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Methylphenidat - Verbrauch in Deutschland 1993-2013 21.08.2014, 13:11

Diagramm mit Pillen collagiert: Methylphenidatkonsum in Deutschland
Bild: Pixabay [CC0 (Public Domain)]

Der Ritalin-Goldrausch hat seinen Höhepunkt erreicht. Die explosionsartige Zunahme des Verbrauchs von Methylphenidat (Wirkstoff u.a. von Ritalin, Medikinet ...) konnte seit 2010 etwas eingedämmt werden, 2013 wurde erstmals ein Rückgang des Methylphenidat-Verbrauchs festgestellt. Dennoch werden in Deutschland jährlich mehr als 1.800 Kilogramm Methylphenidat verbraucht, das entspricht bei normaler Dosierung rund 60 Millionen Tagesdosen.

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Dieser Beitrag wurde erstmals am 16.09.2012 veröffentlicht und hatte die Zahlen bis 2011 zum Gegenstand. Am 21.08.2014 wurde der Beitrag u.a. mit den aktuellen Zahlen bis 2013 ergänzt 

Methylphenidat ist der Wirkstoff u.a. von Medikamenten, die zur Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen wie ADS/ADHS eingesetzt werden. Ihre bekanntesten Vertreter sind Ritalin, Medikinet und Concerta. Die Tagesdosis liegt i.d.R. zwischen 5 und 50mg (Bundesschnitt: 30mg), deutlich höhere Dosierungen kommen vor.

Das folgende Diagramm stellt dar, wie viel Methylphenidat in Form von Fertigarzneimitteln an Apotheken in Deutschland jährlich geliefert wurde. Diese Zahl dürfte gleichzusetzen sein mit der Menge des in Deutschland jährlich ärztlich verschriebenen und konsumierten Ritalins.

Diagramm: Methylphendiatverbrauch in Deutschland 1993 bis 2013

Zum Zahlenmaterial siehe z.B. die Pressemitteilung des BfArM (Erstmals seit 20 Jahren kein Anstieg beim Methylphenidat-Verbrauch, 01.04.2014) und welt.de 01.04.2014: Erstmals seit 20 Jahren weniger Ritalin verordnet.

Im Jahr 1993 wurden in Deutschland nette 34 Kilogramm Methylphenidat an Apotheken abgegeben (d.h.: verschrieben und konsumiert), 1999 waren es bereits 242kg. Von 1999 auf 2000 war ein Anstieg um 91 Prozent zu verzeichnen. In den folgenden zehn Jahren (bis 2009) stieg der Verbrauch auf 1.735kg - ein Anstieg um mehr als 700 Prozent. Seit 2010 hat sich die explosionsartige Entwicklung stark verlangsamt.

Von 2012 auf 2013 wurde erstmals ein rückläufiger Trend beobachtet: Der Verbrauch von Methylphenidat sank um 2 Prozent im Verhältnis zum Vorjahr. Das ist ein erfreulicher Trend, die Medien jubilieren über das Verantwortungsbewusstsein von Ärzt/innen und Patient/innen.

Doch zu viel Optimismus scheint nicht angebracht. Ein Arzt schreibt dazu:

Man könnte sich jetzt freuen, dass der rasante Anstieg der letzten Jahrzehnte abgeflaut ist – aber auch welch hohem Niveau! Und dann ist ja noch zu erwähnen, dass es eben inzwischen diverse andere Präparate gibt, die +- die gleiche Wirkuung haben, aber z.T. nicht einmal mehr BTM-pflichtig sind.

Dr. Biedermann/EWMM 13.06.2012: Methylphenidat- Statistik

Verlangsamung der Entwicklung

Die Verlangsamung der Entwicklung hat vor allem zwei Ursachen: Zum einen ist es Betroffenen und Ärzten bewusst geworden, dass man es unter dem Einfluss der Pharmaindustrie bisher ziemlich übertrieben hat. Die wilde Verschreibungspraxis der "Gründerjahre" hat sich gelegt, ebenso die Bereitschaft der Betroffenen (bzw. ihrer Eltern), einfach so mal Methylphenidat einzunehmen, weil's der Arzt halt sagt.

Zum anderen gab es gerade in den letzten Jahren verschiedene Regulierungen durch Politik und Behörden, um den Verschreibungswahnsinn einzudämmen (siehe z.B. Ritalin-Verschreibung soll »zum Schutz von Kindern« eingeschränkt werden).

Dennoch: Das Niveau ist weiterhin irrsinnig hoch. Bei einer durchschnittlichen Tagesdosis von 30mg wurden 2013 in Deutschland also rund 60 Millionen Tagesdosen konsumiert (bei ~82 Mio. Einwohner/innen).  Im Jahr 2010 wurden 56 Millionen Tagesdosen Methylphenidat kassenärztlich verordnet (Quelle).

Goldesel

Kein Wunder: Wer Methylphenidat herstellen kann und darf, der verfügt über eine Gelddruckmaschine - vorausgesetzt, die verschreibungsfähigen Ärzte und die Betroffenen spielen mit. Sogar die Deutsche Apotheker Zeitung nennt Methylphenidat einen "'Goldesel' für die Pharmaindustrie".

In den USA waren 2009 mehr als 12% aller Jungen zwischen 5 und 17 Jahren als ADHS-erkrankt diagnostiziert (Quelle). Das freut die Pharmaindustrie: In 2011/2012 (07/2011-06/2012) wurden in den USA für 1,248 Milliarden US-Dollar Methylphenidat verkauft (Quelle: drugs.com).

