Blick aus dem Suppenteller
»Schulpflicht bringt Unfreiheit« 14.12.2013, 12:58
Ein interessanter Text, in dem die Frage der Schulpflicht (relativ radikal) diskutiert wird. Wie immer man letztlich zur Schulpflicht steht: Während der Lektüre kann man das System Schule aus einer vielleicht ungewohnten Perspektive betrachten.
Es ist schön, dass es Schulen gibt, in denen Kinder etwas lernen können. Die Umstände sind jedoch oft kritikwürdig: die Art, wie Bildungspläne entstehen; die 45-Minuten-Taktung; Lernzwang; Lernen im Gleichschritt - usw. Offensichtlich verlieren viele Kinder in den ersten Schuljahren den Spaß am Lernen; in welchem Maß das Schulsystem dafür verantwortlich ist, ist unklar.
Einige Menschen reagieren auf diese Situation, indem sie die Schulpflicht völlig ablehnen und ihre Kinder selbst beschulen (bzw. die Kinder sich selbst beschulen lassen), siehe z.B. »Die Schulpflicht ist nicht rechtsstaatlich« - Interview mit einer Unschooler-Familie. Andere lassen ihren Kinder größtmögliche Freiheit - wie Ellen Gause, die ihre Kinder immer selbst entscheiden ließ, ob sie zur Schule gehen wolllen: Kreativer Umgang mit der Schulpflicht - Erfahrungsbericht einer Mutter.
Wesentliche Kritikpunkte an der Schulpflicht fasst der folgende Text von Martin Wilke zusammen. Für Lehrer/innen sind diese Ausführungen interessant, weil sie einmal eine andere Perspektive zeigen. Als Lehrer/in verliert man häufig die Distanz, da man selbst zum System der 45-Minuten-Stunden, der Notenvergabe und des Lerndrucks gehört und manchmal vielleicht den Blick auf das Ganze verliert.
Die Verwendung des Textes wurde freundlich genehmigt von Martin Wilke (siehe Kasten) - danke! Der Text ist leicht gekürzt, die ungekürzte Version finden Sie hier: martinwilke.de: Schulpflicht bringt Unfreiheit
Schulpflicht bringt Unfreiheit
Anwesenheitspflicht
Die Schulpflicht bedeutet für rund 10 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland, dass sie sich je nach Bundesland neun oder zehn Jahre lang, an ca. 200 Tagen im Jahr für jeweils einige Stunden in einer staatlichen oder vom Staat anerkannten Schule einzufinden haben.[1]
Dass junge Menschen überhaupt dazu verpflichtet werden, so viel Zeit an einem Ort zu verbringen, den sie sich nicht selbst aussuchen können, ist allein schon ein gewaltiger Einschnitt in ihre Freiheit. Das tatsächliche Ausmaß der Unfreiheit hängt jedoch davon ab, wie die zu besuchenden Schulen beschaffen sind.
Bevormundung im Schulalltag
Die staatlichen und ebenso die meisten nicht-staatlichen Schulen sind von einem erheblichen Machtgefälle geprägt und weitgehend autoritär ausgestaltet: Die Lehrer geben Anweisungen, und die Schüler müssen sich unterordnen. Die Handlungen der Schüler unterliegen einer starken Reglementierung. Obwohl Kinder von Natur aus sehr lebendig und ständig in Bewegung sind, werden sie verpflichtet, für mehrere Stunden täglich stillzusitzen. Obwohl gerade der Austausch mit anderen Kindern ihre sozialen Fähigkeiten stärkt und Kinder am besten von anderen Kindern lernen, dürfen sie sich außerhalb der Pausen nicht mit ihren Freunden austauschen. Sie müssen tun, was auch immer der Lehrer von ihnen verlangt, und sie müssen ihre natürliche Bereitschaft zum Wissenserwerb einem unnatürlichen 45-Minuten-Takt unterordnen. Selbst wenn sie auf die Toilette gehen wollen, benötigen sie dazu die Erlaubnis des Lehrers. Auf die Interessen der Schüler wird so gut wie keine Rücksicht genommen. Sie sind dem Belieben der Lehrer ausgeliefert. Die eigene Meinung der Schüler zählt nicht. Auf ihre Wünsche und Bedürfnisse kommt es nicht an.
Allerdings ist auch der Spielraum von Lehrern, die Schülern mehr Freiraum gewähren wollen, recht eingeschränkt, da sie als Lehrer einen Staatsauftrag zu vollstrecken haben und dazu angehalten sind, die Oberhand über die Schüler zu behalten.
