PowerPoint ist »betreutes Lesen«
Präsentieren in der Schule - Interview mit Rhetorik-Trainer Matthias Pöhm 18.09.2015, 23:00
Die Anti PowerPoint Partei wird im Oktober 2015 bei den Schweizer Parlamentswahlen antreten mit dem Ziel, dem »betreuten Lesen« mit PowerPoint den Garaus zu machen. Interview mit dem Gründer Matthias Pöhm über PowerPoint, Präsentations-Bewertungsraster und die Frage, wie wichtig Präsentationskompetenzen überhaupt sind.
Kurz nach ihrer Gründung berichteten wir über die Anti PowerPoint Partei (APPP), deren Ziel es ist, "beim Dilemma PowerPoint eine sichtbare Verhaltensänderung" zu bewirken. In wenigen Wochen wird die Partei bei den Schweizer Parlamentswahlen antreten. Man mag davon halten, was man will, die Kernaussage des Parteiprogramms ist jedoch absolut zutreffend: Ein Vortrag muss in erster Linie funktionieren (s.a. Lehrerfreund: »Präsentieren« - Das ultimative didaktische Konzept).
Lehrerfreund: Herr Pöhm, sämtliche Schüler/innen lernen in der Schule das Präsentieren mit PowerPoint. Haben Sie schlaflose Nächte deswegen?
Matthias Pöhm: Das Lernen der Bedienung von PowerPoint ist nicht das Problem. Aber das verpflichtende Benutzen davon ist das Drama. In der Schweiz gibt es in den Schulen Punktabzug, wenn PPt beim Präsentieren nicht benutzt wird. In Deutschland wird es von Schülern erwartet. Die Beamten im Kultusministerium wissen nicht, wie Präsentieren mit Hoch-Wirkung wirklich geht, aber sie erstellen Lehrpläne darüber. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, der frei spricht oder an der Tafel etwas entwickelt, hat wesentlich mehr Wirkung als einer, der mit PPt betreutes Lesen betreibt.
Lehrerfreund: Sie haben 30 Minuten, um einer Klasse beizubringen, wie man einen ordentlichen Vortrag hält. Was haben die Schüler/innen nach diesen 30 Minuten bei Ihnen gelernt?
Matthias Pöhm: Etwas zu hören und es zu beherrschen ist eine Dimension an Unterschied. In 30 Minuten kann ich jemanden maximal eine einzige Sache beibringen. Denn sie muss auch noch trainiert werden. Ich würde mich z.B. darauf konzentrieren, wie man eine Botschaft durch Pausen innerhalb der Botschaft so rüber bringen kann, dass das Publikum berührt ist und der Botschaft "glaubt".
Das lässt sich mit geschriebenen Text schwer beschreiben, aber man kann es sich zumindest vorstellen. Bitte sprechen Sie den nachfolgenden Satz so, dass die Einheiten vor dem Ausrufezeichen als ein einziges Wort gesprochen werden und Sie beim Bindestrich jeweils eine Pause machen:
InDeutschland! - WerdenTäglich! - 300Fussballfelder! – Zubetoniert!
Lehrerfreund: Viele Lehrer/innen bewerten Präsentationen mithilfe eines Bewertungsrasters. Dort macht man Kreuzchen oder Noten für verschiedene Aspekte. Hier einige Ausschnitte von typischen Rastern:
(Quelle: Landesfortbildungsserver Baden-Württemberg / Direktlink Bewertungsraster Präsentation)
(Quelle: Sächsischer Bildungsserver / Direktlink zum Bewertungsschema Präsentation (PDF))
(Quelle: Landesinstitut für Schule Bremen / Direktlink Bewertungsbogen (PDF))
Was halten Sie von solchen Rastern?
Matthias Pöhm: Nicht sehr viel. Eine Rede von Martin Luther King oder von Richard von Weizsäcker würde gemäß diesem Raster durchfallen, denn es gab „Keine klare Gliederung am Anfang“, es gab „Keine Zusammenfassung am Ende“ und sie haben auch nichts mit Präsentationshilfsmitteln visualisiert. Diese Raster unterstützen eine verkopfte Vorgehensweise, die versucht, eine kreative Sache, wie es eine Rede darstellt, in Schemen zu beurteilen. Das ist das gleiche wie der Versuch, ein Musikstück mit scharfen, "objektiven" Kriterien bewerten zu wollen. Am besten sogar noch einklagbar. Das kann man nicht. Es sollte dem Lehrer überlassen bleiben, zu beurteilen: Das war jetzt einfach gut, oder auch nicht. Punkt.
Lehrerfreund: Vor 20, 30 Jahren hat man eben ab und zu ein Referat mit einer mittelmäßigen Folie auf dem OHP gehalten - und die Welt steht noch. Ist die Präsentationskompetenz heute wirklich so wichtig?
Matthias Pöhm: Der Overhead hat eine bessere Wirkung als PPt, wenn man auf ihm per Hand etwas entwickelt. Wenn man darauf aber nur eine Fertigfolie legt, dann ist es wieder betreutes Lesen. Präsentieren und freie Rede waren immer wichtig und werden auch immer wichtig sein. Obama wäre ohne seine Redefähigkeit nicht US-Präsident geworden, ohne eine gute Präsentation hätte Steve Jobs sein iPhone nicht so erfolgreich machen können. Ein technisches Hilfsmittel wird niemals in der Wirkung einen Menschen aus Fleisch und Blut schlagen.
Ich hielt kürzlich eine Rede in einem Saal, der zu klein für alle Zuschauer war. Deshalb wurde meine Rede in einem zusätzlichen Saal für die anderen Zuschauer live übertragen. Ich ließ die Leute an einer Stelle aufstehen, um eine Demonstration mit ihnen durchzuführen. In meinem Saal machten alle mit, aber im anderen Saal blieben alle sitzen, wie mir berichtet wurde. Selbst Videos oder Hologramme können keinen echten Menschen ersetzen.
Lehrerfreund: Am 18.10.2015 tritt Ihre Partei bei den Schweizer Parlamentswahlen an. Wir kennen die Bilder aus solchen Sitzungen: Vorne liest einer seine Rede ab, ein Häuflein Abgeordneter lümmelt gelangweilt in den Sesseln, einige lesen Akten oder surfen mit ihren Smartphones. Schaffen _Sie_ es, die von ihren Stühlen zu reißen?
Es wäre nicht glaubhaft, wenn ich als Rhetoriktrainer nicht in der Lage wäre, packend zu reden. Also ich traue mir schon zu, Dinge spannend rüber zu bringen. Aber es ist fast ausgeschlossen, dass ich wirklich ins Parlament einziehe, das ist auch nicht mein Ziel. Ich will durch die Teilnahme an der Wahl nur Aufmerksamkeit auf die Krankheit PPt lenken. Die Tatsache, dass Sie dieses Interview mit mir führen, zeigt mir, dass es funktioniert.
Auf der Website der APPP gefunden: "Flipchart gegen PowerPoint", z.B. die Vorstellung eines neuen Logos:
(Direktlink: Flipchart gegen PowerPoint - vol 3)
Inspirativ ist auch die Vorstellung eines Messestandes (YouTube-Link), einmal mit, einmal ohne PowerPoint.
Der Vortragende ist in beiden Videos nicht Matthias Pöhm, den können Sie z.B. hier sehen:
(YouTube-Direktlink: Matthias Pöhm zeigt die Alternative zur PowerPoint Krankheit - Teil 1)