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Schulsystem ohne Pädagogik

Lehrer als Sklavinnen der Prüfungsordnungen? 31.08.2011, 11:43

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Ziel der Schule ist es, Bildungspläne zu exerzieren und Prüfungen (möglichst erfolgreich) durchzuführen. Individuelles Lernen, Persönlichkeitsbildung und Spaß am Lernen spielen keine Rolle mehr. Doch es sind immer noch die Lehrer/innen, die den Unterricht gestalten.

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Jede/r Lehrer/in kennt Gedanken wie diese: "Ich muss dieses Thema bis dann und dann abschließen", "Bis zur nächsten Klassenarbeit müsst ihr dies und jenes können", "Wir liegen im Stoff zurück". Bei der Unterrichtsvorbereitung denkt man zuerst an den Bildungsplan und an die anstehenden Prüfungen - und dann erst an die Schüler/innen.

Bernhard Bueb, Autor des umstrittenen Buches Lob der Disziplin: Eine Streitschrift, fasst dieses Problem im Interview mit der NZZ prägnant zusammen: Im Zentrum schulischer Bildung steht nicht das Kind, sondern die Prüfungsordnung:

Nachhilfe ist die Konsequenz eines Schulsystems, das von der Prüfungsordnung und nicht vom Kind her denkt. Kinder müssen der Prüfungsordnung genügen. [...]

Eltern haben die Philosophie der staatlichen Schule so verinnerlicht, dass sie dem Ziel, Prüfungen zu bestehen, dienen – anstatt für Unterricht zu kämpfen, der dem einzelnen Kind gerecht wird.

NZZ 29.08.2011: «Kinder wollen das Glück der Anstrengung erfahren»

Nachhilfe sei eine Maßnahme, die erfunden wurde, "um das System zu retten". Anders formuliert: Nachhilfe dient nicht dazu, Schüler/innen zu bilden, sondern sie durch die nächsten Prüfungen zu schleusen.

Auch Lehrer/innen tragen ihren Teil dazu bei: Statt auf die Bedürfnisse und Voraussetzungen des einzelnen Kindes einzugehen, wird alles mit Blick auf die nächste Prüfung, Vergleichsarbeit oder den Bildungsplan glattgebügelt. Dass die Arbeitszufriedenheit bei Lehrer/innen und Schüler/innen in diesem System massiv leidet, liegt auf der Hand.

Natürlich werden Bildungspläne und Prüfungsordnungen von intelligenten, pädagogisch hoch sensiblen Menschen gemacht. Als Lehrer/in kann man deshalb auf den bequemen Gedanken kommen, die Verantwortung für diesen perversen Zustand einfach "auf das System" zu schieben, zu kapitulieren - und damit "das System" zu unterstützen.

Lehrer/innen müssen sich deshalb an die eigene Nase fassen. Jede/r einzelne Lehrer/in muss sich fragen, was er/sie mit seiner Arbeitszeit bewirken will: Kinder weiterbringen - oder Erfüllungsgehilfe der Prüfungsordnungen sein.

Ein bisschen Verantwortung kann man immer noch abwälzen, wenn man Bueb glaubt, der im zitierten Interview dem Führungsstil von Schulleiter/innen eine wichtige Rolle zuweist:

Wenn ein Schulleiter Lehrer fürsorglich führt, werden sie ihre Schüler entsprechend führen, in ihrem Selbstwertgefühl stärken und nicht nur mit Wissen abfüllen; damit machen sie Nachhilfe überflüssig.

NZZ 29.08.2011: «Kinder wollen das Glück der Anstrengung erfahren»

Tröstlich, dass man nicht alleine schuld daran ist.

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Kommentare

4

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  • #1

    Wir übersehen alle, dass die erste Funktion, die der Lehrer hat, ist, eine vakant gewordene Planstelle auszufüllen. Als erstes ist der Lehrer als Füllung.
    Dann ist sein Dienstauftrag, den Lehrplan und die Dientsvorschriften nicht nur zu lesen und zu beachten sondern auch zun vollziehen. Er ist also de facto Lehrplan- und Unterrichtsvollzugsbeamter.
    Diese Vorgabe macht alle beteiligten Menschen incl. Lehrer zum OBJEKT des Unterrichtsvollzugs. Objekte unterscheiden sich von Subjekten in einem lebensentscheidenden Punkt: sie wachsen nicht. Ob bewusst oder unbewusst: was wir als Schule inszeniert haben, läuft im Kern darauf hinaus, lebendiges Wachstum zu verhindern.
    Schule ist tödlich. Das könnte man schon erkennen, wenn sie dagegen vorgeht, wenns (zu) lebendig wird. Wir schieben es aber sogar dann noch beiseite, wenn wie in Erfurt oder Winnenden & Co. Menschen wirklich zu Tode gebracht werden.
    Als Ich-kann-Schule-Lehrer finde ich es schlicht erbärmlich, dass Lehrer heute durchwegs immer noch jeden Tag genau das Gegenteil von dem tun, was das Wort LEHRER bedeutet.
    LEHREN kommt wie LERNEN von germ. LAISTI = FÄHRTE. Man LERNT indem man eine FÄHRTE des Lebens verfolgt und eigene ErFAHRungen macht. Wenn einen das so faszinert und freut, dass andere einem auf dieser Fährte VON SICH AUS FOLGEN WOLLEN, dann ist man LEHRER. Das ist die - auf die Etymologie gestützte - DEfinition der neuen Ich-kann-Schule.
    Lehrer lehren nicht, sie unterrrichten, bringen bei, vermitteln. Wenn sie die Blumen einer Wiese abgemäht und beigebracht haben, welchen Sinn macht es dann noch, diese totgemachte Fährte zu verfolgen? Beibringen und Vermitteln nimmt dem wirklichen Lernen seinen SINN. Sinn kommt von ahd. SINAN = WEG.
    Beim Unterrichten üben die Kinder noch dazu ein, dass sich die UNTEN nach denen OBEN richten müssen. Das ist heute noch so wie zu Zeiten der Leibeigenschaft.
    Aus der Perspektive der neuen Ich-kann-Schule sind unsere “Schulen” Lehrplanvollzugsanstalten. SCHOLAE ist etwas vollkommen anderes. Wenn die alten Griechen sich im Stress zu verlieren drohten, gönnten sie sich eine Pause, um innezuhalten und wieder zu sich zu kommen, sich zu besinnen und wieder mit sich eins zu werden. DAS ist SCHOLAE - das sollte Schule sein. Wir haben sie - zu unser aller Schaden - ins Gegenteil verkehrt.
    Schule ist heute eine zu Tode perfektionierte Schablone, in die man sich zwangsweise jeden Tag einfügen muss. Solch eine strohdumme Vorgabe muss den GEIST im Menschen provozieren, zu zeigen, was LEBEN wirklich ist. Gottseidank bekommen alle in der Schule soviel Lektionen vom Leben wie notwendig sind, doch noch LEBEN zu lernen.
    Die Geschichte der Menschheiot hat gezeigt, dass Sklaven frei werden können. Das ist auch für Lehrer nicht unmöglich. Es ist zwar erschreckend, wie wenig Einfluss Pädagogen heute auf das Leben kennen und können, aber das Leben lässt sie nie im Stich. Das Leben nimmt auch Lehrer immer mit, wenn sie nicht mitkommen. Manchmal erkennt man das an dem mitgenommenen Eindruck, den sie machen.
    Schule sollte nicht ewig der Ort sein, wo man am allerwenigsten LEBEN lernen kann.
    Ich grüße freundlich.
    Franz Josef Neffe