Fremdbestimmtes Lernen
Kinder sind von Natur aus neugierig und lernen ohne jeden Zwang alle möglichen Dinge. In herkömmlichen Schulen werden Kinder und Jugendliche genötigt, Dinge zu lernen, die andere Leute ihnen vorsetzen und die sie womöglich gerade nicht als für sich wichtig ansehen. Schülern wird nicht nur vorgeschrieben, was sie lernen sollen, sondern auch, auf welche Weise sie lernen sollen, zu welchem Zeitpunkt und von welchen Leuten. Durch eine Vielzahl kleinerer und größerer Leistungskontrollen und ihrer Benotung wird versucht, auch unwillige Schüler auf Kurs zu halten. Die ursprüngliche Freude am Lernen geht so bei vielen Schülern mit der Zeit verloren.
Während die meisten Kinder in den ersten Schuljahren noch relativ gerne zur Schule gehen und mit einem großen Teil der zu lernenden Sachen etwas anfangen können, ist in höheren Klassenstufen bei einem erheblichen Teil der Unterrichtsinhalte für viele Schüler nicht erkennbar, wozu sie gut sein sollen. Vieles ist für sie schlicht belanglos, manches lediglich zu ausführlich.
Die Schüler haben unterschiedliche Interessen und werden dennoch genötigt, alle weit gehend das Gleiche zu lernen. Manch einem mag das zunächst nicht sonderlich schlimm erscheinen. Aber wer kennt das nicht: Jemand erzählt einem lang und breit seine Lebensgeschichte oder etwas anderes, das einen gerade gar nicht interessiert. Man versucht freundlich, das Gespräch zu beenden, aber der andere erzählt einfach immer weiter und lässt einen auch nicht gehen. Man langweilt sich und hofft weiter auf ein baldiges Ende oder eine Fluchtmöglichkeit. So weit, so unangenehm. Absurd würde es, wenn man von dem ungebetenen Erzähler nun auch noch aufgefordert würde, wiederzugeben, was er einem zuvor erzählt hat, und man anschließend von ihm mitgeteilt bekäme, ob man es gut gemacht hat. Im alltäglichen Leben würden die meisten Menschen das als Zumutung empfinden. Für Schüler ist das Alltag. Sie müssen sich auch dann jahrelang mit den von anderen vorgesetzten Inhalten befassen, wenn sie sich ausdrücklich nicht dafür interessieren.
Jene Schüler hingegen, die an einem Unterrichtsthema interessiert sind, fühlen sich oft unterfordert. Indem der Unterricht auf ein Lernen im Gleichschritt ausgelegt ist, wird ihre Neugier ausgebremst. Die Schüler sollen sich nicht für Dinge interessieren, die im Unterricht noch nicht "dran" sind.
Es geht uns aber nicht nur darum, ob die in der Schule behandelten Unterrichtsinhalte sinnvoll sind. Wir kritisieren vielmehr, dass der Staat überhaupt seinen Bürgern vorschreibt, was diese zu wissen und worüber sie nachzudenken haben. Das eigentliche Problem sind unserer Meinung nach nicht die veralteten Lehrpläne, sondern der Lernzwang als solcher.
Viele Menschen sind dagegen, dass die schulischen Lerninhalte von Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden diktiert werden. Auch wir finden das nicht gut. Unserer Überzeugung nach ist es aus Sicht der Freiheit der Schüler aber kaum besser, wenn der Staat den Lehrplan bestimmt. Letztendlich muss es die Entscheidung jedes Einzelnen bleiben, mit welchen Themen er sich auseinandersetzt.
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Erziehung
Die Schule ist jedoch nicht nur auf Wissensvermittlung angelegt, sondern sie verfügt auch über einen Erziehungsauftrag. Auch wenn sich die heute propagierten Erziehungsziele stark von denen früherer Zeiten unterscheiden und geradezu fortschrittlich klingen und die Prügelstrafe lange abgeschafft ist, so ist doch die gesamte Funktionsweise der Schule nicht geeignet, freiheitliche oder demokratische Werte zu fördern. So wird zwar beispielsweise behauptet, die Schule solle zum selbständigen Denken erziehen, faktisch passiert aber durch die für eine Zwangsschule charakteristischen Erscheinungen genau das Gegenteil: Die Schüler lernen, das zu tun, was ihnen gesagt wird.
