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Schultrojaner

Schulbuchverlage wollen Rechner an Schulen ausspionieren 31.10.2011, 14:38

Trojaner-Apfelwurm
Bild: pixabay [CC0 (Public Domain)]

Die Schulbuchverlage haben mit den Kultusministern einen unheiligen Pakt geschlossen: Sie programmieren eine Software, mit der die Rechner an öffentlichen Schulen systematisch auf Urheberrechtsverstöße hin durchsucht werden - den "Schultrojaner". Es sind zahlreiche disziplinarische Maßnahmen gegen Lehrer und Schulleiter zu erwarten, zumal wahrscheinlich auch Kopiergeräte mit durchsucht werden.

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Der Vertrag zum Ausspionieren von Schulrechnern

Da hat netzpolitik.org wieder etwas Interessantes ausgegraben: Die Bundesländer haben mit den Schulbuchverlagen und den Verwertungsgesellschaften VG Wort und VG Musikedition einen Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG (PDF) geschlossen. Dieser Vertrag soll sicherstellen, dass die gesetzlichen Regelungen zur Wahrung des Urheberrechts an Schulen eingehalten werden. Der Vertrag wurde am 21.12.2010 unterzeichnet.

Unter dem unguten Eindruck der Affäre um den "Staatstrojaner" (das Programm, das von der Bundesregierung im Oktober 2011 in verfassungswidriger Weise in Umlauf gebracht wurde) lesen sich §6, Absatz 4ff nur mit Schüttelfrost:

4. Die Verlage stellen den Schulaufwandsträgern sowie den kommunalen und privaten Schulträgern auf eigene Kosten eine Plagiatssoftware zur Verfügung, mit welcher digitale Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identifiziert werden können. Die Länder wirken – die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software vorausgesetzt – darauf hin, dass jährlich mindestens 1 % der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz dieser Plagiatssoftware auf das Vorhandensein solcher Digitalisa-te prüfen lässt. Der Modus der Auswahl der Schulen erfolgt – aufgeschlüsselt nach Ländern und Schularten – in Absprache mit den Verlagen auf Basis eines anerkannten statistischen Verfah- rens. Die Überprüfungen erfolgen ab Bereitstellung der Software, frühestens jedoch im 2. Schulhalbjahr 2011/2012.

5. Die Länder werden die privaten und kommunalen Schulträger auffordern, Abs. 1 bis 4 entsprechend auf ihre Schulen anzuwenden.

[...]

7. Die Länder verpflichten sich, bei Bekanntwerden von Verstößen gegen die in diesem Gesamtvertrag festgelegten Vorgaben für das Vervielfältigen von urheberrechtlich geschützten Werken gegen die betreffenden staatlichen Schulleiter und Lehrkräfte disziplinarische Maßnahmen einzuleiten.

Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG (PDF)

Es ist schön, wenn Politiker/innen dafür sorgen, dass Gesetze eingehalten werden. Allerdings geht der "Schultrojaner" einige Schritte zu weit, dargestellt bei netzpolitik.org:

Der Einsatz einer solchen Software wirft reihenweise arbeitsrechtliche und beamtenrechtliche Fragen, denn mittelbar überwacht der Dienstherr – wenn er die Software einsetzt – seine Angestellten / Beamten. Damit dürfte ein solcher Vertrag jeweils arbeits- und beamtenrechtlich mitbestimmungspflichtig sein. Und die Mitbestimmungsgremien dürften extrem sensibel auf jede Form von Überwachungssoftware reagieren. Ich höre schon den Aufschrei der Lehrer und ihrer Gewerkschaften, die sicherlich keine Lust haben, ihre Arbeitsrechner durchsuchen zu lassen. Und was ist mit Rechnern, die von Schulen für Schüler bereitgestellt werden, werden die ebenfalls mitgescannt?

