Durchgreifen von Anfang an?
Was Lehrer/innen von Schiedsrichtern lernen können 30.04.2015, 19:27
Ein guter Schiedsrichter behält das Spiel unter Kontrolle, indem er schon von Anfang an konsequent gegen Regelverstöße vorgeht (=Gelbe Karte). Wer als Lehrer/in eine neue Klasse bekommt, ist gut beraten, es dem Schiedsrichter gleichzutun - im Rahmen der pädagogischen Fairness.
Die folgende Darstellung bezieht sich auf den disziplinarischen Aspekt des Unterrichts. Der Schiedsrichter beim Fußball ist in erster Linie dazu da, die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten, indem er Verstöße ahndet. Diese Funktion ist nur eine von vielen, die die Lehrer/in erfüllt. Pädagogische und organisatorische Aufgaben sind weitaus umfangreicher als die Aufrechterhaltung der Disziplin. Dennoch muss die Lehrer/in während des Unterrichts darauf achten, dass die "Regeln" eingehalten werden.
Originalbeitrag vom 04.07.2012
Regeln beim Fußball, Regeln im Schulunterricht
Beim Fußball sind die Regeln übersichtlich und eindeutig (einsehbar z.B. beim DFB: Fußballregeln). Im Schulunterricht gibt es einige wenige "offizielle" Regeln, wie sie z.B. durch Schulgesetze (Anwesenheitspflicht ...) oder die Hausordnung (kein Smartphone im Unterricht ...) vorgeschrieben sind, darüber hinaus ist die Lehrer/in dafür verantwortlich, ein Regelwerk zu schaffen. Jede Lehrer/in macht es ein wenig anders: Einige sind streng, andere sind locker. Manche bestrafen häufig, manche kaum.
Aber auch der Fußballschiedsrichter legt die Regeln aus. Während es bei "Aus" oder "Tor" keine Spielräume gibt, sind Gelbe und Rote Karten häufig eine umstrittene Interpretation des Schiedsrichters.
Taktisch bestrafen - die richtige Reihenfolge
Es gibt genau zwei Gründe, aus denen man einen Schiedsrichter als unfähig bezeichnet:
- Er trifft Fehlentscheidungen - d.h. er ahndet Regelverstöße nicht oder behandelt regelkonformes Verhalten als Regelverstoß.
- Er hat das Spiel nicht unter Kontrolle.
Wenn ein Schiedsrichter in einer schwierigen Partie zu Anfang zu viele Fouls durchgehen lässt (d.h.: ohne eine Karte zu zeigen), wird die Anzahl und die Härte der Fouls im Verlauf des Spiels zunehmen. Die Spieler "lernen" ziemlich schnell, dass sie noch härter aufs Schienbein treten können, da sie selbst keine schlimmeren Konsequenzen zu spüren bekommen.
Irgendwann (meistens in der zweiten Halbzeit) ist ein Punkt erreicht, an dem der Schiedsrichter eingreifen MUSS, um schwere Verletzungen und ein völliges Entgleisen des Spiels zu vermeiden. Er zieht also eine oder zwei Gelbe Karten - und erstaunlicherweise reagieren die Spieler überhaupt nicht darauf. Sie haben in überraschend kurzer Zeit gelernt, dass sie tun dürfen, was sie wollen, und das Spiel geht mit unverminderter Härte weiter. Der Schiedsrichter muss unverhältnismäßig viele Karten in kurzer Zeit zeigen, um das Spiel in Griff zu bekommen. Damit handelt er fast zwangsläufig ungerecht, da er Aktionen bestraft, die er zu Beginn des Spieles hat durchgehen lassen.
Im folgenden Diagramm sind zwei typische (fiktive) Spielverläufe abgebildet. Der "gute" Schiedsrichter (rot) zeigt zu Beginn drei Gelbe Karten, danach verläuft die Partie friedlich. Insgesamt werden vier Gelbe Karten gezeigt.
Der "schlechte" Schiedsrichter (blau) zeigt in den ersten 60 Minuten nur eine Gelbe Karte. Um das Spiel wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen, muss er in der letzten halben Stunde acht (!) Gelbe Karten zeigen.
Sehr ähnlich verhält es sich bei der Steuerung einer Klasse: Einige Gelbe Karten zu Anfang und das Spiel läuft. Vielleicht muss man wie im oberen Diagramm ab und an eine weitere Gelbe Karte nachschieben. Wer mit Regelverstößen zu nachlässig umgeht, der muss später viele, viele Gelbe Karten zeigen - und wird sich dabei den Ruf einhandeln, überstreng und aggressiv zu sein.
Beispiele
a) Verletzung der Anwesenheitspflicht
Zu den klassischen Beispielen gehört die Missachtung der Anwesenheitspflicht. Wird Stemmen nicht von Anfang an konsequent geahndet, ist das Übel nach einigen Monaten kaum mehr auszurotten. Deshalb empfiehlt sich schon bei den ersten Vorkommen die drakonische Anwendung der in den Schulgesetzen vorgesehenen Mittel (s.a. 5 Tipps, wie man Schüler/innen richtig bestraft, Abschnitt »Welche “Strafen” gibt es in der Schule?«) gegenüber uneinsichtigen Schulabsentist/innen.
b) Hausaufgaben
Zu den zentralen Streitpunkten in Klassenzimmern gehören die Hausaufgaben. Wer hier am Anfang des Schuljahres nachlässig verfährt ("Dann zeigst du sie mir eben das nächste Mal."), der handelt sich ewigen Streit ein. Ahnden Sie nicht gemachte Hausaufgaben unerbittlich, und Sie müssen im weiteren Verlauf weniger Gelbe Karten zeigen.
c) Disziplin
Auch für disziplinarische Aspekte (Stören, Schwätzen ...) gilt das oben Gesagte. Allerdings sind hier die Grenzen weicher, während es in Fragen der Anwesenheit nur "da" und "nicht da" gibt. Je konsequenter und drakonischer man die Klasse zu Beginn des Schuljahres anpackt, desto mehr sollte man darauf achten, pädagogisch immer fair zu handeln.
Nicht vergessen: Pädagogische Fairness
Einfach nur die Keule rauszuholen wird Ihnen nichts bringen - was Sie bekommen, ist keine schöne und kontrollierte Situation, sondern Krieg mit 30 Minderjährigen. Eine klassische Lose-Lose-Situation.
Sämtliche Maßnahmen, die Sie ergreifen, müssen für die Schüler/innen vorhersehbar sein: "Wenn ich morgen in Latein fehle, wird dies und jenes passieren." (mehr: Umgang mit Konflikten) Auch beim Fußballspiel ist das so: Bei 80% aller verteilten Gelben Karten weiß der betroffene Spieler schon vorher, dass er eine bekommt. Er wird sich trotzdem aufregen und schimpfen. Die Schüler/innen übrigens auch.