieb Schülerfreund1 am

  • #6

    Leider wird so ein Schulausschluss von den Schülern tatsächlich als Sonderurlaub empfunden. Gerade an Hauptschulen hat man aber keine anderen Mittel. Dauerhaft darf die Hauptschule nicht rausschmeißen.
    Wir haben eine Schulpflicht und müssen die erfüllen.

    schrieb Schülerfreund am

  • #7

    Deshalb verhängt die Schulleitung einen fünftägigen Schulausschluss für die ganze Gruppe.

    Cool. Eine Woche Urlaub. (Sorry, das war einfach mein erster Gedanke.)

    schrieb Yoshimo am

  • #8

    @Ralf und JAZZarov:
    Es kann ja wohl nicht angehen, dass offensichtliche Rechtsverstöße und Verstöße gegen jede Art von (Mit-)Menschlichkeit, für die Erwachsene empfindlich bestraft und zur Rechenschaft gezogen werden, in Schulen mit der Begründung “sind ja nur Kinder” in einer Art Rechtsfreien Zone enden. Gerade in den angesprochenen Hauptschulen, in denen JAZZarov anscheinend ein hohes kriminelles Potential sieht - und auch an keiner anderen Schulart!!!-, sollte es gar nicht erst einreißen, dass derlei menschenverachtende Aktionen mit ein paar ermahnenden Worten und einem kurzen erhobenen Zeigefinger abgetan und erledigt werden. Damit würde ein völlig missverständliches Zeichen gesetzt werden!

    schrieb calamityjane am

  • #9

    Quae nocent, docent! - Was schadet, lehrt! Daher ist das Urteil des Verwaltungsgerichtes zu begrüßen. Die Tätergruppe kann von Glück sagen, wenn die zuständige Staatsanwaltschaft kein Verfahren wegen Körperverletzung gegen sie eröffnet und die Eltern des mißhandelten Schülers keine Klage auf Schmerzensgeld erwägen. Bei Gewalttaten an Schulen sollte mit aller Strenge verfahren werden. Vor allem dann, wenn bei den Tätern kein Einsehen bezüglich des Fehlverhaltens, bzw. keine Reue gezeigt wird, erscheinen Strafen angebracht.

    schrieb nikado am

  • #10

    “Einen dauerhaften Schulausschluss halte ich hier für angemessener.”

    Dann könntest du die Hälfte aller Hauptschüler gleich in den Knast schicken. Pädagoge bist du offensichtlich nicht (bei allem Respekt :-)

    schrieb JAZZarov am

  • #11

    @Ralf:
    Es geht hier nicht um zufälliges Dabeistehen. Die Gruppe hat den einzelnen Schüler gemeinsam bedroht. Wenn dann nicht zu ermitteln ist, wer tatsächlich geschlagen hat, dann haben die sich wohl offensichtlich auch noch gegenseitig gedeckt.

    Das Urteil ist richtig und auch pädagogisch vernünftig.

    schrieb Mister M. am

  • #12

    Ein Horror-Urteil! In welchem Land leben wir denn eigentlich, daß hier so etwas wie Sippenhaft gerichtlich abgesegnet wird? Wenn ich nachts durch die Stadt gehe und zufällig an einem Geschäft vorbeikomme, in das gerade eingebrochen wird, muß ich dann in den Knast, weil ich da war?

    schrieb Ralf Kunter am

  • #13

    dies gilt nur in diesem einzell fall weill yemand zusammen geschlagen wurde . Aufgrund einer kleineren sache dreckigesklassen zimmer oder klopfen gegen türen ist das nicht erlaubt

    schrieb Anonymus am

  • #14

    Nur 5 Tage Schulausschluss für eine solche Tat mit gebündelter krimineller Energie?

    Ich fasse es nicht.

    Und nach 5 Tagen dürfen sich das Opfer und die anderen bedrohten Personen der Schule wieder täglich den Tätern gegenüber sehen?

    Ich finde das einfach lächerlich.

    Einen dauerhaften Schulausschluss halte ich hier für angemessener.

    schrieb MichaelSchm am

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