Bildung in der Wissensgesellschaft
Modernes Lernen: Sind Kompetenzen wichtiger als Wissen? 03.10.2013, 13:29

Wir leben in der Wissensgesellschaft - Wissen ist immer und überall verfügbar. Deshalb, so eine beliebte Argumentation, müssen wir in der Schule nicht mehr Wissen vermitteln, sondern Kompetenzen zum Umgang damit.
Eine sehr beliebte Einstellung in der modernen, medienfokussierten Bildungsszene ist diese: "Wissen ist nicht mehr so wichtig, denn es ist überall und immer verfügbar (via mobile Geräte, Google & Co). Viel wichtiger ist es, Kompetenzen im Umgang mit dem Wissen zu erwerben und sich effektiv vernetzen zu können, um dieses Wissen gemeinsam zu nutzen." Vulgo: "Ich muss nichts wissen - es genügt, wenn ich weiß, wo ich es finde."
Diese Ansicht teilt Prof. Dammer (Heidelberg) nicht bedingungslos: Unsere Gesellschaft würde ohne Konzentration auf Wissensvermittlung
zu einer geschichtslosen und eindimensionalen Gesellschaftsformation, welche die Dummheit zumindest der Mehrheit ihrer Bürger fördert und in dem Maße, wie sie den Wissensverzicht öffentlich propagiert, auch fördern will.
Prof. Karl-Heinz-Dammer: Das können Sie vergessen (02.10.2013)
Und da hat er Recht. Denn Wissen ist eine zentrale Grundlage für sämtliche kognitiven Lernprozesse; Studien zu Lernen und Lernstrategien betonen durchweg die immens wichtige Rolle des Vorwissens. Das gilt auch für Lernprozesse, in denen nicht Wissen, sondern Handlungskompetenzen erworben werden.
Selbstverständlich stehen sich "Wissen" und "Kompetenzen" nicht isoliert gegenüber - viele Kompetenzen bspw. schließen Wissen zwangsläufig ein: Die Kompetenz, höflich zu Männern zu sein, wird nur möglich, wenn man weiß, was das Wort Mann bedeutet.
Trotzdem erfreut sich die Ansicht, dass Kompetenzen viel wichtiger seien als das Wissen selbst, zunehmender Beliebtheit - "Lernziele" ist in der heutigen Pädagogik ein verpönter, fast schon verbotener Begriff. Wir unterrichten "kompetenzorientiert", sinnfreies Wissen spielt keine Rolle mehr (zum Glück).
Warum erfreuen sich "Kompetenzen" im Bildungsbereich zunehmender Beliebtheit?
Vor allem bei sehr medienaffinen Pädagog/innen hat sich das Primat der Kompetenz gewaltig durchgesetzt. Möglicherweise bildet der Rückzug auf die "Kompetenz" eine Nische, wo man sich ohne Anstrengung mit ein bisschen iPad hier, etwas Prezi da und einem Etherpad dort profilieren kann - ohne sich wirklich mit der Frage danach, wie Lernen wirklich funktioniert, auseinandersetzen zu müssen. "Vernetzung", "kooperatives Lernen" und "21st-century-skills" sind Begriffe, mit denen eine fundierte Diskussion oft vermieden wird.
Ein weiterer Aspekt: Ist die Vermittlung von Kompetenzen unanstrengender als die Vermittlung von Wissen? Wenn dies der Fall wäre, könnte man sagen: Wer auf Kompetenzen setzt, macht es sich leicht.
Letztlich liegt die Weisheit wie immer wohl irgendwo in der Mitte: Ein sinnentleerter Wissensfetisch ist für gute Bildung wohl genau so verkehrt wie eine totale Fokussierung auf wissensfreie Kompetenzen.
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