Die Erziehung ist in der heutigen Staatsschule allgegenwärtig: Stillsitzen, nur auf Kommando sprechen oder handeln, Gehorsamspflicht dem Lehrer gegenüber, sich wiederholende Aufgaben, Disziplinierung und Selektion durch Noten, Klingelzeichen, Rituale und starre, nicht veränderbare Regeln. Übliche Bestrafungsmethoden sind: An-die-Tafel-holen, Vergabe schlechterer Zensuren, Strafaufgaben, Tadel und Verweise, Mitteilung an die Eltern bzw. Gespräche mit den Eltern, und ähnliches.
An dem grundsätzlichen Anspruch des Staates, junge Menschen zu erziehen, hat sich nichts geändert. Der Staat versucht dabei, die Staatsbürger von morgen in seinem Sinne zu formen. Wenn die Schüler nach vielen Jahren die Schule verlassen, sind die meisten es so sehr gewohnt, den Anweisungen von oben zu folgen, dass man den Eindruck gewinnen kann, sie hätten es sich abgewöhnt, selbst zu denken. So ist es kaum verwunderlich, dass auch die nachwachsende Generation die gesellschaftlichen Gegebenheiten im wesentlichen unreflektiert übernimmt. Durch die Schulpflicht bekommt der Staat die Möglichkeit, Schüler gezielt zu manipulieren.
Wir weisen den Erziehungsanspruch des Staates – also den Anspruch den Charakter der in ihm aufwachsenden Menschen zu bestimmen – entschieden zurück. Ein solcher Anspruch ist schlicht undemokratisch.
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Zu wenig Zeit für eigene Interessen
Die Schule bestimmt das Alltagsleben der Schüler, über die bloße Anwesenheit in der Schule hinaus. Für viele Schüler wird sie sogar der Hauptlebensinhalt. Durch Hausaufgaben und Vorbereitung auf Leistungskontrollen können die Schüler selbst über den Nachmittag und Abend nicht wirklich frei verfügen. Die Schüler können sich nicht nur innerhalb der Schule nicht mit den Dingen beschäftigen, die sie interessieren; die Schule nimmt ihnen auch die Zeit und Kraft, außerhalb der Schule ihren Interessen nachzugehen. Die Abendgestaltung wird v.a. dadurch beeinträchtigt, dass die Schüler am nächsten Morgen relativ früh wieder aufstehen müssen. Die Pflicht, in der Schule anwesend zu sein, bedeutet für die Schüler auch, täglich für mehrere Stunden von Eltern, Geschwistern und außerschulischen Freunden getrennt zu sein.
In Handschellen zur Schule
Wir behaupten nicht, dass alle Schüler in der Schule leiden. Manche kommen mit der Schule gut zurecht und gehen sogar gerne hin. Uns geht es darum, dass für jene, auf die das nicht zutrifft, Alternativen geschaffen werden.
Aufgrund der Schulpflicht haben die Schüler keine Wahl: Sie müssen zur Schule, egal ob sie dort tatsächlich hinwollen, oder ob sie ihren Tag gern anders gestalten würden.
Wir finden es verständlich, wenn junge Menschen sich einem solchen Schulsystem nicht länger aussetzen wollen und der Schule deshalb fernbleiben. Der Staat hat dafür weniger Verständnis und versucht, die Schulpflicht auch mit Polizeigewalt durchzusetzen: Kinder und Jugendliche, die nicht zur Schule gehen, können von der Polizei zu Hause abgeholt und in Handschellen der Schule zwangsweise zugeführt werden. Das nennt sich Schulzwang und wurde erst 1938 von den Nazis eingeführt und in spätere Schulgesetze übernommen.[2]
Im Jahr 1998 hat die Stadt Nürnberg einen Modellversuch zur Bekämpfung von Schulschwänzern gestartet: Die Polizei sucht in Kaufhäusern und in Cafés nach Schulschwänzern und hält auch auf der Straße Kinder und Jugendliche an, die ihr des Schulschwänzens verdächtig erscheinen. Die Aufgegriffenen werden dann per Streifenwagen zur Schule gefahren und dort der Schule übergeben.[3]
Die Anwesenheit des jungen Menschen in der Schule verkommt dabei allerdings zu einer sinnentleerten physischen Präsenz.
Die Schulpflicht verletzt Grundrechte
Bei einer derartigen Beschaffenheit des Schulwesens kann von einer freien Entfaltung der Persönlichkeit, wie das Grundgesetz sie garantiert, nicht gesprochen werden. Aber dies ist nicht das einzige Grund- oder Menschenrecht, das durch die Schulpflicht außer Kraft gesetzt wird.
