Essstörungen
Ernährungslehrfilm »Dick&Dünner« - Unterrichtshinweise, Interview Claudia Boysen 13.03.2009, 11:59
Der Lehrfilm "Dick & Dünner" zeigt Alltag und Probleme des übergewichtigen Richard und der essgestörten Dany. Vorschläge zum Einsatz im Unterricht, außerdem einige interessante Bemerkungen von Regisseurin Claudia Boysen.
direkt zum Interview mit Claudia Boysen
Inhalt des Ernährungslehrfilms “Dick und Dünner”
Der Schulalltag ist für den übergewichtigen elfjährigen Richard, den alle nur Dick nennen, wie Spießrutenlaufen. Zwar geht Richard seit einigen Monaten in eine Ernährungsgruppe, doch seine Erfolge sind für seine Klassenkameraden nicht sichtbar und so bleibt er ein Außenseiter, dessen viele Talente unentdeckt bleiben.
Richards Freundin, die elfjährige Dany, die auch übergewichtig war und jetzt schon 15 kg abgenommen hat, will weiter abnehmen. Sie verweigert Frühstück und Mittagessen, kauft dann aber im Supermarkt lauter ungesunde Sachen, die sie heimlich in sich hineinstopft.
Als Richard Dany auf der Schultoilette beim Erbrechen erwischt und ihr Problem erkennt, muss sich Dany entscheiden: Wird sie Richard zu seiner Ernährungsgruppe begleiten oder muss Richard ihre Eltern und die Schulleitung informieren?
Die Themen: Übergewicht, Essstörungen (v.a. Magersucht, Bulimie)
“Dick & Dünner” ist der “erste Unterrichtsspielfilm zu den Themen gesunde Ernährung, Übergewicht und Magersucht”.
Der Film ist entstanden aus der Erkenntnis, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen unter Übergewicht und/oder gestörtem Essverhalten leiden (z.B. Lehrerfreund 09.12.2008: Studie: Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland). Die Auswirkungen für die Betroffenen sind sowohl in physiologischer als auch in sozialer Hinsicht verheerend: Dicke werden diskriminiert, Essgestörte gehen in den Wogen des Gruppendrucks unter (z.B. Lehrerfreund 29.01.2009: Niemand will mit dicken Kindern befreundet sein). Diese Problematik thematisiert der Film “Dick & Dünner”:
Unser Anliegen als Lehrfilmproduzent war es einen Film zu produzieren, den man im Klassenverband auch mit betroffenen Kindern gut zeigen kann. So schildert der in Berlin gedrehte Unterrichtsspielfilm “Dick & Dünner” den (Schul-) Alltag und die soziale Ausgrenzung eines elfjährigen adipösen Jungens und eines gleichaltrigen essgestörten Mädchens und verdeutlicht, welche belastenden Konflikte solche Kinder mit sich selbst und der Umwelt auszutragen haben. Auch wenn der Junge aus Gesundheitsgründen unter Aufsicht langsam abnimmt und sich dabei gesund und ausgewogen ernährt, so ist doch die Hauptaussage unseres Films, dass jeder Mensch ob dick oder dünn Qualitäten und Talente hat und Äußerlichkeiten oft täuschen können.
... Der Film beschönigt nicht, macht aber trotzdem Mut, weil die Kinder nicht aufgeben, sondern ihre Situation selbst zu meistern versuchen.
Pressetext zum Film “Dick & Dünner”
Eignung für den Unterricht
Die meisten Szenen und Handlungsabfolgen sind realistisch dargestellt, sodass Schüler/innen sich auf den Film einlassen können und sich nicht mit Hinweis auf den übertriebenen Grad an Fiktionalität ausklinken (“Das ist doch übertrieben, die Realität sieht anders aus.”).
Das macht den Film sehr geeignet für die Auseinandersetzung mit dem Thema im Unterricht. Die Angabe “für 9- bis 13-jährige Schüler/innen” der Vertreiber ist angemessen; als geeignete Klassenstufen kann man wahrscheinlich die Klassen 3 bis 8 nennen. Besonders hilfreich ist die Beschreibung der Szenenfolge auf der Website zum Film, so dass man als Lehrkraft recht gut planen kann, wenn man sich auf einzelne Aspekte konzentrieren möchte.
Der Film hält sich mit Wertungen und Interpretationen nicht zurück. Die Boshaftigkeit der Peer-Leaderin Trine wird den RezipientInnen unzweideutig übermittelt - und am Schluss des Filmes bestraft. Ähnlich deutlich gezeichnet sind die Selbstzerstörung von Dany, das Versagen Richards oder die Ungerechtigkeit der Klassenkamerad/innen. Ob man solche - in erträglichem Maß angedeuteten - Moralisierungen in pädagogischer Hinsicht für sinnvoll erachtet, ist Geschmackssache. In der Sekundarstufe I kann etwas deutlich gezeigte Moral in Unterrichtsspielfilmen meist nicht schaden.
