Einheitsabitur
Spaenles Rache 15.07.2011, 17:06
Ludwig Spaenle, Kultusminister Bayern und CSU-Bildungshardliner, wünscht mit zwei Kollegen das Einheitsabitur. Gute Idee, hinterlistiges Spiel: Die Bundesländer lassen in einem "Staatsvertrag" die Bundeskultusministerin links liegen - und stärken so das föderale System. Die anderen Kultusminister/innen haben Spaenles Ränke durchschaut und stellen sich quer. Damit vergeben sie eine zentrale Chance für mehr Einheitlichkeit im Bildungswesen.
Ludwig Spaenle & Co fordern bundesweit einheitliche Abituraufgaben
Die drei Kultusminister von Bayern (Ludwig Spaenle, CSU), Mecklenburg-Vorpommern (Henry Tesch, CDU) und Sachsen (Roland Wöller, CDU) haben in der ersten Juliwoche 2011 vorgeschlagen, Abituraufgaben bundesweit zu vereinheitlichen. Ab 2013/2014 sollten dann alle Bundesländer ihr Abitur aus einem gemeinsamen "Aufgabenpool" bestreiten können.
Die Situation ist etwas durchwachsen: Ursprünglich verkündeten die drei Kollegen, dass schon insgesamt acht Länder dem Plan zustimmen wollten (nämlich Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein).
Doch die Koalition der angeblich Willigen ist brüchig: Seit den Landtagswahlen haben in den zuständigen Ministerien von Hamburg, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg andere das Sagen. Anders als ihre Unionsvorgänger unterstützen sie das Einheits-Abitur per Staatsvertrag nicht.
Die Argumente der Unwilligen sind nachvollziehbar: ein Staatsvertrag wäre zu aufwändig, man müsse doch zuerst einmal gemeinsam beraten (und nicht oktroyieren), erst einmal sollten doch die Bildungspläne aller Bundesländer aneinander angepasst werden. Auch die GEW lehnt den Vorstoß ab: Die drei Minister wollten mit dem Konzept nur "ihren geliebten Bildungsföderalismus" zementieren.
Die heimtückische Regelung "Staatsvertrag"
Tatsächlich ist vor allem Ludwig Spaenle für seine Kompromisslosigkeit bekannt, was Veränderungen im Bildungssystem betrifft. Die Bundes-CDU kann ihn mit ihrem neuerdings favorisierten Konzept der Oberschule (bei Abschaffung der Hauptschule) kreuzweise: "Berlin ist fern", sagte er und ergänzte später: "Wir lassen uns ohnehin nichts vorschreiben". Die Idee, das Einheitsabitur über einen "Staatsvertrag" zu regeln, passt ins Bild:
Da in Deutschland die Länder über eigene Gesetzgebungskompetenzen (vgl. Art 70 ff. GG) verfügen, wird der Begriff auch für Verträge zwischen zwei oder mehreren Bundesländern angewandt. Oft werden wirtschaftliche Zusammenarbeit oder Grenzangelegenheiten in solchen Staatsverträgen geregelt. Ein Beispiel für einen solchen Vertrag ist der Rundfunkstaatsvertrag. Die jeweiligen Landesparlamente haben diesen Staatsvertrag anschließend durch ein sogenanntes Zustimmungsgesetz (auch Transformationsgesetz genannt) in ein Landesgesetz zu übernehmen.[1] Erst nach dieser Ratifizierung des Staatsvertrags durch alle beteiligten Landtage kann der Vertrag in Kraft treten.
Klar: Das ist die Rache an Annette Schavan (CDU). Als sie noch Bildungsministern von Baden-Württemberg war, kämpfte sie gemeinsam mit Spaenle für die Hauptschule und das dreigliedrige Schulsystem. Nach ihrer Beförderung (?) zur Bundeskultusministerin erlebte sie eine verblüffende Metamorphose und wirbt seither für mehr Einheitlichkeit im Bildungswesen. Jüngst hat sie sich bei den Föderalisten durch ihre Unterstützung für die Abschaffung der Hauptschule unbeliebt gemacht.
Spaenles Kalkül
Jetzt kriegt sie von Spaenle die Rechnung. Ein Staatsvertrag zwischen den Bundesländern könnte komplett ohne Mitwirkung des Bundeskultusministeriums realisiert werden. Das wäre die politische Enthauptung von Annette Schavan - ihre Machtlosigkeit würde offenbar werden wie nie. Und mehr noch: Spaenle wäre Gewinner auf ganzer Linie. Bayern würde im bundesweit einheitlichen Abitur stets die besten Zensuren einheimsen und Spaenle könnte das Konzept als Beleg für den Nutzen des dreigliedrigen Schulsystems verkaufen.
Das haben natürlich alle anderen sofort kapiert. Fast keiner möchte das unsaubere Spiel mitspielen.
Leider.
Warum Spaenles Plan trotzdem angenommen werden sollte
Spaenle würde sich und seinesgleichen mit dem Einheitsabitur auf lange Sicht den Nährboden entziehen. Die Einführung eines bundesweit einheitlichen Abiturs würde zwangsläufig eine bundesweite Anpassung der Bildungspläne bedeuten, bundesweit einheitliche Schulbücher, endlich bundeslandübergreifende Kommunikation zwischen Eltern, Lehrer/innen, Kultusbeamten ermöglichen. Auch wenn die föderalen Strukturen der Bildungspolitik zementiert würden - das gesamte Bildungswesen würde von solcher Einheitlichkeit profitieren.
Deshalb sollten die übrigen Kultusminister/innen sich gut überlegen, ob sie Spaenles Spiel nicht doch mitspielen wollen. Dass Annette Schavan dabei ihr Gesicht vollständig verlieren würde, wäre den meisten wohl ziemlich schnuppe, und Spaenles Selbstbeweihräucherungen müsste man in Gottes Namen ertragen. Für die Bildungsrepublik wäre das Einheitsabitur definitiv ein großer Schritt nach vorn.