Es gibt auch noch diverse Landesdatenschutzgesetze, wo unklar ist, ob die derlei zulassen.[...] Wir haben den Verfassungsrechtlicher und Richter Ulf Buermeyer um eine Einschätzung gebeten, inwiefern dieses in diesem Fall eine Rolle spielt:

“Verfassungsrechtlich jedenfalls dürfte man sich auf extrem dünnem Eis bewegen: Ein Komplett-Scan auf einem Computer greift wohl in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter informationstechnischer Systeme ein. Dabei ist es übrigens egal, wem die gehören: Wenn eine Schule einen Rechner kauft, aber den zB einem Lehrer zur eigenen Nutzung zuweist, steht dem Lehrer (!) das Grundrecht zu, auch wenn er nicht Eigentümer des Rechners ist. Eine solcher Schnüffelangriff wäre daher nur mit Zustimmung des Lehrers (o.ä.) und ansonsten unter den extrem hohen Voraussetzungen des Computer-Grundrechts zulässig. Schnöde Profitinteressen der Urheberrechtslobby gehören jdf. nicht zu den danach schutzwürdigen Gütern.”

netzpolitik.org 31.10.2011: Der Schultrojaner – Eine neue Innovation der Verlage (CC BY-NC-SA)

Ab 2012: Schultrojaner im Einsatz

In Abs. 4 ist geregelt, dass "jährlich mindestens 1 % der öffentlichen Schulen" komplett durchsucht werden. Damit sind knapp 400 Schulen bundesweit betroffen (ausgehend von ~38.000 öffentlichen Schulen in Deutschland).

Durchsuchen bedeutet die Überprüfung "schulischer Speichersysteme" daraufhin, ob sich "keine Digitalisate von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken [auf schulischen Speichersystemen] befinden" (§6 Abs. 2). Damit werden nicht nur schulische Rechner (im Lehrerzimmer, an Arbeitsplätzen, im Sekretariat, im Computerraum, bei der Schulleitung ...), sondern zwangsläufig auch Kopiergeräte durchsucht. Die meisten modernen Kopierer speichern alle kopierten Dokumente auf einer internen Festplatte und hängen zunehmend am Schulnetzwerk. So können - Ironie des Schicksals - Kopiervorlagen direkt als PDF auf den Festplatten der Schulrechner abgelegt werden.

Das Digitalisieren analoger Unterrichtsmaterialien ist ausdrücklich untersagt, wie auch im Gesamtvertrag gleich zweimal nachdrücklich betont wird (§3, Abs. 3; §6 Abs. 1). Aber machen wir uns nichts vor: Die Welt ist voll mit illegal digitalisierten Unterrichtsmaterialien. Wer schnippelt heute noch seine Arbeitsblätter mit der Schere? Dabei ist festzuhalten, dass diese Praxis in keiner Weise der unerlaubten Verbreitung dient, sondern den Vorteilen digitaler Arbeitsblatterstellung geschuldet ist. Auch im Kopierer dürften sich zahlreiche Urheberrechtsverstöße finden, was bspw. den Umfang kopierter Werke betrifft (s.a. Kopien aus Schulbüchern - Sind Lehrer Gesetzesbrecher/innen?).

Der Schultrojaner wird also in jeder Schule auf einigen der schuleigenen "Speichersystemen" Illegales finden, möglicherweise auch bei der Rektor/in. Gemäß §6 Abs. 7 werden in diesem Fall zwangsläufig disziplinarische Maßnahmen eingeleitet.

Die Folgen

Die arbeitsrechtlichen Fragen (s.o.) sind das Eine, und möglicherweise strauchelt die Aktion genau darüber, sofern die Lehrergewerkschaften entsprechenden juristischen Druck erzeugen können.

Vielleicht noch relevanter für das Gelingen von Schule ist auch der Beziehungsaspekt:

Die Schulbuchverlage dürften mit dem Bekanntwerden dieses Skandals ihr Image auf einen neuen Tiefpunkt drücken. Im Vertragswerk sind fast alle größeren und bekannten Schulbuchverlage vertreten durch den VdS Bildungsmedien. Da außerhalb des Verbands keine nennenswerten Unterrichtsmaterialien (v.a. Schulbücher) produziert werden, hat der VdS Bildungsmedien ein Quasi-Monopol und braucht sich nicht darum zu scheren, welches Image man bei Lehrer/innen hat.