Obwohl der Film selbst schon Hinweise auf mögliche Interpretationen gibt, sollte bei der Filmanalyse trotzdem die Trennung von Form und Inhalt eingehalten werden, wie sie bei Unterrichtspielfilmen üblich ist (1. Konkrete Handlungen/Verhaltensweisen beobachten, 2. Interpretation auf Grundlage der Notizen/Beobachtungen).
Beispiel: Danys Völlerei - Szene 7/Im Schulhof
Hier soll als erste Reaktion der Schüler/innen nicht die Aussage “Sie macht sich kaputt”, “Sie hat keinen Spaß dabei” oder “Das ist pervers” stehen, sondern eine Beschreibung der Szene und des Verhaltens Danys (Was tut sie? Wie tut sie es? Welchen Gesichtsausdruck hat sie? Umgebung? usw.).
Auf dieser Grundlage kann man dann weiter gehende Interpretationen vornehmen, die sich stets auf Beobachtbares stützen können (Woran erkennt man das?). Erst dann kann man weitergehen und z.B. soziale Faktoren thematisieren (Aus welchen Gründen tut sie das?).
Interview mit Claudia Boysen
Lehrerfreund: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film zu Übergewichtigkeit und Ernährungsverhalten zu drehen?
Claudia Boysen: Ich empfand die Diskussion in den Medien für stigmatisierend und für die betroffenen Kinder eher problematisch als hilfreich. Dass schon Vorschulkinder dick mit böse und dünn mit lieb assoziieren und die meisten Kinder keinen Dicken zum Freund haben wollen, ist doch genauso schlimm, wie die gesundheitlichen Probleme, die durch Übergewicht entstehen. Kindern gesunde Ernährung nahe zu bringen und ihnen Spaß an der Bewegung zu vermitteln, sind natürlich sehr dringliche Lerninhalte und ich wollte den Lehrerinnen mit dem Film “Dick und Dünner” einen Einstieg in das Thema bieten, das Verständnis für die Betroffenen weckt und sie von Anfang an in die Diskussion integriert. Wie ich außerdem aus vielen Betroffeneninterviews weiß, ist eine falsche Diät oft auch der erste Schritt in eine Essstörung und das kann gar nicht früh genug im Unterricht behandelt werden, ganz besonders wenn wir im Fernsehen Shows wie “The biggest Loser” serviert bekommen.
Lehrerfreund: Der Film ist - als Lehrerfilm konzipiert - in 12 “bausteinartige” Kapitel unterteilt. Welche Möglichkeiten bietet diese Struktur für den Einsatz dieses Films im Unterricht?
Claudia Boysen: Der Film ist sehr vielschichtig und kann unter den verschiedensten Aspekten angeschaut und besprochen werden. Die Kapitel erleichtern dabei vor allem das Beobachten des Essverhaltens der beiden Protagonisten. Was isst Richard und was isst Dany? Da der Film als Spielfilm konzipiert ist, vergisst man sonst sehr schnell, auf diese Details zu achten, da der Zuschauer ganz in die Gefühlswelt der Kinder hineingezogen wird. So können die Lehrer auf anschauliche Weise Wissensinhalte vertiefen. Die Lehrer können aber auch noch weitergehende Fragen an Hand der Kapitel erörtern. Zum Beispiel Fragen, die sich mehr um das Sozialverhalten und um Vorurteile drehen. Anregungen für die Unterrichtsgestaltung werden zurzeit erarbeitet und werden noch im Frühjahr auf unserer Webseite: www.dickundduenner.de zu finden sein.
Lehrerfreund: Welche Fächer/Fächerverbünde halten Sie für die Behandlung der Thematik für besonders geeignet?
Claudia Boysen: Biologie, Hauswirtschaft und Religion/Ethik.
Lehrerfreund: Sie haben mit “echten” Schüler/innen gedreht. Wie haben diese auf die Thematik reagiert?
Claudia Boysen: Sehr unterschiedlich. Es war sehr schwierig, einen Hauptdarsteller zu finden, denn bei den einschlägigen Agenturen werden so gut wie keine übergewichtigen Kinder geführt. Einige Kinder wollten die Rolle nicht annehmen, weil sie zu nahe an ihrer Realität war und sie befürchteten, ihre Klassenkameraden könnten sie deshalb hänseln. Wir haben uns dann mit den Adipositasgruppen in der Stadt in Verbindung gesetzt und dort Kinder zum Casting eingeladen. Tobias, unseren ‘Dicky’, fanden wir schließlich über eine Lehrerin, die mit ihm im Schultheater arbeitete. Das war ein wahrer Glücksfall für uns. Er ging sehr proaktiv und eloquent mit seinem Problem um. Bei den Mädchencastings fanden wir es sehr erschreckend, dass die Kinder (alle zwischen 11 und 13 Jahren) so vertraut mit der Bulimieproblematik waren und es zum Teil für etwas ganz Normales hielten, sich nach dem Essen den Finger in den Hals zu stecken.