Unterrichtskniff
Spickzettel bei Klassenarbeiten erlauben - und bewerten! 10.12.2015, 18:53
Ein überaus sinnvoller Trick für fast alle Schulfächer, Schulstufen und Schulformen: Motivieren Sie die Schüler/innen, einen Spickzettel zu verfassen, der dann auch bei der Klassenarbeit verwendet werden darf. Der Lerneffekt ist enorm.
Die Grundidee: Wer einen guten Spickzettel anfertigt, der muss den Stoff reduzieren - und das geht nur dann, wenn man sich mit dem Stoff beschäftigt. Und die Tätigkeit "Spickzettel anfertigen" wird von den Schüler/innen nicht einmal negativ besetzt.
Methode: Spickzettel als Mittel zur didaktischen Reduktion
Arbeitsauftrag
»Bei der folgenden Prüfung ist ein Spickzettel ausdrücklich erlaubt. Sie erhalten den Zettel von mir, und alle Studierenden arbeiten mit exakt dem gleichen Format. Vorder- und Rückseite dürfen benutzt werden.«
Didaktische Überlegungen
An der Berufsfachschule für Verkehrswegbauer unterrichten wir Lernende im Alter von 15 bis 20 Jahren. Die meisten kommen direkt aus der Volksschule und verfügen in der Regel über einen Realschul- bzw. Sek-B-Abschluss. Von ihrem Beruf her sind sie es sich gewohnt, körperlich zu arbeiten, und langes Sitzen liegt ihnen nicht.
Die Unternehmen trimmen die Lernenden auf körperliche Leistungen. Wer diesen Beruf erlernen will, muss sich im harten Baugewerbe durch seine körperliche Leistungsbereitschaft beweisen. Die Unternehmungen setzen hier die Priorität. Schulische Leistungen rücken in den Hintergrund. Trotzdem wird von den Lernenden erwartet, dass sie genügende Noten zurück in den Betrieb bringen. Oft werden Lernende mit ungenügenden Noten in den Stützunterricht geschickt, wo sie ihre Noten verbessern sollen.
Viele Lernende verfolgen das Ziel, mit so wenig Aufwand wie möglich einen guten Abschluss der Berufslehre zu erreichen. Darum eignet sich der Spick- oder Schummelzettel, um dieser Gruppe von Lernenden den Prüfungsstoff nachhaltig in die Köpfe zu bringen.
Schon früh in meiner Tätigkeit als Lehrer, aber natürlich auch aus meiner Zeit als Schüler wusste ich, dass die Lernenden an den Prüfungen spicken. Beim Korrigieren der Prüfungen stellte ich mir die Frage, wie ich damit umgehen soll. Soll ich die Lernenden konfrontieren oder den Polizisten spielen? Ich erachte beides nicht als konstruktiv.
Nach langem Hin und Her entschied ich mich, gegen den Rat von anderen Lehrpersonen, den Spickzettel während meiner Prüfung zu erlauben.
Erfahrung mit der Methode
Die Lernenden staunten zuerst über meine Ankündigung, dass ein Spick jetzt neuerdings an der Prüfung erlaubt sei. Noch überraschter waren sie, als ich ihnen mitteilte, dass ich auch den Spick bewerten werde.
Vermutlich dachten sie zuerst, dass dies eine geschenkte Note sei. Doch die Erfahrung lehrte sie etwas anderes.
Folgende Erkenntnis zog ich aus meinem Spickzettelexperiment
1. Alle Lernenden nutzten die Gelegenheit und schrieben einen Spickzettel. Damit erreichte ich, dass die Lernenden sich anstrengten, was viele davor nicht gemacht hatten.
2. Da ich ihnen das Format des Spicks vorgab, bemühten sie sich, den wichtigsten Inhalt des Lernstoffs auf den Spickzettel zu schreiben.
3. Aufgrund des Platzmangels mussten sie ihren Spickzettel mehrmals schreiben, bis es ihnen gelang, alles optimal zu platzieren.
4. Dank der intensiven Beschäftigung mit dem Lernstoff nahm ihr Gehirn mehr Stoff auf als gewöhnlich, und die Lernenden empfanden diese Aufgabe gar nicht als Lernen.
5. Obwohl ich den Schwierigkeitsgrad der Prüfung erhöhte, war die Mehrheit der Klasse besser. Daraus schliesse ich, dass diese Methode Erfolg verspricht, und ich werde sie wieder einsetzen.
Umsetzungstipps
Einzige Regel: das Format des Spickzettels. Dabei bemerkte ich: je kleiner, desto besser.
Idee
Tino Wattinger, Berufskundelehrer an der Berufsfachschule für Verkehrswegbauer, Sursee, und Dozent und Fachgruppenleiter an der IBZ Höhere Fachschule für Technik Informatik und Wirtschaft, Aarau.