Indem der Staat den Schülern detaillierte verbindliche Lernziele vorsetzt und gleichzeitig die Schüler zur Anwesenheit in der Schule zwingt, bestimmt der Staat, welches Wissen nach Ablauf einer bestimmten Zeit im Kopf des jungen Menschen zu sein hat! Menschen per Gesetz vorzuschreiben, für was sie ihr Gehirn anzustrengen haben, ist eine krasse Anmaßung und ein tiefgreifender Eingriff in Persönlichkeitsrechte (körperliche und seelische Unversehrtheit). Die Idee, dass der Staat die Köpfe kontrolliert, verträgt sich definitiv nicht mit der Gedankenfreiheit.
Neben den Grundrechten auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Gedankenfreiheit widerspricht die Schulpflicht auch der Versammlungsfreiheit: Kinder und Jugendlichen werden zeitweilig daran gehindert, an Versammlungen, z.B. Demonstrationen, teilzunehmen; zugleich werden sie gezwungen, sich mit einem Lehrer und rund zwei Dutzend Schülern zu versammeln.
Sämtliche Unterrichtsveranstaltungen, bei denen die Teilnahme nicht freiwillig ist, stellen eine Zwangsbeschäftigung für die Schüler dar, können somit als Zwangsarbeit aufgefasst werden. Laut Grundgesetz (Artikel 12.3) ist aber „Zwangsarbeit ... nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig“.
Das Grundrecht auf Freizügigkeit, also das Recht, seinen Aufenthaltsort selbst zu wählen, ist nicht verwirklicht, solange Schüler zur Anwesenheit in der Schule gezwungen werden.
Die unumgängliche Pflicht, in der Schule anwesend zu sein, erfüllt ohne weiteres den Tatbestand der Freiheitsberaubung. Es wäre kaum übertrieben, die Schule als Teilzeitgefängnis für Kinder und Jugendliche zu bezeichnen, in das in Deutschland 10.000.000 Menschen ohne Anklage und Gerichtsverfahren eingesperrt sind.
Und tatsächlich waren bis Mitte der 70er Jahre Schüler Häftlingen rechtlich gleichgestellt. Es galt ein "besonderes Gewaltverhältnis" zwischen Staat und Schülern, ebenso wie zwischen Staat und Gefängnisinsassen. Grundrechte konnten ohne jede Gesetzesgrundlage eingeschränkt werden. Grundrechte hatten also ganz offiziell keine Geltung. Die Schule war ein praktisch rechtsfreier Raum, in dem der Staat ohne Rechtsgrundlage machen konnte, was er wollte. Später wurde dann anerkannt, dass Grundrechte prinzipiell auch für Schüler gelten. Das Schulwesen wurde nun detaillierter per Gesetz geregelt. Da Grundrechte durch Gesetz eingeschränkt werden können, wurden die bestehenden Grundrechtsverletzungen im Grunde einfach offiziell zugegeben und in Gesetzesform gegossen und somit legalisiert. Abgesehen von der gerichtlichen Überprüfbarkeit hat sich für die Schüler allein durch diese formale Aufwertung ihres Rechtsstatus' aber praktisch noch nicht viel geändert.[4]
Die Schulpflicht stellt insgesamt einen massiven Eingriff in die Freiheit junger Menschen dar, und zwar ohne dass dies zum Schutz der Freiheiten anderer notwendig wäre. Der Staat nimmt sich das Recht, wesentliche Teile des Lebens von Kindern und Jugendlichen vor- und fremdzubestimmen. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen haben keinen Einfluss darauf und können ihrem Schicksal nicht entrinnen. Sie werden zu Marionetten, zu Objekten staatlicher Schulpolitik gemacht. Sie werden nicht als eigene Subjekte wahrgenommen, als Menschen, deren Freiheit es zu schützen gilt. Somit wird auch ihre Menschenwürde verletzt.
Für freiheitlich-demokratisch denkende und handelnde Eltern kann sich ein Gewissenskonflikt ergeben, wenn sie ihr Kind gegen dessen Willen zur Schule schicken müssen, wozu sie derzeit verpflichtet sind. Kommen Eltern dieser Pflicht nicht nach, drohen ihnen Bußgelder bis zu mehreren Tausend Euro, ersatzweise ein Gefängnisaufenthalt. Und obwohl gerade diese Eltern sich für die Rechte ihrer Kinder einsetzen, kann ihnen das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen werden.
