Harter Job
»Unser Klientel stirbt nicht aus« - Interview mit einem Hauptschullehrer 05.02.2009, 12:09
In einem interessanten Interview berichtet ein Hauptschullehrer von seinem Arbeitsalltag – und von Klassenkampf, Drogen und Perspektivlosigkeit. Damit liefert er weitere Argumente für die Abschaffung der Hauptschule, die lediglich an der Unfähigkeit der Bildungspolitik scheitert.
Die Süddeutsche Zeitung hat ein Interview mit einem Hauptschullehrer veröffentlicht, das sowohl für Lehrer/innen als auch für Schüler/innen, Eltern und alle pädagogischen Fachkräfte interessant sein könnte. Es geht um die Hauptschule, um den oft anstrengenden und manchmal aussichtslosen Alltag von Lehrern, die erziehen sollen, „was die Gesellschaft entsorgt“. Der Lehrer erzählt von seinem Leben mit den teilweise schwer erziehbaren und verhaltensgestörten Kindern, vom Umgang mit Drogen und Gewalt an der Schule und von der Verzweiflung vieler Kollegen. Die Frage, ob er seinen Beruf mag, bejaht er - schränkt jedoch sofort ein:
Doch die Unterrichtsbedingungen werden immer schwieriger. Die Politik übt großen Druck auf uns aus, die Schüler werden von vorneherein als Verlierer abgestempelt und die Zusammenarbeit mit den Eltern ist oft katastrophal. In unseren Klassen sitzen viele Gestrandete, Demotivierte und auch Verhaltensgestörte. Doch nachdem ich ihre Eltern kennengelernt habe, hatte ich oft mehr Verständnis für die Kinder.
„Unser Klientel wird nicht aussterben“, ist das nüchterne Fazit des Gesprächs, dass verdeutlicht, wie groß die Baustelle „Hauptschule“ in Deutschland eigentlich ist. Die Schlussfolgerung, dass die Hauptschule “eine Zukunft” habe, ist allerdings zu hinterfragen:
sueddeutsche.de: Glauben Sie, die Hauptschule hat eine Zukunft?
Groß*: Ja, weil unser Klientel nicht aussterben wird. Wohin will die Gesellschaft denn sonst all die Kinder stecken, die sie nicht haben will?
Die Antwort ist einfach: Die Gesellschaft sollte die Problemkinder integrieren, nicht isolieren. Und dazu müsste man die Hauptschulen schleunigst abschaffen.
In der Bildungspolitik hat man das längst kapiert - aber man tut es nicht. Denn man hat Angst vor den Reibungen, die die Abschaffung früher Selektion erzeugen würde: Das Wahlvolk würde aufschreien - “Mein Kind sitzt neben dem dummen Unterschichtkind!”. Jede Note schlechter als zwei würde man dieser Maßnahme anlasten, jede Prügelei auf dem Schulhof, jede verschmutzte Toilette.
Deshalb konzentrieren sich die Kultusminister/innen darauf, die Hauptschulen umzubenennen. Während dem Baden-Württemberger süße Lieder von “Werkrealschule” und “Hauptschule mit angeschlossener Werkrealschule” etc. vorgesungen werden, schlägt sich die Pfälzerin mit “Realschule plus”, der “Kooperativen Realschule” und der “Integrativen Realschule” herum. Der VBE spricht von einer babylonischen Sprachverwirrung.
Man könnte fast auf den Gedanken kommen, dass ein perfides System hinter dieser Umbenennerei steckt. Denn die länderübergreifende Diskussion wird verunmöglicht, alle garen in ihrem Bundeslandsüppchen vor sich hin. Und keine/r versteht mehr, was die Bildungspolitik da eigentlich genau macht. Das sind gute Voraussetzungen für eine Wiederwahl. Dass damit nicht nur die Hauptschüler/innen, sondern in langer Sicht auch die Volkswirtschaft verliert, ist den Zuständigen gleichgültig.