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Bildung in der Wissensgesellschaft

Modernes Lernen: Sind Kompetenzen wichtiger als Wissen? 13.08.2024, 14:23

Affe baut kompetent eine irre Maschine
Bild: Ideogram

Wir leben in der Wissensgesellschaft - Wissen ist immer und überall verfügbar, seit ChatGPT, Gemini & Co sowieso. Deshalb, so eine seit Jahren beliebte Argumentation, müssen wir in der Schule nicht Wissen vermitteln, sondern Kompetenzen zum Umgang damit.

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Originalartikel 03.10.2013, Überarbeitung 13.08.2024

Vorweg: Wissenszentrierte Didaktik hat ausgedient - darüber muss man nichts mehr sagen. Aber doch stellt sich die Frage: Müssen wir gar nichts mehr wissen? Der Comic von TOM bringt's auf den Punkt:

TOM: Ich muss nicht zur Schule
Mit freundlicher Genehmigung vom Zeichner ©TOM - danke!

»Man muss nicht alles wissen. Man muss nur wissen, wo es steht!« - Diese Einstellung ist bei medienaffinen Pädagog/innen äußerst verbreitet. Angefangen hat der Boom mit Google Anfang der 2000er. Durch die breite Zugänglichkeit mobiler Endgeräte (v.a. iPads) gab es eine neue Welle, und seit 2023 gibt es im Kielwasser der Chatbots wie ChatGPT, Claude & Co kein Halten mehr. Die Argumentation hat sich dabei als erstaunlich statisch erwiesen. Auch heute lautet das Credo unverändert: Viel wichtiger sei es, Kompetenzen im Umgang mit dem Wissen zu erwerben und sich effektiv vernetzen zu können, um dieses Wissen gemeinsam zu nutzen.

Das klingt modern, ist aber im Anspruch geradezu verantwortungslos übertrieben. Prof. Dammer (Heidelberg) meint dazu: Unsere Gesellschaft würde ohne Konzentration auf Wissensvermittlung

zu einer geschichtslosen und eindimensionalen Gesellschaftsformation, welche die Dummheit zumindest der Mehrheit ihrer Bürger fördert und in dem Maße, wie sie den Wissensverzicht öffentlich propagiert, auch fördern will.

Und da hat er Recht. Denn Wissen ist eine zentrale Grundlage für sämtliche kognitiven Lernprozesse; Studien zu Lernen und Lernstrategien betonen durchweg die immens wichtige Rolle des Vorwissens. Das gilt auch für Lernprozesse, in denen nicht Wissen, sondern Handlungskompetenzen erworben werden.

Selbstverständlich stehen sich »Wissen« und »Kompetenzen« nicht isoliert gegenüber - viele Kompetenzen bspw. schließen Wissen zwangsläufig ein: Die Kompetenz, höflich zu Männern zu sein, wird nur möglich, wenn man weiß, was das Wort Mann bedeutet.

Trotzdem erfreut sich die Ansicht, dass Kompetenzen viel wichtiger seien als das Wissen selbst, zunehmender Beliebtheit - »Lernziele« ist in der heutigen Pädagogik ein verpönter, fast schon verbotener Begriff. Wir unterrichten »kompetenzorientiert«, sinnfreies Wissen spielt - zum Glück - keine Rolle mehr.

Warum erfreuen sich »Kompetenzen« im Bildungsbereich zunehmender Beliebtheit?

Vor allem bei (halbwegs?) medienkompetenten Pädagog/innen hat sich das Primat der Kompetenz gewaltig durchgesetzt. Möglicherweise bildet der Rückzug auf die »Kompetenz« eine Nische, wo man sich ohne Anstrengung mit ein wenig iPad hier, etwas ChatGPT da und einem Apple TV an der Decke profilieren kann. Die Frage, wie Lernen wirklich funktioniert, rutscht aus dem Blickfeld. »Vernetzung«, »kooperatives Lernen« und »21st-century-skills« sind Begriffe, mit denen eine fundierte Diskussion oft vermieden wird.

Dann noch ein häretischer Gedanke: Ist vielleicht die Vermittlung von Wissen anstrengender als die Vermittlung von Kompetenzen? Wenn dies der Fall wäre, könnte man sagen: Wer auf Kompetenzen setzt, macht es sich leicht.

Letztlich liegt die Weisheit wie immer wohl irgendwo in der Mitte: Ein sinnentleerter Wissensfetisch ist für gute Bildung wohl genau so verkehrt wie eine totale Fokussierung auf wissensfreie Kompetenzen.

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Kommentare

12

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  • #1

    Wer sagt denn bitte, dass es leichter sei, Kompetenzen anstatt Wissen zu vermitteln. Beides stellt eine pädagogische Herausforderung dar. Im Zuge der digitalen Entwicklung ist es doch unbestreitbar wichtig geworden den Heranwachsenden Kompetenzen im Umgang mit den neuen Medien zu vermitteln, um nicht nur Wissen zu erlangen, sondern es auch zielgerichtet zu finden und anzuwenden. Ich verstehe diese “Entweder/Oder-Diskussion” nicht.

    schrieb Oli am

  • #2

    Vergleichen Sie einmal heutige kompetenzorientierte Kernlehrpläne mit Lernzielbeschreibungen der 70er oder 80er Jahre. Sie werden feststellen, dass da an nicht wenigen Stellen wörtlich dasselbe steht. Ich halte das Gerede von „Kompetenzen“ zu großen Teilen für eine pädagogische Modeerscheinung - alter Wein in neuen Schläuchen.

