Interview
Wie viel Geld ist eine Lehrer/in wert? 01.10.2014, 09:53
Lehrer/innen bilden Schüler/innen aus - und haben damit einen wesentlichen Anteil daran, wie gut die Volkswirtschaft läuft. Wir fragen den Bildungsökonomen Professor Ludger Wößmann, ob man den Wert von Lehrer/innen in Geld messen kann und ob das Bildungssystem eher die Volkswirtschaft oder das Glück der Einzelnen im Auge haben soll.
Prof. Dr. Ludger Wößmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Bildungsökonomik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet das ifo Zentrum für Bildungs- und Innovationsökonomik. Er koordiniert das European Expert Network on the Economics of Education (EENEE) und ist u.a. Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
www.cesifo.de/woessmann
Wenn eine Firma einen Arbeiter einstellt, der den jährlichen Gewinn um 100.000 Euro steigert, dann könnten wir sagen: Diese Person ist 100.000 Euro wert. Inwieweit lässt sich dieser Kontext auf die Einstellung, Ausbildung, Fortbildung von Lehrer/innen übertragen?
Prof. Ludger Wößmann: Schulen sind nicht auf Gewinn aus, darum lässt sich das nicht direkt übertragen. Aber Lehrerinnen und Lehrer sind von zentraler Bedeutung dafür, was die Kinder und Jugendlichen lernen, und das wiederum wirkt sich entscheidend auf deren zukünftigen Lebensweg aus. Nicht alles davon lässt sich in Heller und Pfennig ausdrücken. Aber man könnte schon sagen, dass das Ausmaß, in dem die Kinder und Jugendlichen von den Lehrkräften profitieren, letztlich einen "Wert" dieser Lehrkräfte ausmacht.
Lassen Sie uns den volkswirtschaftlichen "Wert" von Lehrer/innen beziffern, so weit möglich. Wie viel sollte dem Staat eine "gute" Lehrer/in wert sein, oder: Wie viel Geld verliert der Staat durch "schlechte" Lehrer/innen?
Prof. Ludger Wößmann: Für Deutschland liegen dafür nicht wirklich Daten vor. Aber eine spannende Studie aus den USA (Great Teachers Create Lasting Value (PDF)) hat kürzlich gezeigt, dass Lehrkräfte sehr langfristige Effekte haben: Schülerinnen und Schüler, die von Lehrkräften unterrichtet werden, die ihnen schon in der Grundschule systematisch mehr beibringen, besuchen später mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Universität, erzielen ein höheres Einkommen, wohnen in besseren Gegenden und sparen mehr für den Ruhestand. Der Einfluss ist sehr groß: Hat eine Klasse eine durchschnittliche Lehrkraft statt eine Lehrkraft in den untersten 5% (gemessen an den systematischen Lernzuwächsen der Schülerinnen und Schüler), so summieren sich die kumulierten zukünftigen Einkommenszuwächse der Klasse über ihren Lebenszyklus auf über 250.000 $ (abdiskontiert auf den heutigen Wert). Gute Lehrerinnen und Lehrer sollten dem Staat also viel wert sein.
In den westlichen Volkswirtschaften gibt es kaum leistungsabhängige Gehaltsstrukturen für Lehrer/innen. Nach der von Ihnen zitierten Studie lässt sich der Einfluss der Lehrer/innen auf den Lernerfolg jedoch mit Tests eindeutig messen. Warum werden Lehrergehälter nicht viel mehr leistungsabhängig gestaltet?
Prof. Ludger Wößmann: Das gibt es viel öfter, als man denkt. In etlichen Ländern gibt es die Möglichkeit, Lehrergehälter durch leistungsabhängige Komponenten zu ergänzen. Das geschieht nicht unbedingt auf der Basis reiner Testleistungen - dafür bedürfte es weit umfassenderer Prüfungssysteme, als sie in den meisten europäischen Ländern vorliegen, und man sollte auch ausführlich über Ausgestaltung und Nebeneffekte nachdenken, bevor man dies in der Fläche macht. Aber in Finnland können die Verantwortlichen auf lokaler Ebene beispielsweise die besondere Arbeit einzelner Lehrkräfte honorieren, indem sie persönliche Boni auf der Basis individueller professioneller Leistungen auszahlen. Wir sollten viel mehr darüber nachdenken, wie wir solche Art von Anerkennungen für besonderen Einsatz und Leistung geben können.
