Kooperation statt Konkurrenz
Warum das Schulsystem in Finnland so gut ist 16.01.2012, 11:05
In Finnlands Schulsystem läuft vieles anders. Der Kooperationsgedanke bestimmt das Geschehen - nicht Leistungsdruck und Konkurrenz. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte.
Das finnische Schulsystem wird seit dem exzellenten Abschneiden Finnlands in der ersten PISA-Studie 2000 von Pädagog/innen mit Ehrfurcht und Anbetung betrachtet. Das US-amerikanische Blog MindShift listet im Beitrag What’s So Great About Schools in Finland? einige wesentliche Punkte auf und fasst darin zwei lesenswerte Ressourcen zusammen: das Interview What can we learn from Finland (Hechinger Report 09.12.2010) und einen Artikel der New York Times: From Finland, an Intriguing School-Reform Model (12.12.2011).
- 1. Es gibt kaum Privatschulen in Finnland.
- Argument für diesen Punkt: Das staatliche Schulsystem soll soziale Ungleichheit ausgleichen (bekanntlich eines der zentralen Probleme des deutschen Schulwesens). Durch die fast vollständige Abwesenheit von Privatschulen wird die soziale Bildungsschere ein Stück weit zugeklappt.
- 2. Das Bildungssystem wird von Pädagog/innen verwaltet.
- Im Hechinger-Interview ist zu lesen: "Wir haben sehr darauf geachtet, dass das Bildungswesen von Pädagogen gesteuert wird. Es ist faktisch nicht möglich, eine leitende Position im Bildungswesen ("to become a superintendent") zu bekommen, ohne zuvor als Lehrer/in gearbeitet zu haben ... Wer keine Lehrerfahrung hat, wird im Bildungssystem Führungspositionen nicht befriedigen ausfüllen können ("will never have the type of communication they need"). [Übersetzung Lehrerfreund]
- 3. Leistungsmessung hat in Finnland einen niedrigen Stellenwert
- Kooperatives Lernen ist in Finnland offensichtlich wichtiger als die Frage, wer die/der Beste ist. Zensuren gibt es erst ab Klasse 8. In Klassen 1 bis 4 werden keine Noten gegeben, in den Klassen 5 bis 7 können Noten zusätzlich zur verbalen Beurteilung gegeben werden (lehrerfortbildung-bw: Notensystem an finnischen Schulen).
- 4. Lehrer haben ein hohes Ansehen
- Lehrer/innen in Finnland sind - auch für die unteren Klassenstufen - gut ausgebildet und haben ein sehr gutes Image in der Bevölkerung. "Wir in Finnland glauben, dass Lehrer ein Schlüssel zur Zukunft sind und dass der Lehrerberuf ein sehr wichtiger Beruf ist. Deshalb möchten alle begabten jungen Leute Lehrer werden." (Finnlands Kulutsminister Henna Virkkunnen, Übersetzung Lehrerfreund)
- 5. Lehrer haben Freiräume
- Ergänzend zum vorigen Punkt überrascht die große Freiheit, die Lehrer/innen bei der Auswahl ihrer Lehr-/Lernmethoden und ihrer Unterrichtsmaterialien haben. Lehrer/innen in Finnland sind nicht nur Vollstrecker einer Verwaltung, die politisch motivierte Entscheidungen trifft, sondern "like academic experts".
Es ist natürlich fraglich, inwieweit diese Punkte tatsächlich den Leistungsvorsprung Finnlands begründen. Es gibt sicher noch weitere Aspekte, die nicht direkt auf der Hand liegen. So liegt die durchschnittliche Klassengröße in Finnland deutlich unter der hiesigen (2004: 19.5 Schüler/innen pro Klasse). Ein anderes Beispiel: Als Finnland bei PISA 2000 hohe Werte bei der Lesekompetenz erhielt, erfuhr man rasch, dass im finnischen Fernsehen die meisten ausländischen Filme nicht synchronisiert werden, sondern mit Untertiteln ausgestrahlt werden (die Ursache liegt wohl in der geringen Größe der finnisch sprechenden Population). Dies sei der Grund für den raschen Erwerb einer guten Lesekompetenz.
Kooperation statt Konkurrenz
Als einen zentralen Unterschied zwischen dem finnischen und dem US-amerikanischen (Bildungs-)System nennt Dr. Pasi Sahlberg, finnischer Pädagoge und Buchautor, diesen:
In den USA wird der gesamte Bildungsdiskurs vom Gedanken der Konkurrenz gesteuert. In meinem Land glauben wir, dass Bildung und Erziehung vor allem mit Kooperation und Teilen zu tun hat. Kooperation ist der Anfang von Wachstum.
Hechinger Report 09.12.2010: What can we learn from Finland?: A Q&A with Dr. Pasi Sahlberg (Übersetzung Lehrerfreund)