Ähnliches gilt für den Arbeitgeber "Bundesland". Die Identifikation mit ihm ist bei Lehrer/innen gering. Mal drückt man ihnen das sinnlose G8 rein, mal eine Deputatsstunde mehr, mal vergrößert man die Klassen. Dann schimpft man sie aus wegen PISA oder nennt sie faule Säcke (nun gut: Das ist schon verjährt). Solches Verhalten führt langfristig zum Abbau von Loyalität und Engagement. Besonders bei Schulleiter/innen ist Loyalität der Obrigkeit gegenüber ein wichtiger Punkt, denn die Schulleitung muss von oben kommende Gesetze, Vorschriften und Richtlinien umsetzen.

Nun geht der Arbeitgeber hin und macht mit den Schulbuchverlagen einen Deal, dass Schulrechner ausspioniert werden können. Damit entfernt sich der Arbeitgeber der Schulleiter/innen und Lehrer/innen ein weiteres Stück von den Arbeiter/innen. Und weiter geht der Entfremdungsprozess.

In einem pädagogischen System sollte ein konstruktives Miteinander an erster Stelle stehen. Statt dessen spitzelt man im Auftrag der Schulbuchverlage, die ihre Schäflein mehr als im Trockenen haben, den Lehrer/innen hinterher. Besser wird Schule dadurch sicher nicht.

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Kommentare

5

Zum Artikel "Schulbuchverlage wollen Rechner an Schulen ausspionieren".

  • #1

    Wenn sich die Schulbuchverlage bei der Programmierung des Trojaners ebenso fachkundig und intelligent verhalten, wie es beim Vertrieb ihrer gedruckten Werke erfolgt, dann
    hat kein Lehrer etwas zu befürchten.

    schrieb Hugo Schuster am

  • #2

    Dass sich ein öffentlicher Dienstherr privaten Dritten gegenüber pauschal im Vorhinein verpflichtet(!), auf Verlangen dieses Dritten disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen seine Bediensteten einzuleiten, ist wahrlich ein starkes Stück - ich bezweifle, dass es für einen solchen Blankoscheck einen Präzedenzfall gibt.

    Angesichts dieses Krüppel- und Knebelvertrags kann man sich nur noch fragen, ob der Herr Ministerialdirektor Erhard vom Bayrischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus ahnungslos genug war, sich derart über den Tisch ziehen zu lassen, oder ob die Loyalität der Länder gegenüber den Schulbuchverlagen tatsächlich so viel größer ist als gegenüber den eigenen Lehrern, Schülern und Eltern. 

    Fein heraus sind (zumindest zunächst einmal) alle Lehrkräfte an Schulen in privater oder kommunaler Trägerschaft. Deren Schulträger sind nämlich nicht Partner dieses Vertrages, deshalb müssen sich die Länder ihnen gegenüber auf bloße Appelle beschränken (§ 6 Abs. 5 des Gesamtvertrags). Aber dafür wird den Schulbuchverlagen sicher auch noch etwas einfallen.

    schrieb Jossi am

  • #3

    Schöne digitale Welt!
    Dann sollten wir eben wieder den “alten” Unterricht machen: Zu Hause (vielleicht sogar mit Hand?) erstellte Folien, Kreidetafelbilder, schreibende Schüler ...
    Die Schüler haben früher auf diese Weise auch etwas gelernt und an mir geht die ganze Aufregung über drohende Abmahnungen und Strafanzeigen vorbei.
    Nur ist das zeitgemäß, wo aller Orten für die neuen Medien und deren Nutzung (nicht von ungefähr auch von der Lobby der Hersteller dieser Medien) geworben wird?
    Sollen doch die Schulbuchverlage und die Hersteller dieser neuen Medien den Kampf unter sich ausfechten - die übrigens beide für alles, was an Schule verkauft wird, maßlos überteuerte Preise (Man vergleiche daraufhin nur mal Preise im “normalen” Buchhandel selbst bei hochwertigen Büchern und bei Schulbüchern.) verlangen! Der Steuerzahler bezahlt es ja!
    Und dass es im Netz weder Anonymität noch Sicherheit oder Privatsphäre gibt, ist eine inzwischen altbekannte Weisheit. Der Schultrojaner beweist somit nur einmal mehr, dass sich technische Möglichkeiten viel rasanter entwickeln - von der Atomkraft bis Facebook - als die moralischen Werte zur verantwortungsvollen Nutzung.
    Das ist der Lifestyle des 21. Jahrhunderts.

