Menschenrechte
USA: Prügelstrafe in Schulen von 21 Bundesstaaten erlaubt (erwünscht?) 23.08.2008, 02:45
Eine aktueller Report von Human Rights Watch zeigt, dass im Schuljahr 2006/07 mehr als 220.000 Schüler/innen in den USA körperlich diszipliniert wurden. In den Schulen von 13 US-Bundesstaaten gehört die Prügelstrafe zur Normalität. Dahinter steckt die Überzeugung, dass Gewalt oft besser wirkt als Reden.
Der am 20. August 2008 veröffentlichte Report von Human Rights Watch “A Violent Education” liest sich nicht erfreulich: 120 Seiten vollgestopft mit Details rund um die Prügelstrafe (ein großer Teil der Daten wurde in Mississippi und Texas, den Hochburgen der Prügelstrafe, erhoben).
Die folgenden Seitenzahlen beziehen sich auf die pdf-Datei des Reports (online zu lesen hier).
- Im Schuljahr 2006/07 wurden mehr als 220.000 Schüler/innen geschlagen, meistens wegen minderer Vergehen wie Reden im Unterricht, Zuspätkommen oder Verstoß gegen den Dresscode (z.B. T-Shirt nicht in die Hose gesteckt (S. 35).
- Vor allem in den Südstaaten ist schulisches Prügeln verbreitet (Mississippi: 7.5% aller Schüler/innen geschlagen, Arkansas: 4.7%, Alabama: 4.5% - tabellarische Übersicht).
- Schwarze Kinder werden doppelt so oft geschlagen wie weiße, Förderschüler/innen doppelt so oft wie “normale”.
Die Prügel wird meist von Mitgliedern der Schulleitung exerziert, in der Primarstufe (“elementary school”) auch von den Lehrkräften. Im Regelfall erhält man Hiebe auf den Hintern mit dem “Paddle” - ein Paddel aus Holz, gerne durchlöchert (= vor dem Aufprall kann eine höhere Geschwindigkeit und damit ein verbesserter Erziehungseffekt erreicht werden). In manchen Schulbezirken sind die Maße vorgegeben:
[...] students are typically hit on their buttocks with a wooden paddle, approximately 15 inches long, between two and four inches wide, and one-half inch thick, with a six-inch handle at one end. The size of paddles can vary. For instance, one teacher in a Mississippi high school stated that his “principal uses a paddle with a flat head and a thin neck and handle. [...] The South Delta School District, a different Mississippi district, specifies dimensions in its official policy: paddles must be 14-15 inches long, two inches wide, and 1/4-3/8 inches thick. [...]
Sometimes the paddle is modified to improve the paddler’s swing or to inflict greater pain. The paddle might have holes in it, allowing it to move faster and therefore hurt more.
A Violent Education, HRW 2008, S. 14f
Da diese Paddel nicht regulär zu erwerben sind, werden sie von den Lehrer/innen entweder in liebevoller Arbeit selbst angefertigt, oder die Schüler/innen machen das im Technikunterricht; vor der Einweihung unterschreibt die ganze Klasse darauf:
We received multiple reports of students making paddles as a part of their woodworking (“shop”) class. One high school teacher reported, “the kids would make them in shop class and have all their friends sign them.” A former principal noted, “I made my paddles myself [...] Sometimes teachers give their paddles nicknames such as “Dr. Pepper.”
A Violent Education, HRW 2008, S. 18
Die Anzahl der Hiebe hängt von individuellen Regelungen der Schulbezirke (school districts) ab, man will die Schüler/innen ja nicht umbringen. In manchen Bezirken liegt die Höchstgrenze bei zwei, in anderen bei fünf (Klasse 1-6) und sieben (Klasse 7-12) (S.21). Im Mississippi-Delta aber kennt man keine Limits:
A former high school teacher in the Mississippi Delta noted that students might accumulate a number of licks: “Say they had 30 licks, they could choose 10 today, 10 more the next day.”
A Violent Education, HRW 2008, S. 18
Der Lehrer haut schon mal richtig derb drauf; das bestätigen auch im Web kursierende (oft heimlich aufgenommene) Videos des Paddling-Rituals. Sehr oft bleiben von der Bestrafung heftige Blutergüsse oder Striemen:
A middle school student in rural Mississippi was severely bruised when his beatings escalated. He was sent to the office for paddling, and “[w]hen I came back, [the teacher] said I was laughing so she sent me back and I got three more licks…. The principal was like, ‘you’re in here again already?’… He said, ‘Do you realize that every time you come in here I’m going to hit you harder and harder?’” When his mother met him after school, she noticed he was in pain. She found his buttocks were black from bruising. It took more than a week for the bruises to heal, and during this period “he couldn’t sit down.”
A Violent Education, HRW 2008, S. 51, vgl. S. 1
Kommentar
Beim Lesen des Reports muss berücksichtigt werden, dass Human Rights Watch die Öffentlichkeit aufrütteln will und entsprechend harte Beispiele (v.a. aus Texas und Mississippi) anführt. Die schwammigen Häufigkeitsangaben zeigen jedoch deutliche Tendenzen auf (“Many victims of corporal punishment in schools ...”, “Many students report ...”), ähnlich Websites wie corpun.com oder stophitting.com.
Es gibt an diesem Report zwei Aspekte, die verwundern.
- Die Härte, mit der zugeschlagen wird.
- Im Regelfall ist die Bestrafung gewollt schmerzhaft. Die Funktion der Prügelstrafe ist damit tatsächlich die körperliche Bestrafung eines Minderjährigen durch eine/n Erwachsenen, die in einigen Staaten der USA gesellschaftlich nicht nur geduldet, sondern sogar gewollt ist. Dass gerade LehrerInnen dieses Spiel mitspielen und vorantreiben, ist erstaunlich.
- Die Prügelstrafe gehört im Schulsystem einiger Staaten zur Normalität.
- Es ist keineswegs so, dass irgendwelche brutalen Lehrkräfte in einem Keller mal einen aufsässigen Schüler verprügeln. Vielmehr hat die Prügelstrafe durch ihre Verankerung in Gesetzen, Verordnungen und Schulalltag eine institutionelle Berechtigung; Anzahl der Schläge und Größe des Paddels sind festgelegt, der Schulleiter zeigt sein Paddel stolz und liebevoll vor - es tritt ein Gewöhnungseffekt sowohl bei Schüler/innen als auch Erziehungspersonen ein:Some students and teachers have seen or heard paddling so often that they are no longer outwardly affected by the experience. A former Mississippi teacher described how another teacher came into her classroom and paddled a student. The rest of the class’s reaction was “normal. They got quiet and watched. For a select few I know they feared, but most of them laughed.” Another teacher noted, “Once you’ve been in it for a while, I don’t know … you get immune to it happening around you.”
A Violent Education, HRW 2008, S. 28
Körperliche Züchtigung ist nicht nur in moralischer, sondern auch in pädagogischer Hinsicht sehr problematisch, denn sie legt jungen Menschen eine autoritäre, gewalttätige Grundordnung nahe. Auch dass die Lehrer/innen in Texas neuerdings eine - allerdings: verdeckt getragene - Waffe in die Schule mitnehmen dürfen, zeigt, wie sehr Gewalt dort grundsätzlich als Handlungsoption wahrgenommen wird. Die Wirksamkeit steht für viele Pädagogen nicht in Frage:
Some teachers say they just can’t reach a child by talking. They say if they don’t spank, the child feels like he got away with something and the behavior worsens.
gefunden bei matthiasheil.de, Abteilung ‘Schule’ (22.08.2008)