"Der Irrweg hat einen Namen: Heinz Klippert."
Über den Methodenwahn im Unterricht 08.05.2012, 00:01
Prof. A. Gruschka, Erziehungswissenschaftler, wettert gegen sinnlose Methodenkompetenz: »Methoden fungieren nicht mehr als Mittel zum Ziele der Erschließung und des Verstehens von Inhalten.«
Der Text "Strategien zur Vermeidung des Lehrens und Lernens: der neue Methodenwahn" wurde von Prof. Dr. Andreas Gruschka (Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Erziehungswissenschaften) verfasst und ist hier mit freundlicher Genehmigung des Autors (danke!) in Auszügen wiedergegeben.
Die vollständige Version (u.a. mit Ausführungen zur Lesekompetenz) bei der GBW (Gesellschaft für Bildung und Wissen), 03.04.2012.
Höchst kritisch wendet sich Prof. Andreas Gruschka gegen den Fetisch der Methoden: Wenn Schüleraktivierung zum einzigen Zweck eines ansonsten inhaltsleeren Unterrichts stattfindet, bleibt das Lehren und Lernen auf der Strecke. Im Wahn dreht sich das Methodenrad, und keiner bemerkt, dass nichts gelernt wird - außer den Methoden selbst.
Wie immer man zu dieser Sichtweise stehen mag: Ein höchst lesenswerter Text, der Denkanstöße gibt und gerade von Referendar/innen mit einer Mischung aus Amüsement und Verzweiflung gelesen werden dürfte: Eine Lehrprobe ohne Methodenwahn dürfte denn schon von vornherein zum Scheitern verurteilt werden.
Prof. Andreas Gruschka:
Strategien zur Vermeidung des Lehrens und Lernens: der neue Methodenwahn
Mit der angekündigten Behandlung von Strategien zur Vermeidung des Lehrens und des Lernens (als einem der Irrwege der gegenwärtigen Reform) ist zunächst der Irrtum, der hier vorliegt, zu bestimmen.
Niemand – bei klarem Verstand – wird eine Verbesserung darin erblicken, das Lernen von Schülern zu vermeiden. Man mag zu verhindern suchen, dass sie das Falsche lernen, aber Lernen selbst vermeiden, das wäre unsinnig. Bei Strategien zur Vermeidung des Lehrens ist das schon anders. Die haben nämlich einen hohen reformpädagogischen Klang. Sie stehen z.B. in Verbindung mit der Rousseauschen Idee, die Erziehung in der Kindheit habe negativ zu ein, was meinte, sie solle so vonstatten gehen, dass das Kind Erziehung gar nicht merke, weil sie nicht als solche auftrete, um nicht zu sagen, auftrumpfe. Der pädagogische Zeigefinger ist in der Tasche zu verstecken. Comenius hebt ihn und verspricht mit seiner Didaktik, dass dank ihr die Lehrer weniger lehren und dafür die Schüler mehr lernen würden. In den hessischen Texten zur Kompetenzorientierung findet sich das in der wunderbaren Variation, bisher hätten die Lehrer nur gelehrt, nun aber würden die Schüler lernen. [...]
Meine schon Jahre anhaltende Verstörung als empirischer Beobachter des alltäglichen wie wohl durch Reformen gekennzeichneten Unterrichts besteht nun darin, dass diese negative Korrelation: Je weniger Lehren, desto mehr Lernen, nicht aufgeht. Sie führt stattdessen dazu, dass komplementär mit der Vermeidung des Lehrens auch die Verhinderung des Lernens sich vollzieht. Das gut Gemeinte schlägt also um in das schlecht Gemachte und Wirksame.
Schuld daran ist nicht das Setzen auf die Eigentätigkeit des Schülers als seine Aktivierung, verantwortlich ist nicht schon die Abkehr von der Idee, man müsse ihm alles vormachen, ihn an der kurzen Leine zu den Ergebnissen führen, die man haben wolle. Vielmehr rührt die Fatalität der beiderseitigen Vermeidung daraus, dass zunehmend auf Methoden gesetzt wird, die als solche zwar vielfältige Aktivierung auslösen, diese aber Leerlauf betreiben. Wahn wird daraus, wo man sich nicht mehr fragt, was diese Methodenkompetenz sowohl mit den Sachen macht, die immer noch mit unterrichtet werden sollen und wie die Schüler auf Methoden reagieren, die ihr Lernen dynamisieren sollen. Die innere Logik dieser Methoden führt letztlich dazu, dass mit dem Vermeiden der Belehrung das Lernen von etwas, was nicht die Methode selbst ist, weitgehend ausgeschlossen, bzw. überflüssig gemacht wird. [...]
Methoden fungieren nicht mehr als Mittel zum Ziele der Erschließung und des Verstehens von Inhalten. Es werden also nicht die Methoden unterrichtet, die man spezifisch benötigt, um Inhalte zu lernen. Die hier als Irrweg kritisierten Methoden koppeln sich von den Inhalten ab. Sie werden von Mitteln der Erkenntnisgewinnung zum Ziel des Lernens, so dass im besten Fall man nur noch sie selbst als Methoden erwirbt. Gerechtfertigt wird das damit, sie seien Universalmethoden, mit denen man alles bearbeiten kann. Das trifft auch zu. Aber die Bearbeitung löst sich dabei von der Erkenntnis der Sache ab. Inhalte dienen nur noch als Spielmaterial zur Einübung in die Methode.
Der Irrweg hat einen Namen: Heinz Klippert. Sein Methodentraining hat eine eminente Wirkung noch dort entfaltet, wo man gar nicht Klippert-Arbeitsbögen einsetzt. Auch in den fortgeschrittenen Anregungen zum kompetenzorientierten Unterricht als Befolgung von Bildungsstandards oder in der Neuformatierung der Prüfungsaufgaben, sei es als Präsentation, sei es als PISA-like Klassenarbeit findet sich dieser an Klippert anschließende Irrweg. [...]
Der Lehrer verschwindet als solcher, er ist nur noch Methodentrainer. [...] So mag engagierter Mitmachunterricht stattfinden, aber gleichzeitig wird das Lehren und Lernen entsorgt. Alle sind zufrieden und keiner merkt mehr, dass er um das betrogen wird, was allererst Unterricht lohnenswert machen würde.