     

    schrieb Bin!Der am

  • #4

    Leben und leben lassen. Ich bin über diese neue Initiative der Schulbuchverlage empört. Bin selbst eine angestellte Lehrerin (werde vom Staat jeden Monat um 500 Euro für die gleiche Arbeit wie die der Beamten betrogen). Kaufe regelmäßig, weil mir der Beruf trotz allem Spaß macht und ich immer auf der Höhe der Zeit bleiben will, viel Zusatzmaterial und Programme für den Unterricht. Ich glaube, die Verlage sollten einmal eine Mischkalkulation anfertigen und diese Käufe der Lehrerschaft mit den “illegal kopierten Seiten” verrechnen. Auch die Länder, die Kommunen sollten einmal überlegen, was passiert, wenn wir Lehrer für einen Monat - nützt es nichts - für zwei Monate usw. in einen Kaufboykott für Schulmaterialien jedweder Art treten.
    Wir investieren viel Geld für Material, das eigentlich von den Schulen angeschafft werden müsste, aber für das kein Geld da ist.
    Wir können diese Investitionen zwar von der Steuer absetzen, bezahlen aber den größten Teil der Summe vom privaten Haushaltsgeld. 10cm Bücher im Regel = 200, 300 Euro? Was passiert mit der Unterrichtsqualität, wenn LehrerInnen sich so nicht behandeln lassen wollen, Schulen diese Bürde nicht auf sich nehmen wollen?
    Es ist vielleicht jetzt das Gebot der Stunde, dass die Gewerkschaften zu einem solchen Boykott aufrufen, um diese ungeheuerliche Schnüffelei im Keime zu ersticken.

    schrieb emsige Schulbuchkäuferin am

  • #5

    Noch bezweifle ich, dass ein solcher Bütteldienst für die Gewinninteressen der Verlage tatsächlich gesetzeskonform ist. Allerdings verfüge ich auch nur über intuitives Wissen über Jura, von daher werde ich mich vielleicht ein eines Besseren belehren lassen müssen.

    Ich halte diesen “Schultrojaner” (wunderbarer Neologismus, danke!) nur für Konsequent: Eine Leistungselite, die größtenteils wenig bis keine Ahnung von der digitalen Welt hat, unterzeichnet willig alles, was ihr eine Lobbyorganisation unter die Nase hält. Die Entlohnung für diese Willigkeit wird schon kommen - früher nannte man das Korruption, heute nennt man das mit Nadelstreifen fein “Lobbyismus”.

    Für mich völlig ungeklärt ist auch, dass der “Schultrojaner” wohl kaum automatisch erkennen kann, welche Kopie nun eine digitale Raubmordkopie ist und welche z.B. private Dinge sind, die kopiert und abgelegt wurden.
    Werden alle gefundenen Bilddateien, PDFs, usw. automatisch an eine Datenkrake zur Auswertung geschickt? Oder richtet sich der Trojaner nur nach dem Dateinamen (was ich für extrem unwahrscheinlich halte)? Oder wird gar eine Internetverbindung hergestellt und die Ergebnisse werden dann von einem Angestellten durchforstet (!) ?
    Hier halte ich die geplante Umsetzung für rechtlich extrem bedenklich (Persönlichkeitsrechte?!) und der ein oder andere Anwalt dürfte sich schon die Finger lecken!

    Aber mal ernsthaft: Welcher Minister schert sich bitte um die Motivation und das Vertrauen der Lehrerschaft?! Ich jedenfalls kann von diesen Tugenden im Schuldienst nichts entdecken - hauptsache das Output stimmt (Testergebnisse, PISA), unter welchen Bedingungen das Abgefragte “gelernt” wird, ist doch nun wirklich egal!

    schrieb Eckbert am

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