Anreizsystem
Unterrichten Lehrer/innen besser, wenn sie mehr Geld dafür bekommen? 07.04.2011, 23:45
Stellen Sie sich vor, ein/e Lehrer/in würde am Ende eines Schuljahres eine Bonuszahlung von 5.000 Euro bekommen, wenn sich die Leistung der Schüler/innen zum Vorjahr um einige Prozentpunkte verbessert hätte. Würde das tatsächlich zu einem höheren Lernerfolg führen? Dieser Frage geht Prof. R. Fryer aus Harvard in einer aktuellen Studie nach.
Die von Harvard-Professor Roland Gerhard Fryer veröffentlichte Studie Teacher Incentives And Student Achievement (PDF) untersucht die Frage, ob Anreizsysteme für Lehrer (d.h.: Belohnung mit Geld) zu höherem Lernerfolg der Schüler/innen führen können. Zwischen den Zeilen steht die interessante Frage: Könnten Lehrer/innen besser unterrichten, wenn sie nur wollten?
In der Studie konnten keine nennenswerten Effekte nachgewiesen werden. Das hängt wohl in erster Linie damit zusammen, dass die Lehrer/innen nicht persönlich von der ausgesetzten “Belohnung” profitierten und das Anreizsystem nicht verstehen konnten bzw. nicht genau wussten, unter welchen Umständen sie das Geld erhalten würden (siehe ganz unten).
Die folgenden Zitate und Seitenzahlen beziehen sich auf die Studie TEACHER INCENTIVES AND STUDENT ACHIEVEMENT: EVIDENCE FROM NEW YORK CITY PUBLIC SCHOOLS (National Bureau of Economic Research, Cambridge, Massachusetts) - PDF von Roland G. Fryer, alle Übersetzungen Lehrerfreund.
Lehrer-Anreize und Schüler-Erfolg
Die empirische Lehrer-Anreiz-Forschung unterscheidet drei Auswirkungen, die die Einführung eines auf dem Lernerfolg basierenden (finanziellen) Belohnungssystems für Lehrer/innen haben kann (S. 3):
- Ein Anreizsystem kann dazu führen, dass unmotivierte Lehrer/innen sich insgesamt (Unterrichtsvorbereitung, Unterrichtsddurchführung, Elternarbeit usw.) mehr bemühen - und somit der Lernerfolg steigt.
- Es kann aber auch zum gegenteiligen, negativen Effekt kommen: Der Idealismus der Lehrer/innen und damit ihre intrinsische Motivation wird durch das profane Belohnungssystem verringert. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich innerhalb des Lehrkörpers eine Konkurrenzsituation entwickelt, die den Lernerfolg gefährdet.
- Unter bestimmten Umständen hat die Einführung eines Belohnungssystems keinerlei Auswirkungen - wenn z.B. die Belohnungen zu gering sind oder wenn die Lehrer/innen gar nicht über die erforderlichen didaktischen Kompetenzen verfügen, um ihren Unterricht zu verbessern.
Ob konkrete Anreize für Lehrer/innen den Unterrichtserfolg verbessern, ist in der empirischen Forschung umstritten. Verschiedene Studien haben höchst unterschiedliche Ergebnisse erbracht. Positive Effekte wurden vor allem in Entwicklungsländern nachgewiesen, wo an den Schulen teilweise sehr besondere Umstände herrschten (S.4, S. 23f). Deshalb wollte Fryer nachlegen.
Fryers Studie
Von 2007 bis 2009 führte Fryer an 396 öffentlichen Schulen in New York seine Untersuchung durch. Bei etwas mehr als der Hälfte wurden Belohnungen in Form von Bonuszahlungen für zusätzlichen Lernerfolg versprochen, bei den restlichen Schulen (Kontrollgruppe) nicht; was als Lernerfolg definiert wurde, liest man in der Studie auf S. 9f. Das Belohnungssystem war auf drei Jahre gestaffelt - jedes Jahr wurde der Lernfortschritt der Schüler/innen erneut überprüft und entsprechend mit Bonuszahlungen reagiert.
