Initiative 'Bildet Berlin!'
»Manifest der angestellten Lehrkräfte Berlins« 28.01.2012, 16:48
Die angestellten Lehrer/innen in Berlin fordern in ihrem "Manifest" mehr Gerechtigkeit, u.a. bessere Bezahlung, bessere Kranken- und Altersversorgung. Die Hintergründe, außerdem das Manifest im Wortlaut.
In Berlin werden neu eingestellte Lehrer/innen grundsätzlich nicht verbeamtet. Das bedeutet: Weniger Gehalt, (theoretisch) schlechtere Arbeitsplatzsicherheit, schlechtere Krankheits- und Arbeitsplatzsicherheit (s.a.: Angestellte Lehrer/innen: Eine Frage des Geldes). In Berlin haben Lehrer/innen bis 2010 bundesweit am schlechtesten verdient. Um die Massenflucht zu stoppen, wurden die Gehälter panisch um bis zu 1000 Euro monatlich aufgestockt.
Entsprechend mies ist die Arbeitsplatzzufriedenheit bei Berliner Lehrer/innen: Kolleg/innen wandern in die westlichen Bundesländer ab, in denen man sie mit Beamtenstatus und offenen Armen willkommen heißt. Mit Entsetzen erinnert man sich in Berlin an die Abwerbekampagnen z.B. aus Baden-Württemberg ("Sehr guten Morgen, Herr Lehrer").
Initiative "Bildet Berlin!" fordert Gleichstellung der angestellten Lehrer/innen
Die junge Initiative "Bildet Berlin!" (Facebook-Seite) fordert nun druckvoll eine Angleichung der Arbeitsbedingungen. In der Pressemitteilung vom 16.01.2012 heißt es:
Unter dem Motto "Konkurrenzfähig bleiben - gleiches Geld für gleiche Arbeit!" fanden sich am 13.01.2012 auf Einladung der neugegründeten Vereinigung "Bildet Berlin! - Initiative für Schulqualität" 120 angestellte Lehrerinnen und Lehrer von 55 Berliner Schulen zusammen, um gemeinsame FOrderungen an den Berliner Senat zu beschließen. Darunter waren auch zahlreiche Vertreterinnen under Vertreter der Initiative "Verbeamtung jetzt" sowie des Netzwerkes "Soziale Gerechtigkeit für Berliner Lehrerinnen und Lehrer". Ergebnis der Veranstaltung war ein Manifest der angestellten Lehrkräfte Berlins, in dem fünf Forderungen zur Sicherung der Schulqualität in Berlin formuliert wurden. Das Manifest wird nun zur Sammlung von Unterschriften an Berliner Schulen verbreitet. Voraussichtlich im Februar sollen das Manifest und die Unterschriften persönlich an die Bildungssenatorin Frau Scheeres übergeben werden, verbunden mit der Aufforderung zu einer öffentlichen Stellungnahme."
Pressemitteilung der Initiative "Bildet Berlin!", 16.01.2012
Man könnte erwarten, dass Sandra Scheeres (SPD) die Unterschriften freundlich entgegennimmt und in ihrer öffentlichen Stellungnahme kundtut, wie sehr ihr die Bildung am Herzen liegt und dass man alles Erdenkliche unternehmen würde, um ...
Allerdings ist die Situation in Berlin möglicherweise etwas zu kritisch, um durch politisches Blabla kontrolliert werden zu können:
Seitdem die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hat, dass Berlin Lehrer weiterhin nicht verbeamtet werden, verschicken etwa die Eltern des Lankwitzer Beethoven-Gymnasiums massenweise Briefe an politische Entscheidungsträger, um auf die drohende Lehrerabwanderung hinzuweisen. Zudem planen sie eine Podiumsdiskussion mit Abgeordneten.
Tagesspiegel 26.01.2012: Aufstand der Junglehrer setzt Senat unter Druck
Nachdem die Gewerkschaften (namentlich die GEW) es offensichtlich nicht geschafft haben, die Interessen ihrer Mitglieder adäquat zu vertreten, nehmen die Lehrer/innen das Problem nun selbst in die Hand. Gelingt es ihnen, sich gut zu vernetzen und angemessenen Druck aufzubauen, könnten sie einen Teilerfolg erringen (z.B. was tarifliche Regelungen betrifft). Zu wichtig ist das Thema Bildungspolitik inzwischen geworden.
Ob sich aus dem Vorgehen jedoch ein Präzedenzfall andere Bundesländer schaffen lässt, ist fraglich. Zu schlecht sind die angestellten Lehrer/innen vernetzt, zu lang ist der Arm der Bürokratie, an dem man sie verhungern lassen kann. Viele Gewerkschaften begnügen sich mit einer kleinen Trillerpfeifendemonstration hier und markigen Pressemitteilungen da. Sie wissen, dass ein Angleich der beiden Status in der Realität niemals stattfinden wird. Welches Bundesland hat mal rasch eine Milliarde Euro pro Jahr übrig, um die angestellten Lehrer/innen glücklich zu machen?
