Die Lehrerfreund-Hellseherin
Deutsch-Abitur Baden-Württemberg: Kommentar zu den Aufgaben 2013, (fast) keine Prognose für 2014 26.02.2014, 22:07
Wie lief der letzte Auftritt von Josef K. & Co., die Abiturklausur Deutsch 2013? Statt einer Prognose für das Abitur 2014 (na gut, ein kleiner Hinweis ist dabei) gibt es in diesem Jahr persönliche Anmerkungen von Db, JKG Bruchsal zu den neuen Aufgabentypen.
Das Abitur 2013 war der letzte Auftritt von Josef K. und Michael Kohlhaas unter dem (inoffiziellen) Motto "Recht und Gerechtigkeit". Seit 2007/08 erfüllten sie brav ihren Dienst als Helden der Pflichtlektüren in der gymnasialen Oberstufe, zunächst unterstützt von Karl Moor, der 2010/11 von Klara Wäscher abgelöst wurde.
In den Startlöchern für das Abitur 2014 (allgemeinbildende Gymnasien) stehen Agnes, Walter Faber und Georg Danton (Deutsch-Abiturthemen Baden-Württemberg ab 2014) , allerdings unter veränderten Bedingungen: Baden-Württemberg: Neue Aufgabentypen im Fach Deutsch ab 2014
Daher ist die Prognose in der bisherigen Form obsolet, stattdessen gibt es Anmerkungen zu den neuen Aufgabentypen (direkt zu diesem Abschnitt springen).
Deutsch-Abitur Baden-Württemberg 2013: Kommentar zu den Aufgaben
Die Prognose zum Deutsch-Abitur 2013 traf irgendwie nicht ganz vorbei, aber auch nicht recht ins Schwarze. Kommentator #23 Philipp fasst so zusammen:
Na ja…. Das war ziemlich daneben getippt bei Aufgabe I, aber kann ja auch keiner wissen, dass schon wieder Kafka drankommt…. Der Dreiervergleich und das Werk der gestalterischen Aufgabe stimmten schon mal.
Aufgabe I: Vergleich Josef K. - Michael Kohlhaas - Alfred Ill
Nicht nur, "dass schon wieder Kafka drankommt", erstaunte, sondern auch, dass die Aufgabe im Grunde eine Variation derjenigen in 2010 war: Ein Ausschnitt aus dem selben Kapitel des "Proceß", die Fortsetzung von Josef K.s großer Kampfrede gegen den Untersuchungsrichter. Aus meinem damaligen Kommentar:
Die Textstelle aus dem Kapitel "Erste Untersuchung" bot dabei genug Stoff zur erzählerischen und sprachlichen Betrachtung. Sie ist allerdings nicht unbedingt typisch für K.s Verhalten, da er hier sehr aktiv wirkt und 'das große Wort' führt.
In der dritten Teilaufgabe kam quasi 'mit Ansage' zum ersten Mal ein Dreier-Vergleich (der naturgemäß umfangreich ist) zu einem außerdem noch recht weit gefassten Aspekt: der "Bedeutung des Gerichts" für Josef K., Michael Kohlhaas und Alfred Ill.
Natürlich war "das Gericht" sicher ein Unterrichtsschwerpunkt und die SchülerInnen entsprechend gut vorbereitet. Seine "Bedeutung" an sich muss man aber für jedes der drei Werke zunächst extra klären: Für Josef K. ist es äußerlich surreal, aber auch ein innerer Selbstfindungsprozess, für Kohlhaas dagegen reale absolutistische Gerichtsbarkeit. Und Ill steht gleich drei Mal vor "Gericht": Zunächst im 'echten' Verfahren in seiner Jugend, dann in der 'gespielten' Wiederholung des Prozesses durch Claire und den Butler, zum Schluss in der Gemeindeversammlung, die sein Todesurteil fällt.
Also gab es viel zu erklären und zu schreiben; ich kann den Ärger des Kommentators #15 Koray
hammerhart, sche… kultusministerium !
ein bisschen verstehen.
Aufgabe II: Gestaltende Interpretation von Friedrich Dürrenmatt, „Besuch der alten Dame” (nur allgemein bildendes Gymnasium)
Zum letzten Mal stand dieser kreative Aufgabentyp zur Wahl. Sehr schade, denn er bot einen alternativen Zugang zu den Werken, kam vor allem den SchülerInnen entgegen, die phantasievoll einen Text weiter statt rational-analytisch über ihn schreiben mögen.
Ausgangspunkt war die Schlussszene am Ende des 2. Akts: Ills vergeblicher Fluchtversuch am Bahnhof, umzingelt von den Güllenern. In seinem Ausruf "Ich bin verloren!" kündigt sich die Wende von seiner Auflehnung hin zur Annahme seines Schicksals an.
Die gestaltende Aufgabe zeigte schon in ihrer Formulierung die inhaltliche Schwierigkeit auf: "(D)ie Beteiligten“, aus der Menge der Güllener herausgenommen werden Lehrer, Pfarrer und Polizist, "gehen (…) ihrer Wege“, reden aber dennoch miteinander, so die Annahme.
Gerade die im jeweiligen Dialog mit Ill so unehrlichen Dorfhonoratioren sollen also nun mehr oder weniger offen miteinander "über das Vorgefallene und die möglichen Konsequenzen (sprechen)“ statt einfach jeder für sich nach Hause gehen? Das ist zwar gut gedacht, damit die SchülerInnen jeweils aus verschiedenen Perspektiven das Geschehen in Güllen beleuchten können, verbiegt aber die Rollen.
