Umfrage unter 6- bis 13-Jährigen
Kinder verlieren in der Schule den Spaß am Lernen 12.11.2013, 23:35
Einer Umfrage zufolge verlieren Kinder im Verlauf ihrer ersten Schuljahre zunehmend den Spaß am Lernen. Ist die Schule dafür verantwortlich, dass Kindern das Lernen ausgetrieben wird? Mit einem Gastkommentar von Hanspeter Hauke.
Im September 2013 veröffentlichte das Kindermagazin LEO der ZEIT gemeinsam mit dem Lernsoftwareanbieter scoyo die Studie "Lernen mit Spaß". Befragt wurden 860 Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren (Ergebnisse) und 1005 Eltern (Ergebnisse) von den Marktforschungsinstituten FACT bzw. FORSA.
Die Studie ist insgesamt etwas langweilig; schließlich geht es in erster Linie um Marketing: "Scoyo-Studie: Je länger Kinder zur Schule gehen, desto weniger Spaß haben sie am Lernen. Doch es ginge auch anders." (Quelle) - wenn alle scoyo benutzen würden, so die nicht besonders subtile Implikation, hätten alle Kinder Spaß am Lernen.
Ein Ergebnis jedoch ist interessant: Mit zunehmendem Alter verlieren die Kinder den Spaß am Lernen. Die Ergebniswerte zur Frage "Macht dir das Lernen für die Schule Spaß?":
Offensichtlich hat kein einziges Kind im Alter von 6 Jahren mit "Nein" geantwortet - bei den 13-Jährigen waren es bereits 8 Prozent. Und während mehr als die Hälfte der 6-Jährigen immer(!) Spaß am Lernen haben, sind es bei den 13-Jährigen nur noch 6 Prozent.
Zwischen früher und später Kindheit geht die Lust am Lernen also maßgeblich zurück. Die zentrale Frage liegt auf der Hand: Warum verlieren Kinder im Verlauf ihrer ersten Schuljahre die Lust am Lernen?
"Lernen braucht sinnvolle Reize" - Gastkommentar von Hanspeter Hauke
Hanspeter Hauke, 59 Jahre alt, SWR Fernseh-Redakteur (Wissenschaft und Bildung), Diplom-Pädagoge, ausgezeichnet mit dem Japan-Prize (beste Lernsoftware weltweit) und weiteren nationalen und internationalen Preisen für "Wizadora - eine zauberhafte Sprachreise durch Großbritannien", Gründer und Präsident des Vereins für Innovative Schulentwicklung e.V., Berater der Hector-Akademie für Hochbegabte, Gründer und Vorsitzender der Selbsthilfegruppe Durom-Metasul-LDH-Hüftprothesen e.V.
Spätestens nach der Geburt beginnt der Säugling zu "lernen", d.h. er beginnt, Informationen, welche über die Sinnesorgane im Gehirn ankommen, zu verarbeiten. Reize wie Licht, Berührung, Geräusche, Gerüche oder Geschmacksempfindungen regen Nervenzellen im Gehirn an. Je öfter die gleichen Nervenzellen angeregt werden, um so leichter und schneller werden die eingehenden Impulse im Gehirn verarbeitet. Übung macht hier in der Tat den Meister. Durch den ständigen Gebrauch werden gleichzeitig die Sinne und Sinnesorgane kontinuierlich geschärft, ihre Leistungsfähigkeit wächst. Immer mehr und immer differenziertere Informationen gelangen so ins Gehirn und werden dort verarbeitet.
Direkt nach der Geburt kann das Gehirn verglichen werden mit einem Ährenfeld, auf welchem die Ähren kerzengerade stehen. Über die Sinnesorgane im Gehirn eintreffende Reize haben nun eine vergleichbare Wirkung wie wenn ein Mensch durch ein solche Ährenfeld marschiert: Einige Ähren werden niedergetreten - das Gehirn wird strukturiert. Bei einmaligem Vorgang richten sich diese wieder auf. Kommen jedoch immer wieder die gleichen Reize, geht der Mensch in unserem Bild vom Ährenfeld den gleichen Weg immer wieder. Die Ähren bleiben niedergetreten - ein Weg entsteht, der immer glatter und breiter wird und auf welchem immer schneller gegangen werden kann. Reize, die immmer wieder im Gehirn ankommen, führen zu Strukturen im Gehirn, welche Nervenverbindungen stabilisieren und "schmieren", so dass sie immer spontaner und schneller ausgelöst und für den Informationstransport genutzt werden können. Die Nervenverbindungen oder Synapsen erleichtern also im Laufe der Zeit die Interpretation und Einordnung der aus der Umgebung des Lebewesens im Gehirn ankommenden Impulse. Gleichzeitig entwickelt sich ein "Filter", der für das Kind "wichtige" von "unwichtigen" Infomationen unterscheidet. Die Entscheidung, was "wichtig/unwichtig" ist, wird dabei vom Kind auf Grund seiner aktuellen persönlichen und emotionalen Befindlichkeit getroffen. Die "Stimmungs- und Interessenlage" des Kindes steuert somit den Filter.
Die Nutzung der Sinnesorgane und die Verarbeitung der Informationen ist beim Säugling und Kleinkind mit Spass und Lust verbunden. Gelingt es dem Kind, ein neues Geräusch zu produzieren, ist ihm die Freude darüber anzumerken. Spaß am eigenen Erfolg, Freude am eigenen Tun, Lust am Erkunden und das selbstbestimmte sich Ausprobieren aktivieren das körpereigene Belohnungssystem: Endorphine werden ausgeschüttet, der kleine Mensch fühlt sich glücklich.
Mit der Einschulung hört der Spaß auf, der Ernst des Lebens beginnt. Nun bestimmt ein fremder Erwachsener, was "wichtig/unwichtig" für das Kind zu sein hat - und nicht mehr seine aktuelle Befindlichkeit. Das körpereigene Belohnungssystem wird durch die Fremdbestimmung nicht wie bisher aktiviert. Mit externen Belohnungssystemen wird versucht, einen Ausgleich zu schaffen. Für eine sehr gute Note bekommen Schüler dann schon mal 5 Euro, oder mit "Angstfaktor", wenn sie ihre Hausaufgabe nicht machen, bekommen sie eine 5. Lernen durch Druck, Schule als Spaßbremse. Im Grundschulalter völlig ungeeignete (Lern-)Anreize und Ansätze. Dass Kindern da die Lust am Lernen, am Aufnehmen und Verarbeiten von Informationen verlieren, kann ihnen wirklich nicht vorgeworfen werden. Es erklärt jedoch die Ergebnisse der Umfrage.