    schrieb Jossi am

  • #3

    Hallo,
    Wissen: wenn wir von Wissen sprechen, dann geht es Etwas kennen. d.h wir kennen etwas, wir wissen.
    Was Kompetenz angeht, wir können etwas tun oder machen.man agiert und reagiert auf etwas.
    Im realen Leben ist man in Kontakt zu anderen Menschen . Und da spielt die Kompetenz eine sehr wichtige Rolle.
    was meint Ihr?

    schrieb Belem Adama am

  • #4

    Ich sehe das auch so wie Sieglinde. Aber: ist das nicht trivial? Selbstverständlich? Schon seit Jahrzehnten so? In meinen Fächern Deutsch, Englisch, Informatik kann ich mir das nicht anders vorstellen. Die Beispiele für kompetenzorientierte Aufgaben, die mir begegnen, sind jedenfalls nicht neu.
    In Mathe gibt es Textaufgaben mindestens seit meiner Schulzeit.—Anders wäre das, wenn tatsächlich nur noch anwendungsorientiert in Projekten gearbeitet werden soll. Bin kein Fan davon, aber das wäre tatsächlich eine Änderung.

    schrieb Herr Rau am

  • #5

    Für mich bedeutet Kompetenz: Wissen und Kompetenz gehören zusammen. Sich nur Wissen anzueignen ist zu wenig, ich muss es auch im entsprechenden Kontext anwenden können. Einfaches Beispiel ein Schüler, der eine Mathematikformel auswendig gelernt hat, kann nicht zwangsläufig damit auch die entsprechende Aufgabe lösen. Kann er jedoch mit seinem Wissen anderen Schüler, diese Aufgabe erklären, hat er gezeigt, dass er beides besitzt, das Wissen und die Kompetenz es anzuwenden.

    schrieb Sieglinde am

  • #6

    Von der Universität kommen so viele Lehramtsneuanfänger mit allen möglichen Kompetenzen ... “kompetenzorientiert” ... wenn ich mir die alte Schule angucke: Da stört nicht ein einziger Schüler. Da passt jeder Schüler auf. Und gerade da sagen selbst die Leistungsschwachen: “Bei dem *Major* lerne ich was!”

    schrieb Arno Nym am

  • #7

    @ arno:
    Dein “... zurück zur alten Schule, in der die Schüler uns nicht auf der Nase rumtanzten.”, scheint mir keine Lösung, die uns weiter bringt oder die Dammer propagiert.

    Hat der Lehrer keine Lehrkompetenz, dann tanzen ihm die Schüler mit und ohne Kompetenzmist auf der Nase herum.

    Wissen ohne Diskurskompetenz, lieber arno, bringt weder uns, noch diese Diskussion, noch unsere Schüler weiter.

    schrieb Herr Lehrer am

  • #8

    David, ist der Herr Prof. Krautz nicht viel mehr ein Kritiker der Ökonomisierung der Bildung? Er fordert doch auch eine andere Form der Bildung, wünscht sich aber eine ideologiefreiere Diskussion darüber und der, zum Teil katastrophalen Situationen in den Schulen, wie er sagt.

    Wenn er sagt:

    “Vor allem fehlen den Kindern und Jugendlichen in einem solchen (selbstgesteuerten?) Unterricht mit einem aktiven Lehrer und einer geführten Klassengemeinschaft ein menschliches Gegenüber und Miteinander, in dem man in personaler Beziehung das Argumentieren und Denken üben kann, in der man zuhören und tolerieren lernen kann, in der man Verantwortung nicht nur für sein eigenes Fortkommen, sondern für die ganze Gemeinschaft übernehmen lernt usw.”,

    dann frage ich mich, wie er die darin implizierte Forderung auf das traditionelle hoch selektive Frontalunterrichtsmodell, das ledig auf individuelle Leistungs- und Stoffabfragen abzielt, übertragen will.

    schrieb Jochen am

  • #9

    Hierzu ein sehr lesenswertes Interview mit dem Prof. Krautz, Kritiker der Kompetenz- und Standarsdwelle:
    http://www.heise.de/tp/artikel/40/40010/1.html

    schrieb David am

  • #10

    Dammer unterscheidet zu Recht in Informations- und Wissensgesellschaft.
    Er klassifiziert Herrschaftsstrukturen und deren historischen Definitionshoheiten.
    Gleichzeitig unterscheidet er zwischen Allgemeinbildung und Allgemeinwissen.
    Er definiert jedoch weder das eine, noch das andere. Und er negiert eine Notwendigkeit des lebenslange Lernens.
    Gleichzeitig will er an den tradierten Bildungsprinzipien festhalten und Schüler trotzdem auf die Zukunft vorbereiten.
    Dieses Bildungsmodell ist weder konsistent, noch inhaltlich valide.
    Im Prinzip widerspricht er sich selbst, wenn er auf der einen Seite die neoliberalen Propagandaversuche verurteilt, gleichzeitig die tradierte Wissensvermittlung als Herrschaftsdiskurs rezipiert und
    trotzdem relativ unreflektiert am bisherigen Bildungsmodell festhält, ohne gleichzeitig zu definieren, welchen Wissenskanon er für allgemeingültig erklären will.
    Mit einem Satz gesagt: Seine Analyse bietet interessante Reflexionen, bleibt jedoch, dort wo es interessant werden könnte, im Ungefähren. Der angefachte Diskurs ist schlicht nicht zu Ende gedacht.
    Schade.

    schrieb Ludwigs Lust am

  • #11

    Was helfen Kompetenzen, wenn wir nichts (mehr) wissen. Wissen ist Macht. Weiß nichts, Macht nichts ;-) endlich aufhören mit diesem kompetenzorientierten Mist und zurück zur alten Schule, in der die Schüler uns nicht auf der Nase rumtanzten.

    schrieb Arno Nym am

  • #12

    Bedenkenswert ;-)

    schrieb Mirjam am

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