Traumpaar Kevin & Chantal
Lehrer-Vorurteile gegen Schüler-Vornamen 18.09.2009, 19:57
Eine Befragung von 500 Lehrpersonen zeigt: Ob Schüler/innen als sympathisch, verhaltensauffällig oder leistungsstark eingeschätzt werden, hängt auch vom Vornamen ab. Am schlechtesten kommen Kevin, Justin, Chantal und Mandy weg. Unklar bleibt, welche konkreten Auswirkungen diese Vorurteile im Unterrichtsalltag haben.
Die Vornamensstudie von Julia Kube - Übersicht
In einer Masterarbeit von Julia Kube (pdf-Download) wurde untersucht, ob die Vornamen von Kindern die Chancengleichheit in der frühen Bildungsbiographie beeinflussen:
Denn bestimmte Vornamen rufen bei Lehrpersonen Vorurteile hervor. In einer Online-Fragebogenerhebung, bei der mittlerweile fast 2000 Grundschullehrerinnen und -lehrer anonymisiert teilgenommen haben, haben die in die genaue Auswertung genommenen 500 Fragebögen ergeben, dass die Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer mit Vornamen auch Vorannahmen zu Fähigkeiten und Verhalten der Kinder verbinden. Bestimmte Schülernamen werden von einem überwiegenden Anteil der Lehrpersonen eher negativ oder eher positiv wahrgenommen, sodass dies zu einseitigen Erwartungshaltungen führen kann. [...] Besonders der Name ‘Kevin’ stellt sich hierbei als stereotyper Vorname für einen ‘verhaltensauffälligen’ Schüler heraus. “Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose!” heißt es in einem Fragebogen. [...]
Bei bestimmten Vornamen wird [bei Lehrer/innen] eine bestimmte Erwartungshaltung bezüglich Verhaltensauffälligkeit, Leistungsstärke und Persönlichkeit des Kindes ausgelöst, die dazu beitragen kann, ihnen entweder positive oder negative Kompetenzen zuzuschreiben.
Abstract des Projekts ‘Vornamensforschung’ (astrid-kaiser.de)
90% der teilnehmenden Grundschullehrer/innen waren weiblich (S. 24); außerdem entstammt eine überwiegende Mehrzahl der Teilnehmer/innen den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen (S. 26).
Ergebnisse der Studie
Die Studie zeigt, dass “bei Grundschullehrerinnen und –lehrern bestimmte Vorurteile zu bestimmten Vornamen von Grundschulkindern bestehen” (S. 75). Positiv besetzt sind die Namen Charlotte, Sophie, Nele, Marie / Alexander, Maximilian, Simon, Lukas, Jakob. Die Verlierer sind Chantal, Mandy / Kevin, Justin, Marvin, Maurice.
U.a. wurde in der Studie gefragt:
- “Welche Vornamen würden Sie Ihrem Kind auf keinen Fall geben?” (Frage 1, S. 84)
- “Nennen Sie Vornamen von Schülerinnen/Schülern, die bei Ihnen Assoziationen zu ‘Verhaltensauffälligkeit’ hervorrufen!” (Frage 3, S. 85)
Außerdem wurde aus einer Liste von 24 (in einem Vortest ermittelten, S. 30f) beliebten Vornamen nach Assoziationen hinsichtlich Leistungsfähigkeit (Frage 5), Verhaltensauffälligkeit (Frage 6) und Freundlichkeit (Frage 7) gefragt. Die Testpersonen sollten ankreuzen, ob sie mit dem Namen das jeweilige Verhalten assoziierten (“eher verhaltensauffällig”, “eher verhaltensunauffällig”, “weiß nicht” - S. 87f).
Frage 1: Welche Vornamen würden Sie Ihrem Kind auf keinen Fall geben?
Hier konnten die Lehrpersonen beliebige Namen nennen. Ergebnisliste (im Format Name (relative Häufigkeit)) nach S. 52:
- Kevin (64%)
- Jacqueline/Jaceline (37,2%)
- Chantal/Chantalle (33,2%)
- Justin (30,4%)
- Marvin (10,8%)
- Mandy (9,2%)
- Dennis (9,2%)
- Michelle (7,6%)
- Pascal/Pasqual (6.8%)
- Marcel (6,2%)
In der Umfrage sind besonders französische Namen unpopulär. Unangefochtener Spitzenreiter der Unbeliebtheit ist “Kevin”, der zu Geburtszeiten der heutigen Grundschüler/innen in den Top 20 der beliebtesten Vornamen vertreten war. Jacqueline, Chantal und Justin hingegen sind in heutigen Grundschulklassen nicht signifikant häufig vertreten, deshalb wundert diese Häufung.
Frage 3: Nennen Sie Vornamen von Schülerinnen/Schülern, die bei Ihnen Assoziationen zu ‘Verhaltensauffälligkeit’ hervorrufen!