An knapp 150 Schulen wurden insgesamt 75 Millionen US-Dollar (>50 Mio. Euro) an Bonuszahlungen ausgeschüttet (S. 12f). Für jede/n belohnte/n Lehrer/in wurden durchschnittlich Bonuszahlungen in Höhe von 3.000 US-Dollar (>2.000 Euro) vergeben.
Ergebnis: Bonuszahlungen wirken sich in keiner Weise aus
Für Fryer selbst überraschend ergaben sich durch die Bonuszahlungen keinerlei statistisch auch nur interessanten Effekte auf den Lernerfolg - quer durch alle Schulformen/-stufen.
Wahrscheinlich aus purer Verzweiflung überprüfte Fryer und sein Team, ob die Bonuszahlungen Auswirkungen auf die Arbeitsplatzbindung und die Abwesenheitsquote hatten. Hatten sie nicht: Die Lehrer/innen, die Bonuszahlungen erhalten hatten, vollzogen Schulwechsel nicht häufiger oder seltener als andere Lehrer/innen. Sie waren auch nicht häufiger oder seltener abwesend als andere.
Warum funktioniert das Belohnungsystem für Lehrer/innen nicht?
Der interessanteste Teil der Studie ist definitiv die Diskussion der Ergebnisse. Prof. Fryer fragt sich, wie es sein kann, dass das Anreizsystem nicht funktioniert hat und nennt als mögliche Erklärungen:
- Die individuellen Belohnungen waren zu niedrig
- Die meisten Schulen entschieden sich dafür, die Bonuszahlungen an alle Lehrer/innen gleichermaßen zu verteilen. Fryer vermutet, dass so mögliche positive Effekte des Systems durch Trittbrettfahrer/innen abgeschwächt wurden. Außerdem betrugen die Zahlungen 3000 US-Dollar, was nur rund 4% des Jahreseinkommens der beteiligten Lehrer/innen entspricht. Das könnte nach Fryer zu wenig Geld gewesen sein (obwohl in Indien und Kenia positive Effekte mit Bonuszahlungen von 2-3 Prozent nachgewiesen wurden) - S.22. Andererseits berichtet Fryer von einer Untersuchung (“POINT”), in der auch deutlich höhere Bonuszahlungen (20% des Jahresgehalts) keinerlei nennenswerten Effekt auf Lernleistung der Schüler/innen und Anstrengung der Lehrer/innen hatten.
- Lehrer/innen haben das Anreizsystem nicht verstanden
- Wahrscheinlich haben die beteiligten Lehrer/innen das Anreizsystem nicht ganz verstanden, räumt Fryer ein: Keine/r wusste genau, unter welchen Umständen welcher Lernfortschritt wem wie viel Geld bringen würde - der Fortschritt in Prozent gemessen, Schulen im Vergleich mit anderen Schulen: Keine/r hat durchgeblickt - und folglich hat sich vielleicht einfach auch keine/r angestrengt (S. 23).
- Gruppenbelohnungen funktionieren nicht richtig
- Die beteiligten Schulen konnten selbst entscheiden, wie die Belohnungen an die Kolleg/innen verteilt wurden. Die meisten Schulen entschieden sich für die Vergabe von Gruppenbelohnungen - so dass für die Lehrer/innen kein direkter Zusammenhang zwischen eigener Anstrengung und Belohnung bestand.
Fazit: Ist leistungsbezogene Bezahlung von Lehrer/innen sinnvoll?
Nach der Studie von Fryer steht als Antwort auf diese Frage ein unklares “Nein”. Allerdings gesteht der Professor ein, dass das Untersuchungsdesign schlecht war (und das muss man ihm hoch anrechnen: Die meisten seiner Kolleg/innen würden das gerade bei einer so großen und teuren Studie niemals freiwillig zugeben).
Offen bleibt leider die Frage, ob Lehrer/innen besser könnten, wenn sie nur wollten. Fryer diskutiert zum Abschluss seiner Studiendarstellung eine These:
“Teachers are ignorant, not lazy” (Lehrer sind nicht faul, sondern unfähig) - S. 24
Das ist ja immerhin schon mal ganz tröstlich - besser so als andersrum.