Und wie die Aufgabe I durch den Dreiervergleich in diesem Jahr sehr umfangreich war, wurde auch die Gestaltende Interpretation ausgeweitet zum 'Tria-' statt Dialog, das heißt, man musste sich in drei (Neben-)Figuren hineinversetzen, deren Pläne, geheime Wünsche und moralische Haltung kennen und jeweils passend zur Rolle sprachlich treffend wiedergeben.
Aufgabe IV: Liebeslyrik
Drohende Trennung ist das gemeinsame Thema von Bertolt Brechts Sonett und des Gedichts von Sarah Kirsch; beide inhaltlich sowie durch deutlich sichtbare sprachliche Strukturen ansprechend, wenn auch nicht einfach zu interpretieren.
Doch zum vierten (!) Mal muss ich aus meinem Kommentar zum Abitur 2009 zitieren:
Leider erwies sich so das im Unterricht erarbeitete Wissen zu Epochen und ihren typischen Merkmalen, Autoren und Jahreszahlen als praktisch nutzlos.
Überdies galt diese Kritik sogar schon beim letzten Lyrik-Thema "Heimatverlust und Exil“. Aus meinem Kommentar zum Abitur 2008:
Im Gedichtvergleich IV) blieb alles beim Alten: Doch wieder NS-/Nachkriegszeit, zum x-ten Mal Hilde Domin. Und wieder keine Chance für meinen Liebling Heinrich Heine… Warum hat man das Thema dann nicht von vorne herein “Heimatverlust und Exil im 20. Jahrhundert” genannt? Wäre ehrlicher gewesen.
Na, da sind wir auf die Gedichtauswahl 2014 aber sehr gespannt… und auf die in 2015, dann zum letzten Mal "Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart“.
Die Erörterungen: Aufgabe III: Literarische Erörterung und Aufgabe V: Texterörterung
Im Vorgriff auf einen Autor der neuen Pflichtlektüren stand in der literarischen Erörterung ein Zitat aus einem Brief Georg Büchners im Fokus, in welchem sein schon naturalistisches Verständnis von Literatur deutlich wird.
Das "Erörtern" einer knappen These "anhand Ihrer Leseerfahrung" (welche/r Jugendliche hat die heute noch?) hat noch nie viele SchülerInnen angesprochen und so ist es nachvollziehbar, dass auch dieser Aufgabentyp ersetzt wird. Neuer erörternder Typ wird ab 2014 Essay sein.
Der Zeitungsartikel als Grundlage der textgebundene Erörterung begann dagegen ansprechender, er ging von den Erfahrungen des Autors Burkhard Müller zu Abiturfeiern in seiner Schulzeit und heute aus. Dann weitete sich sein Blick auf die Rolle von Ritualen insgesamt als strukturierendes, Sinn stiftendes Lebenselement. Mit diesem Verständnis sollte sich allgemein oder in Form einer Rede auseinander gesetzt werden.
Deutsch-Abitur Baden-Württemberg: (fast) keine Prognose für 2014, stattdessen Kommentar zu den neuen Aufgabentypen
Mit der Neufassung der fünf Aufgabentypen, vor allem dem Wegfall der Gestaltenden Interpretation, verändert sich die Bedeutung der Pflichtlektüren für die Vorbereitung der Abiturklausur.
Bisher war die Vorbereitung auf die drei Pflichtlektüren eine 'sichere Bank', man konnte wahlweise analytisch oder gestaltend sein Gelerntes anbringen.
Nach wie vor benötigt die Erarbeitung der Pflichtlektüren, besonders des mit historischen Anspielungen und Metaphern gespickte Revolutionsdramas "Dantons Tod", viel Unterrichtszeit, das Gelernte kommt jetzt aber nur im Aufgabentyp I zum Tragen. Die vier anderen Aufgabentypen sind ganz ohne Kenntnis der Lektüren zu lösen.
Da SchülerInnen dazu neigen, Unterrichtsstoff und nötigen Lernaufwand einer Kosten-Nutzen-Kalkulation zu unterziehen, liegt es nahe, dass viele sich eher auf die vermeintlich leichten Aufgabentypen mit kurzen, in sich abgeschlossenen Texten verlassen: Kurzprosa und Gedichtvergleich. Zum Teil war das schon an der Mitarbeit im Unterricht deutlich zu spüren.
Auch der nun verlangte rein analytische Zugang der meisten Aufgabentypen senkt die Motivation gerade bei den SchülerInnen, denen ein eher kreativeres Scheiben leichter fällt. Einzige kreative Schreibform ist nun, neu am allgemeinbildenden Gymnasium, der Essay. Doch das Verfassen einer sprachlich so leichtfüßig daherkommenden Textform, zugleich das Vermitteln eigener Gedanken und Meinungen verlangt viel, vielleicht zu viel von SchülerInnen im Rahmen eines Prüfungsaufsatzes.
Insgesamt sind meiner Ansicht nach Schwierigkeitsgrad und Vorbereitungsaufwand der Aufgabentypen sehr ungleich verteilt, was sich auch ungut auf den Unterricht auswirkt.
Nach der alljährlichen Abiturbetrachtung und Kassandras Klage wie versprochen wenigstens noch ein kurzer Blick in die Glaskugel auf den Aufgabentyp I:
Die beste Quote in den Lehrerzimmer-Wettbüros hat ein Ausschnitt aus Peter Stamms "Agnes". Der Roman kann wegen der vielen Parallelen sehr gut mit "Homo Faber" von Max Frisch verglichen werden, eventuell kommt "Dantons Tod" im Dreiervergleich hinzu. Als Vergleichsaspekte vorstellbar sind zum Beispiel die Schuld der Protagonisten oder ihre Beziehungs(un)fähigkeit.
Wie immer sind alle Angaben ohne Gewähr - toitoitoi und viel Erfolg!