Das "Manifest der angestellten Lehrkräfte Berlins" im Wortlaut
Manifest der angestellten Lehrkräfte Berlins
„Unsere Jugend ist unsere Zukunft!“
Sehr geehrte Frau Scheeres,
wir wollen, dass die Jugend unserer Stadt die bestmögliche Schulbildung erfährt! Die qualifizierte Ausbildung unserer Schülerinnen und Schüler ist der Schlüssel zu einer besseren Zukunft unserer Stadt.
Präambel
Das Thema „Bildung“ steht seit jeher ganz oben auf der politischen Agenda der Hauptstadt. Wir – die Lehrkräfte Berlins – stellen aber fest, dass trotzdem nicht alle zur Verfügung stehenden Ressourcen für Bildung genutzt werden. Das ist fahrlässig und unverantwortlich. Denn eine qualifizierte Ausbildung unserer Jugend ist der Schlüssel zur Lösung der drängendsten Probleme unserer Stadt: Integration und Arbeit.
Wir brauchen eine gebildete, engagierte und motivierte Jugend, die dem zukünftigen gesellschaftlichen Leben innovative und wertvolle Impulse gibt. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, benötigen wir eine bestmögliche Ausstattung der Schulen: Dies bedeutet nicht nur, dass Berlin eine ausreichende Anzahl von Lehrkräften einstellen, sondern auch die besten Pädagogen gewinnen muss. Genau in diesen Punkten ist Berlin aber nicht konkurrenzfähig und damit chancenlos! Denn Berlin bietet gut ausgebildeten Lehrern und Lehrerinnen keine berufliche Perspektive: Im Gegensatz zu der Mehrheit der Bundesländer werden Junglehrer in Berlin nicht verbeamtet und die angestellten Lehrkräfte werden gegenüber ihren beamteten Kollegen ungleich behandelt.
Missstände
In den Lehrerzimmern unserer Stadt herrscht eine Ungerechtigkeit gegenüber den Angestellten in folgenden Punkten:
a) im Verlauf seiner Berufsjahre verdient ein angestellter Lehrer deutlich weniger als sein beamteter Kollege,
b) im Krankheitsfall, bei der Altersvorsorge sowie der späteren Alters- versorgung gibt es gravierende Ungleichheiten und außerdem
c) werden Familien nicht in gleicher Weise unterstützt.
Konsequenz: Bildungsdesaster
Die Folge der Missstände ist ein Qualitätsverlust bei der Bildung unserer Jugend. Denn
- qualifizierte und engagierte Lehrkräfte verlassen Berlin,
- es sind kaum Bewerber aus der Spitzengruppe eines Abschlussjahrgangs zu
- finden,
- in Anbetracht der Pensionierungswelle fehlen die Nachwuchskräfte und
- nicht besetzte Stellen führen zu Unterrichtsausfall.
Bildungsqualität und Konkurrenzfähigkeit sichern!
Um die Konkurrenzfähigkeit des Berliner Schulsystems wieder herzustellen und ein hochwertiges Bildungsangebot zu sichern, muss den angestellten Lehrerinnen und Lehrern Berlins eine gerechte Perspektive geboten werden. Wir fordern für eine berufliche Zukunft in Berlin:
1. Gerechtigkeit: Gleichstellung sichern
a) Ersatz der Nebenabrede durch eine sichere tarifliche Regelung,
b) Gehaltsstufen und ein Nettoverdienst, die dem Vergleich mit Beamten standhalten,
c) Zahlung eines Krankengeldzuschusses über die 39. Woche hinaus, Zahlung eines Zuschusses für eine Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung,
d) eine gleiche Berücksichtigung der Familienverhältnisse von angestellten und beamteten Lehrkräften und
e) den Ausgleich gravierender Unterschiede bei Altersvorsorge und der späteren Altersversorgung
oder
2. die Verbeamtung!
Wir können und wollen die unhaltbaren Zustände an den Berliner Schulen nicht weiter hinnehmen. Der ‚Raubbau’, der an uns und unserer Jugend betrieben wird, sowie der fahrlässige Umgang mit den nachfolgenden Generationen müssen ein Ende haben! Wir sind nicht länger bereit tatenlos zuzusehen, wie die Politiker ihre gesellschaftliche Verantwortung missachten! Wir rufen deshalb dazu auf, die Berliner Schulen endlich in ihrer Bedeutung für das Gemeinwohl wahrzunehmen und entsprechend nachhaltig zu handeln!
Wir fordern Sie hiermit dazu auf, zu unseren Forderungen öffentlich Stellung zu nehmen.
Manifest der angestellten Lehrkräfte Berlins, 13.01.2012 (Initiative "Bildet Berlin!")