Leistungsmaschinen statt Menschen
Warum die PISA-Studie keinen interessiert 04.12.2013, 21:58
Es ist gut, dass es die PISA-Studien gibt, denn das deutsche Bildungswesen wurde aus seiner Selbstgefälligkeit aufgeschreckt. Doch aktuelle Ausgaben der PISA-Studie stoßen auf kein Interesse mehr. Prof. Klaus Klemm, eine der zentralen PISA-Personen, fordert explizit eine Umorientierung - weg vom kognitiven Leistungsfetisch, hin zu einer Schule, die Sinn hat.
PISA 2012 (Studienergebnisse bei oecd.org) - Deutschland hat in Mathe endlich einen überdurchschnittlichen Platz ergattert und sich von 503 Punkten im Jahr 2003 auf 514 Punkte aufgerappelt. Die Bildungspolitik bejubelt den Erfolg ihres Tuns, aber interessieren tut es nicht mal mehr die Medien. Auf der Website der BILD-Zeitung ist die PISA-Studie auf die ersten Blicke gar nicht zu finden, bei Spiegel Online kommen die PISA-Ergebnisse auf der Startseite weit unten, noch unter "Finanzskandale - Macht die kriminellen Banken dicht!", "Der tiefe Fall der Küchenfee" und "Bad Sex Award - Orgie im Angesicht atomarer Bedrohung", bei den seriöseren Organen wie faz.net, ZEIT oder der Süddeutschen ist die PISA-Studie 2012 ebenfalls fast unsichtbar [alles Stand 04.12.2013, 22:00]. Und das am Tag nach der Veröffentlichung der Ergebnisse!
Nun, 11 Punkte in 9 Jahren (Spitzenplatz 2012: 613 Punkte, letzter Platz: 368 Punkte) ist vor allem für hartgesottene Statistiker/innen atemberaubend. Die unbescholtene Bürger/in könnte vermuten, dass es sich um eine wetterbedingte Schwankung handelt. Und das ist ja bei jeder PISA-Ausgabe ähnlich. 5 Punkte hier, 4 Plätze dort ...
Aber ... Ist die Bildungsqualität in Deutschland denn nicht mehr wichtig?
Einen überaus interessanten Erklärungsansatz legt eine Äußerung von Klaus Klemm nahe. Prof. Klemm (eine der zentralen PISA-Personen) beurteilt die aktuellen PISA-Ergebnisse zwar als positive Effekte aufgrund der bisherigen, durch PISA 2000 ausgelösten Anstrengungen. Allerdings hoffe er, dass sich Schule und Schulentwicklung in den nächsten Jahren nicht weiterhin auf "kognitive Kompetenzen" (Mathematik, Naturwissenschaften, Leseverständnis) konzentriert:
Wir haben im Kontext dieser PISA-Diskussion nie über den Geschichtsunterricht, nie über den Musikunterricht, nie über den Kunstunterricht geredet. [...] Das ist eine Verengung von Schule, die ich bedauerlich finde. Jetzt, wo wir aufgeholt haben, sollten wir uns auch wieder ein bisschen konzentrieren auf das, was Schule sonst noch ist.
Deutschlandradio 03.12.2013: Campus und Karriere - Reaktionen auf die PISA-Studie
Mit anderen Worten: Was Schule braucht, ist kein Leistungsfetisch. Einer Schüler/in Mathe mit dem Holzhammer ins Gehirn klopfen kann jeder. Die ersten Plätze der Mathe-PISA 2012 werden belegt von den asiatischen Teilnehmern Shanghai (China), Singapur, Hongkong (China), Chinesisch Taipeh, Korea, Macau (China), Japan - erst dann folgt Liechtenstein mit einem Rückstand von 82 Punkten auf Tabellenführer Shanghai. Der Chinese Wang Liang hat zu diesem Thema nur frustrierte Kommentare:
"Die Kindheit ist so weit weg. Aber wenn ich zurückdenke, ging es die ganze Kindheit immer nur darum, ein Ziel nach dem anderen zu erreichen. Ich kann mich nicht daran erinnern, glücklich gewesen zu sein."
Eine Schule, in der es ausschließlich darum geht, mehr zu lernen und besser abzuschneiden, brauchen nur Politiker/innen und Apparatschiks, um ihren Job für die nächsten vier Jahre zu sichern. Für sie ist es wichtig, ob Deutschland bei der nächsten PISA-Studie 10 Punkte mehr oder 8 weniger hat.
Aber was ist wirklich wichtig für eine Schule? Keiner kann es schöner ausdrücken als Gerald Hüther:
In der Schule kann meinetwegen der größte Blödsinn passieren. Aber eines darf dort nicht passieren, dass die Kinder das verlieren, was das Wichtigste für das eigene Leben dann später ist, nämlich diese Leidenschaft. Und da, glaube ich, ist bei uns im Augenblick alles verkehrt, was in den meisten Schulen läuft.
Lehrerfreund 02.05.2013: Gerald Hüther über das System Schule