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Schon 1996 (!) schrieb ein hohes Tier der DEA (zentrale US-amerikanische Behörde zur Kontrolle und Bekämpfung von Drogen/Rauschmitteln):

Der enorme Anstieg der Methylphenidat-Verschreibungen in den letzten Jahren hat die DEA aufgeschreckt. Seit 1990 sind die Verschreibungen von Methylphenidat um 500 Prozent gestiegen ... 7 bis 10 Prozent aller Jungen nehmen diesn Wirkstoff  ... Die DEA hat die Verantwortung gegenüber den USA, den Missbrauch solcher legalen Betäubungsmittel zu kontrollieren ...

Medizinische Experten sind sich einig darüber, dass dieser Wirkstoff einem kleinen Prozentsatz von Kindern helfen kann. Es gibt aber Belege dafür, dass Methylphenidat in einigen Teilen der USA als angebliches Wundermittel bei Verhaltensproblemen viel zu häufig verschrieben wird ...

In manchen Gebieten sind 15 bis 20 Prozent aller Kinder auf Ritalin oder einem ähnlichen Medikament. Man könnte sagen: Das ist eine übereilte medizinische Scheinlösung ["'quick-fix.' bogus medical practice"], die nichtsdestotrotz riesige Profite erzeugt.

Gene R. Haislip: DEA REPORT - ADD/ADHD Statement of Drug Enforcement Administration (Dezember 1996), freie Übersetzung Lehrerfreund

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Kommentare

3

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  • #1

    Ich habe viel über das Thema gelesen und finde das viele Faktoren zusammen spielen! Man kann die Krankheit nicht nur auf ein Auslöser zurück führen! Zudem denke ich wirklich das unsere beschleunigte Lebensweise und der immer größer werdene Druck zb geht das in der Vorschule schon los und sie müssen dort schon Leistungen bringen dann kommt die Schule wo weiter hin immer mehr Druck ausgeübt wird und obwohl die Klassen viel zu groß und die Fachkräfte die den Schülern etwas vermitteln und beibringen sollen sind meist selbst überfordert oder übernehmen Fächer von denen sie selbst nichts verstehen und das noch vor Klassen die ihm völlig fremd sind oder das klassische Beispiel das der Unterricht ganz ausfällt und da ist kein Platz für Schüler die mehr Aufmerksamkeit und Hilfe benötigen! Zudem Streß in der schule kommt noch das hektische und überlastete Elternhaus und so geht eins ins andere, wir sind auf dem falschen Weg, nur merken das die Menschen nicht! Denn uns wird von Anfang an klar gemacht das wir Leistung bringen müssen und dieser Anspruch steigt stetig und meist kommt es zum burn out! Wir müssen uns auf die Werte die uns wirklich wichtig sind besinnen und die ganze Lebensweise mal hinterfragen! Was meint ihr?

    schrieb Marcel am

  • #2

    Nicht immer ist der Verbrauchsanstieg einer Substanz negativ zu bewerten. So könnte man bestimmt auch einen Anstieg des Verbrauchs von Olivenöl feststellen. Dies korreliert mit dem Anstieg der Fettleibigkeit. Aber steht es wirklich in einem Zusammenhang? Wenn ein Mensch wirklich ADS/ ADHS hat, sollte ihm ein Medikament nicht vorenthalten werden. Selbstverständlich müsste eine eingehende Diagnostik und möglicherweise eine Änderung der schulischen Lernumgebung dafür sorgen, dass nicht auch “normales” Verhalten von Jungen zu einer (Fehl-) Diagnose führt. Man wird nie feststellen können, wie viele ADHS Kinder früher durch das schulische Netz gefallen sind und heute ohne Beruf oder mit einer Ausbildung weit unter ihren Möglichkeiten dastehen, nur weil sie eben keine Hilfe bekamen.

    schrieb Antonia am

  • #3

    Ritalin ist eine Droge, die man nicht verstanden hat, mit der man ein Problem, das man gar nicht verstanden hat, in Menschen, die man überhaupt nicht verstanden hat, bekämpft.
    Als Ich-kann-Schule-Lehrer sehe ich die schlimmste Wirkung von Ritalin darin, dass es erwachsenen Menschen, die keine Probleme lösen können, erlaubt, Kinder, die sie in ihrem Nichtkönnen stören, so zu manipulieren, dass sie weiter ungestört dumm bleiben können.
    Als Ich-kann-Schule-Lehrer akzeptiere ich Ritalin, wenn Lehrer, Eltern, Therapeuten und alle weiteren involvierten Erwachsenen dieselbe Dosis wie das Kind nehmen: Dann können sie irgendwann auch mal aus der Praxis mitreden; bislang schwätzen sie alle nur - nicht verstandene - Theorie.
    In der Ich-kann-Schule habe ich schon über 30 Jahre ein konkretes Beispiel einer konkreten praktischen Problemlösung durch AUTOSUGGESTION = eigenen Einfluss gegeben. Es erstaunt mich, dass Theoretiker, die keine Probleme lösen können, die Vorgaben bei uns machen und nicht Menschen, die schon einm,al wenigstens ein Problem konkret gelöst haben.
    In der Ich-kann-Schule ist jedenfalls Grundbedingung für´s zuhören, dass du berichten kannst, wie das Problem gelöst wurde. Wer Probleme nur immer noch größer macht, wie das bei uns der Regelfall zu sein scheint, und dann auch noch will, dass da alle mitmachen sollen, den würde kein Kind ernst nehmen.
    Ich grüße freundlich.
    Franz Josef Neffe

    schrieb Franz Josef Neffe am

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