Auch hier konnten die Lehrpersonen beoiebige Namen nennen. Ergebnisliste:
- Kevin (54,4%)
- Justin/Justim (21,0%)
- Dennis/Denis (10,6%)
- Marvin/Marwin (10,0%)
- Jacqueline/Jaqueline (9,2%)
- Chantal(le)/Shantal (8,6%)
- Marcel (8,4%)
- Pascal/Pasqual (7,6%)
- Maximilian/Max(i) (6,0%)
- Leon (5,4%)
Frage 5: Assoziationen zu Leistungsstärke
Hier wurde aus einer Liste von 24 Vornamen ausgewählt (s.o.), ob mit dem Namen “eher leistungsstark” oder “eher leistungsschwach” assoziiert wird.
Eher “leistungsstark” sind ...
weiblich: Hannah, Charlotte, Marie, Sophie und Katharina
männlich: Jakob, Maximilian, Simon und Alexander
Eher “leistungsschwach” sind ...
weiblich: Chantal, Mandy, Angelina, Celina und Vanessa
männlich: Kevin, Justin, Marvin, Maurice
Frage 6: Assoziationen zu Verhaltensauffälligkeit
Eher “verhaltensunauffällig” sind ...
weiblich: Marie, Hannah, Sophie, Charlotte, Katharina
männlich: Jakob, Simon, Alexander, Maximilian, Leon
Eher “verhaltensauffällig” sind ...
weiblich: Chantal, Mandy, Celina, Angelina
männlich: Kevin, Justin, Marvin, Maurice, Cedric
Frage 7: Assoziationen zu Sympathie
Eher “freundlich” sind ...
weiblich: Sophie, Marie, Hannah, Emma, Charlotte, Katharina
männlich: Jakob, Simon, Alexander, Maximilian, Lukas
Eher “frech” sind ...
weiblich: Mandy, Chantal, Angelina, Celina, Vanessa
männlich: Kevin, Justin, Marvin, Nick, Maurice
“Kevinismus” - Namensgebung der bildungsfernen Unterschicht
Die Autorin Julia Kobe schreibt zum “Kevinismus”:
Auf mehreren Web-Pages wird im Bezug zu seiner erstmaligen Definition auf die satirische Internetseite de.uncyclopedia.org verwiesen, die diese Begrifflichkeit am 1. Februar 2007 veröffentlicht hat. Hier wird ‘Kevinismus’ als “die krankhafte Unfähigkeit, menschlichem Nachwuchs sozialverträgliche Namen zu geben” verstanden. Aber nicht nur diese satirische Internetseite prägt diesen Begriff, da er sich nun seit einiger Zeit etabliert hat: Selbst renommierte Magazine und Zeitungen wie ‘Die Welt’, ‘Die Zeit’ oder ‘Die Süddeutsche’ diskutieren in ihren Beiträgen dieses Phänomen. So schreibt Katrin Pribyl in einem Artikel der Welt “Mandy, Peggy, Justin, Kevin – alles klar, die Kinder kommen aus der Unterschicht.” Der Tenor der Beiträge scheint eindeutig, sodass ‘Kevinismus’ als Begriff für die Namensgebung der bildungsfernen Unterschicht, die scheinbar bei ihrem Nachwuchs zur Vergabe von außergewöhnlichen, angloamerikanischen oder zumindest Namen, die aus anderen Kulturräumen stammen, tendieren. Hierbei sei die Namenwahl dieser ‘Unterschicht’ auf bestimmte Namen beschränkt, die somit auch gleichzeitig als Indikatoren für problematische Hintergründe oder auffällige Kinder zu sehen seien.
[...] die Namensforscherin Gabriele Rodriguez: “Vor allem Eltern aus bildungsfernen Schichten, die sich sehr am Fernsehen orientieren, wählen für ihre Kinder die Namen ihrer Idole aus Film, Musik oder Sport” [...]
Alles Vorurteile?
Die zentrale Frage, die sich im Kielwasser der Studie stellt: Sind Lehrer/innen “ungerecht” und weisen Kindern schon aufgrund ihres Namens einen Rangplatz zu? So interpretiert das zumindest Astrid Kaiser, die betreuende Professorin der Studie, im Interview mit Spiegel Online:
Kaiser: [...] Was mich bei der Studie allerdings überrascht hat, war die Deutlichkeit und die Schärfe, mit der die befragten Lehrer über bestimmte Namen urteilen - und mit welcher Bestimmtheit sie davon ausgehen: Das ist kein Vorurteil, das ist eigene Erfahrung, das ist die Wahrheit.
Spiegel Online 18.09.2009: Auch der intelligente Kevin ist dumm dran
Natürlich kommen mehr "Kevins" und "Chantals" aus bildungsfernen Schichten - wobei die Professorin davor warnt, dass man "ungefördert" mit "unintelligent" verwechselt. Und damit hat sie auf jeden Fall Recht.
Die Lehrergewerkschaft GEW dementiert und warnt mit einer sehr originellen Argumentation vor Schlussfolgerungen, wie sie Kaiser zieht:
Es sei aber leichtfertig und waghalsig, darauf zu schließen, dass der Name und ein geringer Sozialstatus zu einer Benachteiligung des Schülers führe und sich etwa in der Notengebung niederschlage. Dies könne ja gerade im Gegenteil zu einer erhöhten Förderbereitschaft der Pädagogen führen, sagte Demmer.