Im Grundgesetz taucht die Schulpflicht nicht auf. Da das Bildungswesen eine Angelegenheit der einzelnen Bundesländer ist, findet sich die Schulpflicht nur in einfachen Landesgesetzen oder der jeweiligen Landesverfassung. Da das Grundgesetz und damit auch die Grundrechte über jedem Landesrecht stehen, halten wir die Schulpflicht für verfassungswidrig.
Für die Feststellung, dass die Schulpflicht gegen das Grundgesetz verstößt, ist es zunächst unerheblich, ob die Verteidiger der Schulpflicht mit ihrer Annahme recht haben, dass Kinder ohne Zwang nichts lernen würden, weil Landesrecht nun mal nicht gegen Bundesrecht verstoßen darf.
Aber selbst wenn kein Konflikt zwischen Landes- und Bundesrecht vorläge, wäre doch festzuhalten, dass die Schulpflicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspricht. Dieser besagt, dass freiheitsbeschränkende Maßnahmen nur in dem Maße angewandt werden dürfen, wie sie zur Erreichung eines Zieles geeignet und erforderlich sind. Wenn das Ziel darin besteht, dass Kinder und Jugendliche das Nötige lernen sollen, um auch als Erwachsene im Leben zurechtzukommen, dann ist die Schulpflicht weder erforderlich noch überhaupt geeignet. Dass man Kinder und Jugendliche nicht zum Lernen zwingen muss, haben wir auch im Text "Lernen ohne Druck und Zwang" gezeigt.
Fazit
Zusammenfassend können wir festhalten, dass die von der Schulpflicht ausgehende Unfreiheit drei Hauptbestandteile hat: Anwesenheitspflicht, Lernzwang und Unterordnung unter undemokratische Regeln.
Durch die Schulpflicht werden die Schüler einem zu tiefst undemokratischen Schulwesen ausgeliefert.
Die Art des Umgangs mit den Schülern ist zwar nicht unbedingt Zweck der Schulpflicht, sondern eher Nebenprodukt. Die Schulpflicht nimmt den Schülern jedoch die Möglichkeit, sich den autoritären Umgangsformen zu entziehen.
Die Schulpflicht führt zu einem unflexiblen und nicht an den Interessen der Schüler orientierten Schulsystem. Es muss sich an den Wünschen der Beteiligten nicht orientieren, weil ihm die Schüler ohnehin zugeführt werden.
Einige dieser Kritikpunkte könnten auch unter Beibehaltung der Schulpflicht gelöst bzw. abgemildert werden, wenn die Staatsschulen einer grundlegenden Veränderung unterzogen werden bzw. ein pluralistisches Bildungswesen mit tatsächlich genügend Alternativen entstünde. Aber das Problem der Anwesenheitspflicht wäre damit noch nicht behoben. Ausschließlich außerhalb der Schule zu lernen wäre nach wie vor nicht möglich, obwohl es eine durchaus legitime Alternative darstellt.
Sicherlich sind noch viele Fragen darüber, wie ein Bildungswesen ohne Schulpflicht aussehen kann, offen. Wir möchten deshalb auf den umfassenderen Text „Schulpflicht überwinden“ verweisen, ebenso auf „Lernen in Freiheit – Entwurf eines freiheitlich-demokratischen Bildungssystems“ sowie auf diverse Texte über Demokratische Schulen wie etwa die Sudbury-Schulen.
[1] Zusätzlich zu dieser Vollzeitschulpflicht besteht in den meisten Bundesländern für unter18-jährige Jugendliche Berufsschulpflicht, welche durch Absolvieren einer Lehre oder eines berufsvorbereitenden elften Schuljahres, durch den Besuch der gymnasialen Oberstufe oder durch ein reguläres Arbeitsverhältnis erfüllt werden kann.
[2] Voraussetzung für die Anwendung des Schulzwangs ist jedoch, daß die einzelnen Schulen mittels Schulversäumnisanzeigen die örtlichen Ordnungsämter (bzw. andere zuständige kommunale Behörden) über das unentschuldigte Fernbleiben eines Schülers benachrichtigen. Allerdings melden nicht alle Schulen ihre fehlenden Schüler.
[3] Auch eine Reihe anderer Städte folgt mittlerweile dem Nürnberger Modell.
[4] Felix Sipreck: Besonderes Gewaltverhältnis, Gesetzesvorbehalt und Verrechtlichung: Aspekte und Entwicklungen des Schulverhältnisses, http://www.dipf.de/bildungsforschung/Blockseminar_Metje_Ruerup/Siprek.pdf, v.a. S. 9-13