Die Vorschläge für ein besseres Schul- und Unterrichtssystem sind Legion. Wo würden Sie im Rahmen der institutionellen und politischen Rahmenbedingungen den Hebel ansetzen, um die Effektivität von Unterricht zu steigern?
Prof. Ludger Wößmann: Die empirische Forschung deutet darauf hin, dass insbesondere drei Rahmenbedingungen systematisch mit den Lernergebnissen der Schülerinnen und Schüler zusammenhängen: Erstens sind die erzielten Schülerleistungen dort wesentlich besser, wo sie extern überprüft werden, etwa durch zentrale Abschlussprüfungen. Zweitens lernen Schülerinnen und Schüler dort signifikant mehr, wo Lehrkräfte und Schulen mehr Selbständigkeit haben. Eine erfolgreiche Bildungspolitik legt also Standards extern fest und überprüft ihr Erreichen extern, überlässt es dann aber den Schulen selbst, wie sie diese am besten erreichen können. Drittens erweist sich Wettbewerb der Schulen um die besten Ideen, der durch größere Wahlmöglichkeiten der Eltern zwischen Schulen in unterschiedlicher Trägerschaft entsteht, als ein entscheidender Einflussfaktor auf die Bildungsergebnisse. Dabei sollten alle Schulen unabhängig von ihrer Trägerschaft staatlich finanziert werden.
Dienen Optimierungen am Bildungssystem aus Ihrer Sicht eher ökonomischen Zielen im Rahmen eines Wirtschaftssystems, oder sollten wir eher das Glück und den persönlichen Erfolg des Einzelnen im Auge haben?
Prof. Ludger Wößmann: Beides ist wichtig. Natürlich ist Bildung nicht als Erstes für die Wirtschaft da. Aber selbst wenn Sie nur auf das Glück des Einzelnen schauen, hängt dieses doch auch davon ab, ob sie/er einen Arbeitsplatz findet und ob sie/er ein auskömmliches Einkommen erzielen kann oder in Armut leben muss. Und dass Beschäftigungschancen und Einkommen ganz eng mit der Bildung des Einzelnen zusammenhängen, das muss man heute als Fakt akzeptieren. Ob man es mag oder nicht, in der modernen Wirtschaft hängt der Erfolg am Arbeitsmarkt von den Kompetenzen der Einzelnen ab. Um es klar zu sagen: Wer sagt, man darf Bildung nicht (zumindest auch) aus ökonomischer Perspektive betrachten, der macht sich letztlich mitverantwortlich für zukünftige Arbeitslosigkeit.
Zum Schluss: Sie haben gesagt "Ich bekomme eine nahezu perfekte Vorhersage der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung einer Nation, wenn ich mir die Testergebnisse von Schülern dieses Landes in Mathe und Naturwissenschaften anschaue." (ZEIT 02.2013: Rechnen macht reich) Wie ist Ihre Prognose: Daumen hoch oder runter?
Prof. Ludger Wößmann: Daumen schräg nach oben. Deutschland ist eines der wenigen Länder, das sich seit der ersten PISA-Studie 2000 zwar nicht in großen Schritten, aber doch stetig und systematisch verbessert hat. Die deutschen 15-Jährigen haben heute deutlich höhere Kompetenzen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen als vor gut 10 Jahren. Wir sind immer noch deutlich von den besten Ländern der Welt entfernt. Aber wir sind nicht mehr unteres, sondern zumindest oberes Mittelfeld. Wenn die Zusammenhänge in Zukunft so bleiben, wie sie in den letzten 40-50 Jahren waren, dann lassen die besseren Bildungsleistungen langfristig auch etwas höhere Wachstumsraten erhoffen - mit entsprechenden positiven Auswirkungen auf unseren langfristigen Wohlstand. Gleichwohl ist bei uns in vielen Bereichen noch deutlich "Luft nach oben".