    schrieb Franz Josef Neffe am

  • #2

    über dieses Thema könnte ich mich den halben Tag aufregen. Arbeite gerade am Thema Sprachwandel in der 13. Zu dem eigentlichen Hauptthema Sprachwandel kommen ja noch drei Unterthemen, die alle abi-relevant sind. Zeit bis zur Klausur war 1 Monat a 5 Stunden die Woche. Soweit so schlimm. Ich hab das Thema nach meinen Vorstellungen von wichtig, interessant und vernachlässigbar strukturiert. Es blieb nur wenig Zeit, um nochmal über den Aufgabentyp zu sprechen und ich musste den Schülern teilweise Zusatztexte mit nach Hause nehmen. Ende des Liedes: Einige der netten Kleinen hielten mir das Curriculum Deutsch unter die Nase und wiesen mich auf meine Abweichungen hiervon hin, beschwerten sich über mangelnde Klausurvorbereitung und zu wenig Sicherung der Materialien.
    Die guten Schüler sind dermaßen auf Regelerfüllung des Curriculums zur optimalen Abi-Vorbereitung gepolt, dass unsereiner Spielraum sich gen null entwickelt. Ich finde diese Entwicklung beängstigend und einengend, vermute aber nur eine weitere Dramatisierung.

    schrieb Zangief am

  • #3

    Bildungspläne und Prüfungsordnungen werden von intelligenten, pädagogisch hoch sensiblen Menschen gemacht? Da möchte ich doch leise Zweifel anmelden. Ich habe viel eher den Eindruck, Lehrplankommissionen sind eine Kombination von Wissenschaftlern ohne jeden Praxisbezug, Ministerialbürokraten, die seit Ewigkeiten nicht mehr selbst unterrichtet haben, und ein paar Lehrerkollegen, die ihren Minderwertigkeitskomplex und/oder ihren Frust über die verpasste Universitätslaufbahn dadurch zu kompensieren suchen, dass sie möglichst hochgestochenes Zeug in die Pläne schreiben.
    Als Student (vor vierzig Jahren oder so) hörte ich eine Vorlesung bei einem klugen Ministerialdirigenten, aus der mir ein Satz unvergesslich geblieben ist: “Ein guter Lehrplan ist höchstens zehn Seiten lang und verplant maximal zwei Drittel der verfügbaren Unterrichtszeit.”
    Die Realität: Ein Lehrplan ist mindestens hundert Seiten lang und verplant 150% der verfügbaren Unterrichtszeit.

    schrieb Jossi am

  • #4

    Ich würde sehr gerne meinen Unterricht mehr an den Schülern orientieren, nur: dank PISA haben wir einen besonderen Druck, auf Prüfungen hinzuarbeiten. Nicht selten wird uns auch die Anzahl der Prüfungen vorgegeben.

    Die Schulleiter sind natürlich für schülerfreundliches Unterrichten, ABER:

    - wehe, die Übertrittszahlen stimmen nicht!
    - Eltern fechten ohne Ende Noten an (z.T. wegen halber Punkte!). Folge: Wir sind dazu angehalten, gleiche Probearbeiten innerhalb der einzelnen Jahrgangsstufen zu schreiben, d.h. wir müssen uns mit den jeweiligen Parallelkollegen zusammentun und eben auch den Unterricht entsprechend abstimmen. Auch die Punkteverteilungen müssen gleich sein. Hatte letztes Jahr eine extrem leistungsschwache Klasse und bekam Riesenprobleme, weil ich meinem Kollegen überhaupt nicht hinterherkam.

    Hilfe von “oben”: Fehlanzeige. Aber Elternbeschwerden ohne Ende: Zu wenig / viel Proben, zu schwer, zu streng bewertet,...

    schrieb Joanne am

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